Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Michael Maertens, Roland Koch © Matthias Horn

Der einsame Westen Michael Maertens, Roland Koch © Matthias Horn

DER EINSAME WESTEN Die düstere Seite der irischen Seele

Michael Maertens, Roland Koch © Matthias Horn

Michael Maertens, Roland Koch © Matthias Horn

Eine Handlung, getragen von Schnaps, Bosheit und leichtfertigem Umgang mit dem Leben

Zwei Brüder sind gemeinsam alt geworden. Zu ihren ständigen Ritualen zählt neben übermäßigem Alkoholkonsum der tägliche Streit bis zur handfesten Rauferei. Gründe dafür gibt es genug, angefangen von gegenseitigen Anfeindungen bis zu konkreten Streichen, die nur ein Ziel haben, dem anderen zu schaden. Keiner von den beiden hat es je zu einer Frau, geschweige denn zu einer Familie gebracht. Ihr Vater wurde von einem der Brüder erschossen, angeblich durch einen unglücklichen Unfall. Der Priester ihrer katholischen Pfarrgemeinde ist ein gern gesehener Saufkumpan. Mit dem Fusel versorgt werden sie von einer jungen Frau, die in der schwankenden Männerrunde für leise Unruhe sorgt. Ort des bizarren Geschehens ist eine kleine, anscheinend auch von Gott vergessene Ortschaft im Westen von Irland. Der Autor selbst ist ebenfalls Ire. Martin McDonagh erspart seinen Landsleuten in seinen Stücken keine Kritik, wenn er ihre Perspektivlosigkeit und alle ihre anderen Schwächen ungeschönt auf die Bühne stellt – mit grandiosem Erfolg als einer der meistgespielten britischen Autoren.

Lili Winderlich, Itay Tiran © Matthias Horn

Lili Winderlich, Itay Tiran © Matthias Horn

Lili Winderlich, Michael Maertens, Roland Koch, Itay Tiran © Matthias Horn

Lili Winderlich, Michael Maertens, Roland Koch, Itay Tiran © M. Horn

„The Lonesome West“ ist der dritte Teil einer Trilogie, der in der Übersetzung von Martin Molitor und Christian Seltmann unter dem Titel „Der einsame Westen“ im Akademietheater Premiere feierte. Inszeniert hat Mateja Koležnik, eine ausgewiesene Spezialistin für MacDonagh. Sie schafft gezielt die Tristesse, die weder von einer alterschwach blinkenden Neonröhre noch von den Blitzlichtern aus deftigem Wortwitz und bitteren Pointen wirklich aufgehellt wird. Auf der von Raimund Orfeo Voigt als herabgekommene Bleibe gestalteten Bühne machen einander Roland Koch als Coleman Connor und Michael Maertens als Valene in brüderlicher Gehässigkeit ein ohnehin sinnloses Leben schwer.

Der eine schneidet dem Hund des anderen die Ohren ab, bevor er ihn umbringt, der andere lässt seinen Bruder ätzend spüren, dass er, und nur er, das Geld hat, um Chips oder einen Backofen zu kaufen, in dem als Retourkutsche dessen Sammlung von Heiligenfiguren aus Plastik eingeschmolzen wird. Das einzig Verbindende ist die Flasche mit hochprozentigem Poitín, die sie nolens volens mit Pater Welsh (Itay Tiran) teilen. Der junge Geistliche zweifelt zutiefst an seiner Berufung zum Priester. Als Seelsorger kann er nicht verhindern, dass sich seine Pfarrkinder gegenseitig oder selbst am laufenden Band das Leben nehmen. Er flüchtet, wie seine beiden Freunde, in schweren Alkoholismus. Als seine letzte große Aufgabe sieht er die Versöhnung der Brüder. Dabei übersieht er die Signale der jungen, an sich fröhlichen Girleen Kelleher (Lili Winderlich). Sie gibt sich Männern gegenüber verschlossen und hat doch eine Sehnsucht nach Liebe, die sich aber zu spät offenbart, nämlich erst dann, als Pater Welsh bereits im Wasser den Freitod gesucht hat.

 Der einsame Westen Itay Tiran, Michael Maertens © Matthias Horn

Der einsame Westen Itay Tiran, Michael Maertens © Matthias Horn

Nils Hausotte, Yannik Stöbener, Julia Windischbauer, Julian von Hansemann, Sören Kneidl, Enno Trebs

Nils Hausotte, Yannik Stöbener, Julia Windischbauer, Julian von Hansemann, Sören Kneidl, Enno Trebs © Marcella Ruiz Cruz

IPHIGENIE AUF TAURIS Theater wie im alten Griechenland

Julia Windischbauer, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Julia Windischbauer, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Goethe und die Antike, ein Bühnenfest für Bildungsbürger

Aus den finsteren Nebeln ferner Vergangenheit taucht eine weiße Gestalt auf; eine Frau, die ihr Schicksal beklagt. Als zum Opfertod bestimmte Tochter des Heerführers der Hellenen wurde sie von der Göttin Diana gerettet und nach Tauris, einer von Barbaren bewohnten Halbinsel, verfrachtet. Dort wird sie in ihrem Tempel als Priesterin eingesetzt und hätte die unerfreuliche Aufgabe, das Leben jedes Ankömmlings an diesem Gestade dieser blutdürstigen Olympierin zu weihen.

Enno Trebs, Julian von Hansemann, Daniel Jesch, Yannik Stöbener © Marcella Ruiz Cruz

Enno Trebs, Julian von Hansemann, Daniel Jesch, Yannik Stöbener © Marcella Ruiz Cruz

Als zivilisierte Dame kann sie den König überreden, diesen doch recht rauen Brauch auszusetzen. Als dieser jedoch um ihre Hand anhält und sich einen veritabeln Korb holt, ist es fürs erste vorbei mit diesem Anflug von Humanität. Zwei Männer werden ihr übergeben, mit dem Auftrag, sie zu opfern. Nach und nach stellt sich heraus, dass es sich um ihren Bruder und dessen Freund handelt. Apollo hatte ihnen befohlen, die Schwester nach Griechenland zurück zu bringen. Dabei handelt es sich um eine der bekannten Unschärfen, für die das Delphische Orakel berühmt war. Es stellt sich nämlich erst ganz zum Schluss heraus, welche Schwester damit gemeint war; nicht Diana, Schwester von Apoll, sondern Iphigenie, die wie Orest von Agamemnon gezeugt worden war. Dieses Missverständnis ist jedoch nur das letzte Detail der grausigen Geschichte der Tantaliden, die aufgrund eines gravierenden Fehlverhaltens ihres Stammvaters von den Göttern dazu verdammt wurden, sich gegenseitig abzumurksen. Jetzt steht Iphigenie vor dem Problem, dieses Erbe fortsetzen zu müssen, indem sie ihren Bruder auf dem Altar hinschlachtet.

Johann Wolfgang von Goethe hat sich bei Euripides umgesehen und in den Jahren 1779 eine Prosafassung und 1786 ein Versdrama dazu zu verfasst. Diese Verquickung von Antike und deutscher Literatur hat so manchen Schüler gequält und sich so als fester Bestandteil eines soliden Allgemeinwissens etabliert. Wenn dieses Stück klassisches Theater dazu von Ulrich Rasche für das Akademietheater umgesetzt wird, gibt es einen Extrabonus an Erlebnis und Wissenserweiterung. Der Regisseur ist auch Bühnenbildner und offenbar ein Verehrer des antiken Theaters.

Sein Ensemble kommt zwar ohne den Kothurn aus, dafür ist die Bühne klein genug. Doch die Darsteller bewegen sich bedächtig mit kleinen Schritten auf einer sich ständig drehenden Platte, auf große Gestik wird verzichtet und statt der Persona, der Maske mit dem eingebauten Megaphon, werden Ansteckmikrophone verwendet, um den ausgefeilten Text des Dichterfürsten mit schwerer Betonung und abgesetzt Wort für Wort für jedes Verständnis langsam genug zu sprechen. Die akustische Verstärkung ist erforderlich, da zur sparsamen Dekoration (ein Lichtbalken und ein seitlicher Scheinwerfer) der entsprechende Sound geliefert wird. Katalyn King am Schlagzeug und Benjamin Omerzell am Keyboard erzeugen eine dichte Tonkulisse, die sich wie archaische Sphärenmusik steigert und wieder verflacht, je nach Verlauf der Handlung. Getragen wird diese von Nils Hausotte, Sören Kneidl und Julian von Hansemann als Chor, Enno Trebs (König Arkas), Maximilian Pulst (Pylades), Ole Lagerpusch (Orest) und Julia Windischbauer, die als Iphigenie den Fluch ihres Geschlechts und den Zorn des Königs souverän überwindet.

 Iphigenie auf Tauris Katelyn King © Marcella Ruiz Cruz

Iphigenie auf Tauris Katelyn King © Marcella Ruiz Cruz

 Julia Windischbauer, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Julia Windischbauer, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

HILDENSAGA EIN KÖNIGINNENDRAMA Das Nibelungenlied von Frauen gesungen

 Nina Siewert, Julia Windischbauer, Zeynep Buyraç, Elisa Plüss, Nils Strunk © Marcella Ruiz Cruz

Nina Siewert, Julia Windischbauer, Zeynep Buyraç, Elisa Plüss, Nils Strunk © Marcella Ruiz Cruz

Ein erfrischendes Gedankenspiel der drei experimentierfreudigen Nornen

Die Burgunder sind doch recht beschränkte Kerle, das weiß man aus alter Mär, die über die Zeiten herauf geraunt wird. Der einzige Held ist Siegfried, der in jungen Jahren schon einen Drachen erschlagen, in seinem Blut gebadet und damit Unverletzlichkeit erlangt hat. Was die Intelligenz betrifft, überragt er seine drei Schwager kaum. Deswegen ist es möglich, dass sie ihn, den Unverwundbaren, beseitigen können. Im Original schwört seine Witwe Rache und lässt ihre Familie samt Gesinde vom neuen Ehemann, dem grausamen Hunnenkönig Etzel, hinschlachten. Ferdinand Schmalz, ein Dramatiker mit Humor, hat sich in der alten Sage genauer umgesehen und die eminent wichtige Rolle der beiden Frauen entdeckt. Krimhild und Brünhild werden beide von Siegfried begattet, die eine als Ehefrau, die andere auf dem Wege der Amtshilfe für König Gunther, der statt ehelichem Schnackseln an der Wand an einem Nagel hängen muss. Als Lohn nimmt Siegfried Gürtel und Ring von Wotans Tochter zu sich und eröffnet damit Krimhild die Möglichkeit, ihre Rivalin zu brüskieren. Das war für Schmalz unerträglich, also lässt er die Nornen die Zeit zurückdrehen, um alles noch einmal von vorne ganz anders ablaufen zu lassen.

ina Siewert, Katharina Lorenz, Zeynep Buyraç, Elisa Plüss © Marcella Ruiz Cruz

ina Siewert, Katharina Lorenz, Zeynep Buyraç, Elisa Plüss © Marcella Ruiz Cruz

 Rainer Galke, Gunther Eckes © Marcella Ruiz Cruz

Rainer Galke, Gunther Eckes © Marcella Ruiz Cruz

Regisseur Jan Bosse hat den Ball aus dem Zuspiel von Ferdinand Schmalz aufgenommen und den ungewöhnlich neu gedachten Inhalt in amüsanter Weise für das Akademietheater verwertet. Orange spielt die Hauptrolle. Die drei chaotischen Nornen (Zeynep Buyraç, Elisa Plüss und Nina Siewert) sind in dieser Farbe eingekleidet, der Vorhang besteht aus orangen Plastikstreifen und sogar der Wald, in dessen Quelle Siegfried den Tod findet, hängt voller oranger Bäume (Bühne: Stéphane Laimé). Den Anfang macht eine Schaumparty, bei der es sich um den Schnee Islands handeln dürfte .

Denn dort ist Brünhild (Julia Windischbauer) Königin und empfängt gelegentliche Besuche ihres bekümmerten Vaters (Oliver Nägele als Wotan), der ihr eine Heirat nahelegt. Ihr Herz gehört aber Siegfried, dem Nils Strunk in glänzender Panzerhaut sympathische Hilflosigkeit gegenüber Frauen angedeihen lässt. Er wurde mittlerweile nolens volens mit Krimhild (Katharina Lorenz) verkuppelt. Also muss der königliche Schwager Gunther (Dietmar König) um die Hand der übermenschlich starken Brünhild antreten. So weit, so Nibelungenlied. Erst als sich die beiden Frauen anstelle des überlieferten Stutenbeißens verbünden, wird es Schmalz und für die Männer eng. Die zwei Deppen Gernot (Tim Werths als Meister des Slapsticks) und Giselher (Gunther Eckes) fallen ihren eigenen Umtrieben ebenso zum Opfer wie der wütende Hagen (Rainer Galke). Dass am Ende sogar die spinnenden Nornen den Faden verloren haben, stört nach diesem lustvollen Ritt durch das Heldenepos kaum, denn in Wahrheit kennt sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin niemand mehr wirklich aus.

 Oliver Nägele, Julia Windischbauer © Marcella Ruiz Cruz

Oliver Nägele, Julia Windischbauer © Marcella Ruiz Cruz

 Jonas Hackmann, Marcel Heuperman, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

Jonas Hackmann, Marcel Heuperman, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

KASPAR Peter Handkes Publikumsherausforderung

 Markus Scheumann, Marcel Heuperman, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

Markus Scheumann, Marcel Heuperman, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

Ist Sprache ein Folterinstrument? Wenn ja, wer sind dann die Folterknechte?

Man denkt angesichts des Titels dieses Stücks von Peter Handke unwillkürlich an Kaspar Hauser, wenn sich ein pelziges Monster durch einen Plastikschlauch herabquält und lediglich in rudimentären Satzteilen stottert. Wie Vertreter einer Geheimpolizei, gewandet in schwarze Kunststoffmäntel und vor dem Gesicht eine Art Gasmasken in Form von Hundeschnauzen, preschen in einem Kleinwagen vier Gestalten herein. Sie beginnen auf diese der Sprache kaum mächtige Kreatur einzureden. Sie offenbaren ihm in penetranten Wiederholungen das Mysterium des vollständigen Satzes, mit Subjekt und Prädikat, und lassen ihr Opfer über die Begriffslehre, nach der ein Gegenstand erst existiert, wenn es einen Begriff für ihn gibt, grübeln. Erst dann, so ist der Botschaft der Einsagerinnen Laura Balzer, Stefanie Dvorak und der Einsager Jonas Hackmann, Markus Scheumann zu entnehmen, werde er ein anerkannter Teil der Menschheit. Kaspar hat in der Folge einiges an „Sprechfolterung“ und anderen Ungemachs zu erleiden, beispielsweise als Baby zu scheißen und sich den Kot ins Gesicht zu schmieren und ähnliche Unappetitlichkeiten.

 Jonas Hackmann, Markus Scheumann, Stefanie Dvorak, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

Jonas Hackmann, Markus Scheumann, Stefanie Dvorak, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann, Laura Balzer, Markus Scheumann, Marcel Heuperman © Susanne Hassler-Smith

Entstanden ist diese philosophisch gewaltsame Abhandlung über die Disziplinierung durch Sprache im Zuge der Studentenbewegung der 68er. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Sprache in diesen Jahren noch das allgemein anerkannte Hilfsmittel zur verbalen Verständigung war. Seither hat sich allerdings Wesentliches daran verändert. Grammatikalisch korrekt gebaute Sätze sind längst ein Kulturgut, das von einer Bildungsschicht liebevoll gepflegt wird, mehr aber nicht. Dialoge haben andere Formen gefunden, einfache Symbole, kurze Wortbrocken oder simple Postings in den Social Media. Anders wäre die babylonische Sprachenverwirrung unserer Tage nicht zu bewältigen und außerdem ist die Gefahr bei ganzen Sätzen zu groß, damit irgendwas Unkorrektes von sich zu geben.

Damit gewinnt auch die Sequenz ohne Worte einen Anflug an Verständlichkeit. Das Ensemble versammelt sich schweigend in einer WG und macht es sich vor dem Fernseher gemütlich, nicht ohne vorher die Männer nackt unter die Dusche zu stellen. Die Pointe: In mitgebrachten Schachteln befinden sich automatische Gewehre, wofür immer? Noch um einiges geheimnisvoller sind die Glitzerclowns, die einander mit Messern bedrohen und nichts anderes im Sinn haben, als aufeinander einzuschlagen. Vor einer gefährlich blinkenden Atombombe hat Kaspar mit blutverschmiertem Gesicht in zerrissenem Abendkleid den großen Monolog. Chapeau vor einem mutigen und souveränen Marcel Heuperman. Der Text ist extrem schwer zu merken, weil wenig logisch, wenngleich er die von Regisseur Daniel Kramer nur locker verbundenen rätselhaften Teile unter einem Gedankendach zu vereinigen sucht und damit einmal mehr das Publikum vor gewaltige intellektuelle Herausforderungen stellt. Der Lohn für diese Mühe waren bei der Premiere tosender Applaus und Bravorufe einer Übermacht von Handke-Experten, die sowohl den Akteuren als auch dem Leadingteam gegolten haben.

Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Stefanie Dvorak, Markus Scheumann, Marcel Heuperman, Jonas Hackmann, Laura Balzer © Susanne Hassler-Smith

 Sophie von Kessel, Ernest Allan Hausmann © Marcella Ruiz Cruz

Sophie von Kessel, Ernest Allan Hausmann © Marcella Ruiz Cruz

PHÄDRA, IN FLAMMEN Frauenfrust im alten Griechenland

 Sophie von Kessel, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Sophie von Kessel, Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Ein antiker Mythos wird umgeschrieben und mit aktuellen Problemstellungen aufgeladen.

In den Tagen von König Theseus galt lesbische Liebe in Athen noch als Verbrechen, so die Vorgabe für das Stück „Phädra, in Flammen“. Zumindest von den Männern, so weiß man beispielsweise aus Malereien auf Vasen oder Berichten seriöser Philosophen wie Diogenes und Sokrates, wurde die Liebe zu einem Lustknaben nicht selten der sexuellen Begegnung mit einer Frau vorgezogen. Das Bumsen in männlicher Riege wurde mit dem edlen Wort Eros umschrieben. Wie es diesbezüglich um die Frauen stand, darüber schweigt sich der Unterricht in Altgriechisch auch in weltoffenen Gymnasien aus. Die georgisch-deutsche Theaterregisseurin Nino Haratischwili ist Spezialistin, geprägt von der Antike, wie sie selbst in einem Interview für das Programmheft sagt. Also darf man ihr glauben, wenn sie das Verhältnis zwischen Königin Phädra und Persea, der Braut ihres Sohnes, vom Hohepriester so erklären lässt, dass es die Götter erzürnt und deren Grant nur durch ein Pharmakos, ein Menschenopfer, besänftigt werden kann.

 Etienne Halsdorf, Dagna Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

Etienne Halsdorf, Dagna Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

 Etienne Halsdorf, Philipp Hauß © Marcella Ruiz Cruz

Etienne Halsdorf, Philipp Hauß © Marcella Ruiz Cruz

Es geht hier aber nicht um Unterricht in antiker Theologie, sondern um den Frust der beteiligten Frauen. Phädra ist die Schwester von Ariadne, die Theseus einst dazu verholfen hat, nach Tötung des Minotauros wieder aus dem Labyrinth herauszufinden. Phädra ist als dessen zweite Frau nun der Ehe müde und entlädt ihre Enttäuschung über das verpfuschte Leben an der Seite eines alternden Helden (Ernest Allan Hausmann) in einem mit hasserfüllten Pointen gespickten Monolog gleich zu Beginn. Man glaubt Sophie von Kessel die Verzweiflung einer fadisierten Königin.

Sie hat ihrem Gatten zwei Söhne geboren. Der eine ist der Thronfolger Demophon (Julian von Hansemann), der zweite Acamas, den Etienne Halsdorf als sympathischen Weichling gibt. Demophon geht auf Brautschau und bringt vereinbarungsgemäß Persea, die Tochter des Magistraten aus Eleusis mit nach Athen. Dagna Litzenberger Vinet lässt ihre Griechin als selbstbewusste, den Männern abholde junge Frau aus dem 21. Jahrhundert in die Gesellschaft der darob hilflosen griechischen Sagengestalten plumpsen. Sie verführt Phädra, die sich anfangs wider eigene Gefühle spröde zeigt und rüde Sätze von sich gibt wie: „Du weißt nicht, dass ich auf Schwänze stehe.“ Irgendwann wäre das Glück aber perfekt, denn Phädra steht in Flammen. Die Liaison kommt jedoch ans Licht des Vollmondes, den Regisseurin Tina Lanik mit Stefan Hagenreiter (Bühne & Kostüme) wirkungsvoll an der Hinterwand auf- und untergehen lässt. Die große Stunde von Panopeus (Philipp Hauß), dem unheiligen Hohepriester, ist gekommen. Angeblich weiß nur er, was die Götter wollen; zumindest weiß er aber, was er selber will: Die Vernichtung von Phädra, die mehr über ihn weiß, als ihm lieb ist...

 Julian von Hansemann, Ernest Allan Hausmann © Marcella Ruiz Cruz

Julian von Hansemann, Ernest Allan Hausmann © Marcella Ruiz Cruz

Stefanie Dvorak, Norman Hacker, Annamária Lang, Viktoria Mezovsky, Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Stefanie Dvorak, Norman Hacker, Annamária Lang, Viktoria Mezovsky, Dörte Lyssewski © Matthias Horn

DIE BITTEREN TRÄNEN der mords überdrehten Petra von Kant

 Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Rainer Werner Fassbinders Versuch zu beschreiben, was Liebe nicht ist

„Ich mache keine Filme, ich werfe Bomben“, ist ein Zitat des 1982 verstorbenen Film- und Theatergenies Rainer Werner Fassbinder. Das Filmdrama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ löste seinerzeit, also 1972, eine ordentliche Detonation aus. Gezeigt wird darin ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben einer Modeschöpferin, die zwischen Kreativität und hysterischem Selbstmitleid zu einem Alterego des Drehbuchautors wird. Die darin beschriebene Petra von Kant war zwei Mal verheiratet und entdeckt mit der blutjungen Karin Thimm die Vielseitigkeit ihrer Gefühle. Sie verliebt sich in das Mädchen und macht aus ihr ein begehrtes Mannequin. Auf der Gegenseite kühlt die Beziehung jedoch rasch ab. Einen vorläufigen Schlusspunkt setzt die Rückkehr Karins zum Ehemann. Übrig bleibt eine Petra, die mit verletztem Stolz und der akuten Einsamkeit nicht umgehen kann. Die offen zu Tage getragene Verzweiflung kann jedoch nicht verhindern, dass sie – als Pointe Fassbinders – ein neues Abenteuer eingeht.

Obwohl schon viele Jahre über die Geschichte gezogen sind und sich die Gesellschaft krass gewandelt hat, wurde das dem Drehbuch zugrunde liegende Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder für das Akademietheater inszeniert. Regisseurin Lilja Rupprecht setzt Diskussionen und Annäherungen in einen kalt gefliesten Raum, ungemütlich, da vom Boden gegessen wird. In der ersten Szene schläft die Protagonistin zur Live-Musik von Viktoria Mezovsky / Jessica Choma unter einem Sessel ihren Rausch aus. Von ihrer Hilfskraft Marlene (Annamária Láng in einer stummen Rolle) wird Dörte Lyssewski als Petra wieder auf die Beine gebracht. Wirklich wach wird sie aber erst, als ihre Freundin Sidonie (Stefanie Dvorak) im Vorbeigehen Nina Siewert als Karin ankündigt. Der Blitz schlägt ein, als diese erscheint. Die Annäherung zwischen Petra und Karin erfolgt in subtiler weiblicher Zartheit, ohne jedoch in eine zu erwartende Erotik zu kippen; die Frauen bleiben mit ihrem Spaß aneinander lieber unter sich. Bis zur unvermeidlichen Trennung folgen Streitereien über das Wesen der Liebe, die sich jedoch in Klischees verfangen.

 Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski, Nina Siewert © Matthias Horn

Die bitteren Tränen der Petra von Kant, Dörte Lyssewski, Nina Siewert © Matthias Horn

Eine ernsthafte Antwort darauf könnte das Interview mit Fassbinder (Norman Hacker), geführt von Stefanie Dvorak, geben. Es bleibt aber ebenfalls in seiner Zeit unverbindlich stecken. Letztlich tauchen auch Petras Tochter Gabriele (Safira Robens) und Mutter Valerie (wieder Norman Hacker) auf und geben ihren Senf dazu. Das Unglück scheint perfekt zu sein, bis Karin anruft und Petra zum 45. Geburtstag gratuliert...

Dietmar König, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Dietmar König, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Der RAUB der SABINERINNEN Direktor Strieses Schmiere wird Programm

Dorothee Hartinger, Birgit Minichmayr, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Dorothee Hartinger, Birgit Minichmayr, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Hemmungslose Übertreibung will partout die Römertragödie in eine Komödie verwandeln.

Es ist die feinsinnige Abrechung zweier ernsthafter Theaterleute mit dem Ehrgeiz untalentierter Dilettanten. Franz und Paul Schönthan, beides Schriftsteller, Regisseure und Journalisten, hatten offenbar die Nase voll von Wichtigtuern, die ihnen ungefragt selbstgebastelte Machwerke zusandten oder aufdrängten. Dazu erfanden sie einen armen Hund von Theaterdirektor, der mit seiner Truppe von Stadt zu Stadt tingelt und nicht selten vor leeren Sitzreihen seine unterbezahlten Darsteller auf die Bühne hetzt. Dem um Existenz gleichermaßen wie um Kunst ringenden Prinzipal kommen der honorige Gymnasialprofessor und die von ihm verfasste Tragödie gerade recht. Dass über diesen Schmarren schon im zweiten Akt der Vorhang fällt, ist die zu erwartende Pointe. Dazwischen wird jedoch auf alle Seiten hin ziemlich rüde mit dem Knüppel der Ironie geschlagen, sowohl auf die spießbürgerliche Familie des Möchtegernautors als auch auf das ohnehin leidgeprüfte fahrende Volk.

Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Lukas Vogelsang © Marcella Ruiz Cruz

Lukas Vogelsang © Marcella Ruiz Cruz

Das allein wäre schon lustig genug. Svenja Viola Bungarten und Anita Vulesica haben jedoch noch eins draufgesetzt. Sie haben die Schmiere, die an sich nur für das Ensemble von Direktor Striese vorgesehen ist, auf die gesamte Inszenierung ausgedehnt. Als besonders origineller Einfall erschien Regisseurin Vulesica eine Umkehr der Geschlechterrollen. Was tut ein Schauspieler nicht alles für einen Lacher?! So wird der hilflose Prof. Gollwitz von Sabine Haupt und dessen überraschend heimgekehrte Gattin Friederike von einer eleganten Dame namens Dietmar König gespielt. Birgit Minichmayr ist Direktor Striese. Ihr wurde das originale Sächseln erspart.

Im befremdlich für ihren Job g´scherten hiesigen Dialekt zieht sie als unruhiger Geist die Fäden; mit dem Ergebnis hörbaren Schmunzelns. Dass sich endlich bei Rainer Galke als Weinhändlerin Groß das Publikum vor Lachen biegen wird, hat sich ebenfalls nicht ganz erfüllt. Dessen stattliche Erscheinung, noch dazu in mächtiges Schwarz gehüllt, flößt eher bangen Respekt ein. Stefanie Dvorak schafft es, die beiden Töchter Paula und Marianne stets in der jeweiligen Rolle erkennbar werden zu lassen. Mariannes Gatte, der zurückhaltende Dr. Leopold Neumeister und ruhige Pol in diesem Wirbel, ist Lukas Vogelsang. Dank der quirligen Haushälterin Rosa (Dorothee Hartinger) kann er sich von einer Familienfeier lösen und den Skandal seines Schwiegervaters erste Reihe fußfrei miterleben. Julian von Hansemann ist als Verlegenheitsmime Emil Groß am Scaterhelm erkennbar, einem ähnlich markantem Merkmal wie das Federkleid von Annemarie Fischer, die als Papagei vom Käfig aus für Ordnung im Text und letztlich für den Untergang des Dramas „Der Raub der Sabinerinnen“ sorgt.

Birgit Minichmayr und Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Birgit Minichmayr und Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Serge, Ensemble © Matthias Horn

Lilith Häßle, Inge Maux, Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

SERGE Wortwitz mit Auschwitz

Michael Maertens © Matthias Horn

Michael Maertens als Jean © Matthias Horn

Zynisch humoristische Aufarbeitung des Holocaust 80 Jahre danach

Yasmina Reza ist in Paris geboren, dort zur Schule gegangen und schließlich Schriftstellerin geworden. Wäre alles banal, findet sie, wenn sie nicht aus einer weit verzweigten jüdischen Familie stammte. Aber gerade diese Wurzeln erlaubten ihr einen besonderen, nämlich einen zynisch humorigen Blick auf das schrecklichste Geschehen, das ihren Vorfahren je widerfahren ist: auf den Holocaust. In „Serge“ stellt sie uns drei Geschwister als Abkömmlinge von Überlebenden der Shoa vor. Großvater, Großtante und Urgroßmutter sind in Auschwitz ermordet worden. Selbst sind Serge, Jean und Nana bereits am Rande des Pensionsalters und schauen auf ein Leben mit sehr wechselvollem Verlauf zurück. Serge hat eben seine Freundin Valentina verloren und versucht krampfhaft noch irgendwie Geld zu machen, um sich über Wasser zu halten. Jean steht ebenfalls vor einer Trennung und Nana strampelt sich ohne rechte Freude in ihrer Ehe und den zwei Kindern ab. Von Joséphine, der Tochter von Serge, kommt die Idee, das heute in Polen liegende Konzentrationslager Auschwitz zu besuchen, um eine allmählich erlöschende Betroffenheit in ihrem Anders-Bewusstsein als Juden wieder zu beleben.

Lilith Häßle als Marion © Matthias Horn

Lilith Häßle als Marion © Matthias Horn

Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

Yasmina Reza hat es geschafft, in einem Roman eine Reise voller bitterer Pointen zu erzählen und möglicherweise ihre eigene gegenwärtige Position mit diesem Teil jüdischer Vergangenheit abzuklären. Regisseurin Lily Sykes hat daraus eine Bühnenfassung erarbeitet, die seit ihrer Uraufführung im Akademietheater regelmäßig für ein volles Haus sorgt. Ein unpersönlich eingerichteter Warteraum wird mit seinen vielen Ausgängen in verschiedene Orte und Zeiten zum Treff- und Streitpunkt der Mischpoche. Michael Maertens als Jean steht dem Projekt Auschwitz eher distanziert gegenüber, was auch aus seinen trockenen Bemerkungen dazu hervorgeht.

Inge Maux, Martin Schwab, Michael Maertens © Matthias Horn

Inge Maux, Martin Schwab, Michael Maertens © Matthias Horn

Viel mehr hadert er mit der On-off-Beziehung zu Marion (Lilith Häßle), deren Sohn (alternierend Thomas Neumayer / Maximilian Kreuz) ihm ans Herz gewachsen ist. Nana (Alexandra Henkel) schließt sich der Gedenkfahrt nolens volens an, nicht ohne an ihrem Bruder Serge ständig etwas zum Nörgeln zu finden. Roland Koch verleiht der Titelfigur tatsächlich die müde Existenz eines Losers, der an unmöglichen Orten raucht und den Argumenten seiner Tochter Joséphine (Lilith Häßler) nichts entgegen zu setzen hat. Die einzig strahlende Figur ist Onkel Maurice (ungemein präsent: Martin Schab). Umsorgt von der resoluten Pflegerin Paulette (Inge Maux, auch als geheimnisvoll erscheinende jiddische Mamme) versucht er, den Jüngeren das Selbstbewusstsein eines Juden zu vermitteln. Aufgrund seines Alters und der Krankheit verlässt er aber die Familie, die nicht einmal im Falle seines Todes zu der ihrer Abstammung eigentümlichen tiefen Trauer und noch weniger zu einer von ihm gewollten Einigkeit findet.

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