Kultur und Weindas beschauliche MagazinBeppo Binder, Verena Barth-Jurca, Matthias Trattner, Anetta Szabó, Ensemble © Christian Husar TITANIC Ein Musical als Katastrophenbericht
Geschichten wie diese tragen vom ersten Moment den tragischen Ausgang in sich. Genauso wenig wie der Bote in Romeo und Julia jemals rechtzeitig mit der rettenden Botschaft zurückkommt, genauso unvermeidlich ist der Zusammenstoß der Titanic mit dem Eisberg. Da können noch so viele Romane verfasst, Filme gedreht oder in Sachbücher Analysen angestellt werden, am Ende steht gnadenlos der Untergang des als unsinkbar gehandelten Passagierdampfers am 15. April 1912. Um bei Jahreszahlen zu bleiben: Ab 1997 lief in den Kinos der Welt als einer der erfolgreichsten Streifen aller Zeiten TITANIC, dessen Soundtrack die Hitparaden stürmte. Im selben Jahr wurde in New York das gleichnamige Musical uraufgeführt. Wenngleich die Melodien kaum ohrgängig sind, die Komposition an sich etwas verstaubt wirkt und die Liebesgeschichten in ihrer Melodramatik mit der verfilmten Tränendrüse nicht mithalten können, schaffte die Zusammenarbeit von Peter Stone (Story & Buch) und Maury Yeston (Musik und Liedtexte) auf der Stelle fünf Tony Awards, erhielt Lobeshymnen von der Kritik als das „Beste Book of a Musical“ und „Best Original Score“ mit der Krönung als „Best Musical“ überhaupt.
Eine Ahnung von dieser Begeisterung stellte sich bei der Premiere am 24. Februar 2024 auf der Bühne Baden ein. In der Übersetzung von Wolfgang Adenberg inszenierte Leonard Prinsloo TITANIC mit dem Ensemble des Hauses und landete einen durchschlagenden Erfolg. Auf der von Carlos Santos nüchtern, aber praktisch gestalteten Bühne werden die einzelnen Ebenen ebenso sauber getrennt wie einst auf dem Dampfer. Es beginnt mit dem Heizraum und einem dort fleißig schaufelnden Robert David Marx. Weiter geht es mit fröhlichen Tänzen in der dritten Klasse am Unterdeck, einer nach oben strebenden zweiten Klasse und der erstaunlich wenig luxuriösen Umgebung für schwerreiche Passagiere, die in kürzester Zeit den Ozean übersetzen wollen. Darüber gibt es nur mehr die Kommandobrücke, besetzt mit Kapitän, Erbauer und Eigner des Schiffes. Artur Ortens ist E. J. Smith, dem die Führung dieses schwimmenden Riesen übertragen wurde. Er strömt Vertrauen aus und versucht nach Kräften die Ungeduld von Bruce Ismay zu bändigen. Als dieser lässt sich Reinwald Kranner jedoch nicht überzeugen und fordert ein stets höheres Tempo, auch ganz gegen die Bedenken von Thomas Andrews (Martin Berger), der um die Grenzen seiner Konstruktion weiß. Sebastian Brummer kann in seiner Eigenschaft als Funker noch so viele Eiswarnungen nach oben bringen, sie werden leichtsinnig verworfen. Bis es kracht!
Die Episoden unter den Passagieren nehmen in dem Moment Fahrt auf, als der Kasten zu sinken beginnt. Stefan Bleiberschnig reist als Jim Farrell mit seiner neu gewonnenen Liebe Kate McGowan (Missy May) dritter Klasse und wird im Trubel schmerzlich von ihr getrennt. Alice Beane (Verena Barth-Jurca) freut sich sogar im Rettungsboot noch darüber, mitten unter den Gattinnen von Legenden wie Astor und Guggenheim sitzen zu dürfen. Ihr Mann Edgar (Beppo Binder) hat sich mit seinem Schicksal als verlorener Zweitklassepassagier abgefunden. Ein bitterer Lacher ist die Szene, wenn er mit dem umsichtigen Chefsteward Henry Etches in Person von René Rumpold über die Ehefrauen hadert. Zu Herzen geht die Episode um Ida (Luzia Nistler) und Isidor (Darius Merstein-MacLeod) Straus, die nach vierzig Ehejahren gemeinsam in den Tod gehen und sich dieser unverbrüchlichen Zuneigung in einem der schönsten Songs des Musicals auf dem Promenadendeck versichern. So lange noch getanzt werden kann, hat auch das Ballett seine mitreißenden Auftritte. Wenn nach dem Untergang Überlebende und Tote in einem Tableau vereint über das Geschehen sinnieren, zeigt der Chor bemerkenswerte Stimmkraft. Begleitet werden alle vom solide aufspielenden Orchester des Hauses unter der Leitung von Victor Petrov. Die Bohème, Ensemble © Christian Husar DIE BOHÈME Große Musik für bittersüße Traurigkeit
Allein der Titel sagt es schon: „Die Bohème“ wird in Baden auf Deutsch gesungen. Ludwig Hartmann (1836-1910) hat den Versuch unternommen, dem Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa in einer Übersetzung gerecht zu werden. Es gibt dabei Vor- und Nachteile. Die Zuhörer, die selten über ein perfektes Italienisch verfügen, sollen verstehen, was in dieser Oper gesungen wird, müssen aber stets gewahr sein, dass Giacomo Puccini die Musik auf die Melodie des italienischen Textes komponiert hat. Hausherr Michael Lakner hat inszeniert und sich für die deutsche Fassung entschieden. Dazu hat er die Handlung in die Gegenwart verlegt, in das Paris von heute, wo die vier jungen Lebenskünstler ein Loft im Quartier Latin bewohnen. Diese Handlung verweigert sich aber einer solchen Zeitreise. Nur ein paar Details: Den Burschen ist kalt, also verheizt Rudolf ein beinahe fertig gestelltes Drama im Kamin. Haben sie den Ölradiator übersehen, den sie nur aufzudrehen bräuchten? Dem bedauernswertem Bernard (Beppo Binder) bleiben sie ja ohnehin Miete und damit auch Betriebskosten schuldig. Elektrizität gibt es im Haus, denn der Dichter arbeitet kurz darauf auf einem Labtop an einem Zeitungsartikel. Und die Nachbarin? Ist in ihrer Wohnung der Strom ausgefallen, als sie mit einer Kerze zum Anzünden auftaucht? Eine letzte Frage: Wird in Paris tatsächlich mit Vöslauer Mineralwasser angestoßen? Damit nun aber genug an Kritik zu dieser Premiere, die beim Publikum ausnehmend gut angekommen ist. Das Bühnenbild von Manfred Waba lässt von Paris träumen, mit freiem Blick zum Eiffelturm und grandioser Aussicht über das Häusermeer. Michael Zehetner schafft mit dem Orchester den eleganten Plüsch, der für Puccini unabdingbar ist. Dass dabei die Solisten zu gesanglichen Höchstleistungen gefordert sind, kann einer solchen Oper nur gut tun. Cornelia Horak ist eine Musette, die weiß, warum die Männer auf sie fliegen. Ihr Sopran setzt sich gegen die eifersüchtigen Vorhaltungen ihres Freundes, den Maler Marcel (Bariton Gezim Berisha), energisch durch. Bassist Krzysztof Borysiewicz als Philosoph Collin verabschiedet sich so herzergreifend von seinem Mantel, dass man ihm am liebsten einen neuen kaufen möchte.
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