Kultur und Wein

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Das Wiener Mittelalter direkt unter dem Stephansplatz

Blick in die Virgilkapelle  Foto: Kollektiv Fischka/Kramar mit Sabine Wolf © Wien Museum

Die Virgilkapelle, als neues Museum und uralter Andachtsraum zugänglich gemacht

Wie auch immer ein Besucher zu Glaube und religiösen Gefühlen stehen mag, der geheimnisvollen Ausstrahlung dieses kleinen unterirdischen Gotteshauses unmittelbar neben dem Stephansdom wird er sich kaum entziehen können. Von der Unterführung der U-Bahn-Station gelangt man zum jetzigen Eingang. Von dort steigt man über eine eiserne Wendeltreppe hinab, vorbei an den Radkreuzen in den Nischen und der Malerei, die auf den Bruchsteinwänden den Eindruck von Steinquadern vermitteln wollen. Der Blick von unten wandert entlang des im Verhältnis zur Grundfläche erstaunlich hohen Mauerwerks nach oben, um sich im Schwarz der darüber gezogenen Decke zu verlieren. Gotische Bögen über sechs Pfeilern verraten das hohe Alter dieses Sakralraumes, nicht aber seine eigentliche Nutzung. Sie bleibt ebenso ein Rätsel wie der Sinn und die Entstehungszeit des Brunnens vor der Ostnische. Keine Antwort gibt es auch auf die Fragen, wer der Bauherr war und ob die Kapelle mittels einer Treppe oder doch nur über eine Leiter zugänglich war.

Blick in die Hauptnische der Virgilkapelle © Kollektiv Fischka/Kramar mit Sabine Wolf © Wien Museum

Als Entstehungszeit wird 1220/1230 angenommen, aus 1246 stammt die Ausstattung mit Fugenmalerei und Radkreuzen. Man weiß von einer Wiener Kaufmannsfamilie, dass sie ihre Andachtskapelle mit einem Altar für den hl. Virgil ausstattete, und von einem Zwischengeschoß, dem „Neuen Karner“, in dem man die Gebeine aus dem aufgelassenen Stephansfriedhof verwahrte. Im Pflaster des Stephansplatzes sieht man noch den Grundriss der Maria-Magdalena-Kapelle. Sie war über der Virgilkapelle gebaut worden und diente der „Schreiberzeche“, einer Bruderschaft aller Schreiber und Notare der Stadt, als Andachts- und Versammlungsraum. Sie wurde 1781 nach einem Brand abgerissen. Der anfallende Bauschutt wurde in die Räume darunter gekippt. Ohne es zu ahnen, konservierte man mit dieser ungewöhnlichen Methode die Wandmalereien, die sich über 230 Jahre unversehrt im Boden erhielten.

 

Viele ihrer Geheimnisse wird die Virgilkapelle wohl weiterhin für sich behalten, trotz der intensiven Forschung, die man ihr in jüngster Zeit angedeihen ließ.

Wiederentdeckt wurde sie im Zuge des U-Bahnbaues 1973. Seit damals ist sie Standort des Wien-Museums, musste aber 2008 aufgrund eindringender Feuchtigkeit für die Öffentlichkeit geschlossen werden. Eingeschwemmte Salze hatten das Mauerwerk mit heute noch sichtbaren Folgen beschädigt. Mittlerweile ist es gelungen, das Raumklima bei knapp 70% Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren. Seitens des Wien Museums heißt es dazu, dass der Verfallsprozess allerdings nur eingedämmt werden kann, trotz Klimaanlage und neuesten technischen Methoden, die dazu beitragen, einen der besterhaltenen gotischen Innenräume Wiens möglichst lange zu bewahren. Seit Dezember 2015 kann die Virgilkapelle wieder besucht werden, die sich mit einer angeschlossenen, informativ gestalteten Schau als stimmungsvolles Museum des Mittelalters und, nicht zu vergessen, uralter Andachtsraum präsentiert.

Fundstück: Amulett mit der Darstellung eines Heiligen, 17./18.Jh.  © Wien Museum

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