Kultur und Weindas beschauliche MagazinDie biedermeierlich anmutende Bühne der Festspiele Stockerau © Johannes Ehn DER ZERRISSENE und dessen ungemein kurzweilige Fadesse
„Armut ist ohne Zweifel das Schrecklichste, mir dürft' einer 10 Millionen hinlegen und sagen, ich soll arm sein dafür, ich nehmet's nicht“, räsoniert Herr von Lips vor sich hin und empfindet an seinem unermesslichen Reichtum dennoch keine rechte Freud´. Er ist eben ein Zerrissener, der sich in seinem Gartenpavillon, anders als seine Freunderln, schrecklich fadisiert. Erst die unselige Idee, die erstbeste Wittib, die ihm über den Weg läuft, zu heiraten, bringt Schwung in sein Dasein. Denn bei besagter Dame handelt es sich um die Verflossene des Schlossers Gluthammer, der das Geländer eines Balkons reparieren soll. Die beiden Herren kommen ins Raufen und stürzen dabei in den Bach. Beide überleben, glauben aber, den anderen ermordet zu haben. Es bedarf einer Reihe turbulenter Begebenheiten, in deren Laufe aus dem bereits pathologisch Fadisierten ein kerngesunder Verliebter wird. Zuvor haben schon die Franzosen über diesen „L´homme blasé“ herzlich gelacht. Dank des unvergleichlichen Wortwitzes von Johann Nestroy wurde „Der Zerrissene“ auch in Wien zum Bühnenerfolg, der seit 1844 bis heute ungebrochen anhält.
Die Festspiele Stockerau dürfen zu Recht mit der Zugkraft dieser Posse mit Gesang rechnen, zumal Intendant Christian Spatzek in seiner Inszenierung diesen überaus populären Nestroy in Treue zum Original umgesetzt (u. a. mit stimmigen Kostümen van Babsi Langbein) und dabei selbst die Rolle des Schlossers Gluthammer übernommen hat. Sein Kontrahent ist Peter Edelmann als Herr von Lips. An den sauber intonierten Couplets (begleitet von Peter Uwira am Akkordeon) merkt man den Opernsänger, der ungeheuren Spaß daran hat, als Komödiant eine Figur zu verkörpern, deren komplizierter Charakter schon große Schauspieler herausgefordert hat. Er kann von Glück reden, dass ihn der gestresste Bauer Krautkopf (Bernd Spitzer) nicht persönlich kennt, so kann Herr von Lips bei ihm als Knecht anheuern und sich in sein Patenkind verlieben.
Der Floh im Ohr, Ensemble © Max Spitzauer DER FLOH IM OHR oder gaudig verhinderte Seitensprünge
Das Hôtel „Du Minet Galant“ hat einen großartigen Ruf. Der Arzt Dr. Finache schwört darauf, nur dort ideale Entspannung zu finden. Er ist Junggeselle und braucht sich um die Bedenken von braven Ehefrauen nicht zu kümmern, die allein schon im Namen dieses Etablissements höchste Gefahr wittern. Man könnte ihn, wie bei den Festspielen Stockerau geschehen, mit „Das verschmuste Kätzchen“ übersetzen, als allzu deutlichen Hinweis darauf, dass es sich um ein Stundenhotel handelt. Also wirklich, eine solche Einrichtung sollte für verheiratete Personen ähnlich abschreckend wirken wie das Weihwasser auf den Teufel. Gottlob sind dem Menschen jedoch Talente mitgegeben, die ihn den (vorübergehenden) Besuch eines der plüschig ausgestatteten Zimmer seelisch unbeschadet überstehen lassen. Wenn sich allerdings jemand auf ein solch delikates Abenteuer einlässt, sollte er mit den Usancen vertraut sein. Georges Feydeau (1862-1921), ein französischer Dramatiker mit Scharfblick, war in solcherlei Belangen zweifellos ein Profi und durfte sich in seinen pikanten Komödien über patscherte Amateure in Sachen Seitensprung köstlich lustig machen. In „Der Floh im Ohr“ lässt er versuchte Doppelmoral an einem äußerst perfiden Einfall scheitern: Der zutiefst treue Chandebise trifft im versoffenen Hausdiener Poche auf einen Doppelgänger, was umgehend tolle Verwechslungen zeitigt und am Ende jeden noch so gut gemeinten Versuch des Fremdgehens vereitelt.
Intendant Christian Spatzek hat für diese Produktion von Bühnenbaumeister Manfred Waba sowohl bürgerlichen Salon als auch das berüchtigte Hotel auf dem Stockerauer Kirchenplatz errichten lassen. Die Wechsel der Schauplätze sind dank der neu installierten Drehbühne einfach zu bewerkstelligen und ermöglichen ein dem Stoff entsprechendes Tempo der Inszenierung. Raymonde Chandebise (Dorothea Parton) fühlt sich von ihrem Gatten Victor Emmanuel vernachlässigt. Gewisse Indizien, wie Hosenträger, die aus besagtem Hotel ins Haus geschickt werden, erhärten den Verdacht, dass der Gute auswärts sinnliche Freuden zu genießen pflegt. Gemeinsam mit Freundin Lucienne (Andrea Spatzek) will sie den Ausreißer überführen. Ein Brief wird aufgesetzt – und gelangt prompt in die Hände des Falschen. Raymonde hat bereits ein Auge auf Hausfreund und Charmeur Romain Tournel (Heinz-Arthur Boltuch) geworfen und trifft just diesen unvermutet im verrufenen Milieu.
Unbemerkt von den Herrenleuten spielt sich im Personal ein ähnliches Drama ab. Der Diener Étienne (Gernot Kranner bringt mit einem Schuss Selbstironie seinen Kahlkopf ins Geschehen ein) liegt nicht ganz falsch, wenn er im Neffen des Hausherren einen Rivalen bei seiner Frau Antoinette (Barbara Kaudelka) vermutet, obgleich jener Camille mit einem gewaltigen Sprachfehler geschlagen ist. Géza Terner zieht genial komisch eine konsonantenlose Konversation durch. Eine vom Doktor (Paul Schmitzberger) gespendete Sprechhilfe wird ihm nach ein paar verständlichen Sätzen von Rugby (Goran David), einem Hotelgast im Kilt, per Boxhieb aus dem Maul geschlagen. Der Tumult, den Luciennes eifersüchtiger Gatte Carlos Homénidès dé Histangua (Christian Spatzek als schießwütiger Spanier) entfacht, lässt ein Auffinden des silbernen Gaumens schwer zu. Alfred Pfeifer in der Doppelrolle Chandebise/Poche hat ebenfalls einiges zu erdulden, vor allem dann, wenn ihn der rüde Hotelbesitzer Feraillon (Gerhard Karzel) kräftig in den Arsch tritt, ungeachtet der jeweiligen Identität. Dessen Frau Olympe (Angela Schneider) und dem Hausmädchen Eugénie (Natascha Ties) verbleibt nur verwundertes Zuschauen, ebenso wie dem per Knopfdruck auf dem Sündenpfuhl auftauchenden Scheinkranken Baptiste (Bernd Spitzer). Das Resümee: Unter dem mahnend zum Himmel ragenden Kirchenturm bleibt alles sauber jugendfrei und vor allem: Das Publikum hat seine Hetz. Statistik |