Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Lena Belkina (Johanna), Kristján Jóhannesson (Lione l) © Werner Kmetitsch

DIE JUNGFRAU VON ORLEANS scheitert mit großer Stimme an ihren Vätern

Lena Belkina (Johanna) © Werner Kmetitsch

Ein lebensbedrohlicher Fluch, von Gott zu einem Auftrag berufen zu werden

Fast möchte man dem Vater des Mädchens Johanna Recht geben, wenn er behauptet, dass die Wunderkraft seiner Tochter nicht vom Allmächtigen kommen kann. Warum sollte Gott ein Franzose sein? Seit dem 100jährigen Krieg und dem Kurzauftritt von Jeanne d´Arc hat diese durchaus historische Gestalt die Fantasie der Dichter beflügelt. Friedrich Schiller hat ihr in seinem großen Drama „Die Jungfrau von Orleans“ ein Denkmal gesetzt und darin versucht, eine Lösung von bis heute ungeklärten Fragen zumindest anzudenken. Er stellt uns eine Frau vor, die an ihren Vätern gescheitert ist. Der eigene Vater liefet sie dem Tribunal aus, Bischof und König ist es egal, was mit ihr passiert und der Vater im Himmel kann sich nur mit Engelschören für seine sonderbare Moralität ihr gegenüber entschuldigen. Pjotr Iljitsch Tschaikowski war von diesem Stoff begeistert und hat an Schiller angelehnt selbst das Libretto zur Oper „Die Jungfrau von Orléans“ (Russisch: Орлеанская дева, Orleanskaja dewa) verfasst. Mit seiner traumhaften Musik trägt er zwar nichts zur Lösung des Geheimnisses bei.

Martin Winkler (Erzbischof von Reims), Dmitry Golov nin (König Karl VII.) © Werner Kmetitsch

Aber er macht vieles verständlich, was mit Worten allein nicht auszudrücken ist. So schwillt im 4. Akt bei der Liebesszene von Johanna und Lionel die ganze Pracht eines voll besetzten Symphonieorchesters auf und beschreibt damit den schönsten Höhepunkt zwischen zwei Menschen. Es wird aber auch Hass und Niedertracht in unvergleichliche Töne gesetzt und konterkariert damit den zuvor erklungenen Jubel, der vom Chor (Arnold Schönberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner) und darüber schmetternden Solisten unübertrefflich scheint. Es ist Opernmusik, die Tschaikowski nach eigenen Worten als geringer erachtet als Symphonien und Sonaten, bei denen er völlig frei ist und keine Rücksichten auf Bühnenerfordernisse nehmen muss. Warum er trotzdem Opern komponiert, erklärt er damit, dass sie die Möglichkeit bieten, die Massen zu erreichen.

Willard White (Thibaut d’Arc), Lena Belkina (Johanna) © Werner Kmetitsch

Das bei dieser Oper ausverkaufte Theater an der Wien bestätigt Tschaikowski eindrucksvoll. Das Leading Team wird der Hauptgestalt angemessen von Frauen angeführt. Lotte de Beer hat inszeniert und Oksana Lyniv dirigiert mitreißend die Wiener Symphoniker. In einem Luftkampf besiegt Johanna Lionel, in den sie sich aber auf der Stelle verliebt und damit ihren eigenen Sündenfall heraufbeschwört. Das Blut der Entjungferung tränkt lange Stofffahnen, an denen sich das Volk ungeniert labt. Einige der Regieideen sind nicht so leicht verständlich. So treibt sich anfangs ein moderner Bürosessel auf der Bühne herum und vor ihrem großen Auftritt als Siegerin über die Briten bekommt Johanna von einer Dame im Outfit von Elisabeth I. eine Zigarette, die ihr so überhaupt nicht schmeckt. Der große Rest ist aber Romantik pur, vom dunklen Wald bis zum Baum, der eine ganze Reihe von Bedeutungen hat. Er ist Wundereiche, Herrschaftszeichen des Königs und wird anstelle des Scheiterhaufens im roten Licht zum Hinrichtungsplatz.

Gesungen wird in Russisch, mit deutscher Übersetzung in Leuchtschrift neben der Bühne. Man wird Zeuge von allgemeiner Stimmgewalt in ausnahmslos jeder der Solistenrollen. Willard White ist ein Bass, der dem von ihm dargestellten Vater auch im größten Trubel Gehör verschafft. Dessen Wunsch-Schwiegersohn Raimond singt Raymond Very mit überzeugendem Tenor und gibt sich ohne großen Widerstand gegenüber dem Geliebten der Jungfrau, dem burgundischen Ritter Lionel (Kristján Jóhannesson) geschlagen. Das königliche Paar Karl VII. und dessen erstaunlich warmherzige Geliebte Agnés Sorel sind Dmitry Golovnin und Simona Mihai.

Der Erzbischof von Reims (Martin Winkler) darf neben seiner geistlichen Aufgabe ungeniert blödeln, während Dunois (Daniel Schmutzhard) seine Aufgabe als französischer Edelmann stets ernst zu nehmen hat. Das große Erlebnis ist aber Lena Belkina, die mit unvergleichlicher Dramatik ihres Soprans die Johanna singt, sich vom frechen Teenager in die strahlend gerüstete Heerführerin und weiter in das zerbrechliche Mädchen wandelt, das nicht verstehen kann, dass ihre Liebe nicht gottgewollt ist.

Lena Belkina (Johanna), Kristján Jóhannesson (Lione l) © Werner Kmetitsch
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