Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


 Heldenplatz Franz Pätzold © Matthias Horn

Heldenplatz Franz Pätzold © Matthias Horn

HELDENPLATZ auf dem das Jubelgeschrei nie verstummt

Branko Samarovski, Inge Maux © Matthias Horn

Branko Samarovski, Inge Maux © Matthias Horn

Mit der NY-Subway von Borough Hall via Neuhaus und Wien in deutsche Wälder

Es ist eine wahre Flut an Ideen, mit denen Frank Castorf seine Neuinszenierung von Thomas Bernhards letztem Theaterstück „Heldenplatz“ überschwemmt hat. Für einen guten Teil der Zeit ist man auf Fernsehschauen angewiesen, weil das eigentliche Geschehen irgendwo drinnen stattfindet. Zwei Livecams übertragen zwar in raffinierten Großaufnahmen der Gesichter die Dialoge, die opulent gestaltete Bühne ist jedoch verwaist. Die Handlung, sofern man von einer solchen sprechen kann, spielt meistens in New York, genauer gesagt in Brooklyn bei und in der Subway-Station Borough Hall. Die Dekoration ist dementsprechend amerikanisch, mit patziger Reklame und Unmengen von Leuchtstoffröhren und in beängstigendem Rot darüber in Fraktur der aufmunternde Spruch: Umbringen soll ma Ihnen! Doch auch dort wird Hedwig, die Frau des in den Feitod gegangenen Prof. Josef Schuster, von Halluzinationen verfolgt. Es ist das Jubelgeschrei der Menschenmassen, als Hitler vom Balkon der Neuen Hofburg herab den Anschluss der Ostmark an das Deutsche Reich verkündet hat. Ihr Fazit: Heldenplatz ist überall!

Birgit Minichmayr, Marie-Luise Stockinger, Branko Samarovski © Matthias Horn

Birgit Minichmayr, Marie-Luise Stockinger, Branko Samarovski © Matthias Horn

Franz Pätzold, Marcel Heuperman, Marie-Luise Stockinger, Inge Maux, Birgit Minichmayr © M. Horn

Franz Pätzold, Marcel Heuperman, Marie-Luise Stockinger, Inge Maux, Birgit Minichmayr © Matthias Horn

Das Ensemble hat vielfältige Aufgaben zu erfüllen. Birgit Minichmayr webt mit langer Schleppe an schwarzem, sehr viel Bein zeigendem Kleid trauernd um ihren etwas eigenwilligen Gatten und auf der Flucht vor der Lärmkulisse des Heldenplatzes verzweifelt um den Eingang der Subway-Station. Der Waggon ruckelt gehörig und bricht später aus seiner Röhre aus, um durch verschneite deutsche Landschaften zu fahren. Es geht auch um das richtige Bügeln der Hemden des Professors. Eine an sich beschauliche Tätigkeit wird spannungsgeladen und ermöglicht in der Folge Franz Pätzold einen durchaus langatmigen Monolog, der sich mit dem stolzen und dennoch betrogenen Tod und den davon Betroffenen beschäftigt. Eine großartig innig spielende Inge Maux hat das Privileg, das jiddische Lied vom abgebrannten Shtetl anstimmen zu dürfen, während Marie-Luise Stockinger in Revuemontur angewidert Erdäpfel schält. Die längste Zeit wortlos sitzt Branko Samarovski in der Ecke, um später als todkranker Ehemann seiner schönen und jungen Frau zuzusehen, wie diese von einem Jüngeren umarmt und geküsst wird. Für Marcel Heuperman gibt es keine Schonung.

Wenn er zu Wort kommt, und das ist nicht selten, muss er brüllen, wie vielfach auch die anderen, die nur selten die feinen leisen Töne bemühen. Offenbar ist er ein beliebtes Opfer der Regisseure, die ihn wie auch in diesem Fall ganz ohne zwingenden Grund nackt auftreten und sein Zumpferl herzeigen lassen.

 

Inhaltlich sind es viele, fast zu viele Wahrheiten, die angesprochen werden, verpackt in tiefgründige, unzugängliche Symbolik. Stereotypen und Klischees wie „der Wiener“ oder „der Jude“ werden unreflektiert bemüht, wobei man Thomas Bernhard zugute halten muss, dass er 1988 von der heutigen ethnischen Zusammensetzung der Wiener Gesellschaft noch keine Ahnung haben konnte. Dafür kommen Ortschaften wie Neuhaus am kleinen Semmering ins Spiel, die unsereins längst kein Begriff mehr sind. Richtig aktuell wird das Ganze dann doch, wenn Onkel Robert überall Nazis ortet. Anscheinend verfügt diese zweifelhafte Spezies über eine die Zeiten überdauernde Kraft, die wie ein Flummi nach jedem Niederschlag wieder höher zu springen vermag.

Branko Samarovski, Birgit Minichmayr © Matthias Horn

Branko Samarovski, Birgit Minichmayr © Matthias Horn

 Die Zauberflöte, Wolfram Rupperti © Marcella Ruiz Cruz

Die Zauberflöte, Wolfram Rupperti imaginiert die Schlange © Marcella Ruiz Cruz

DIE ZAUBERFLÖTE Die Oper und auch wieder nicht die Oper

 Die Zauberflöte, Tim Werths © Marcella Ruiz Cruz

Die Zauberflöte, Tim Werths © Marcella Ruiz Cruz

Schikaneder und Mozart sind unverwüstlich und gewinnen sogar durch eine „Neuinterpretation“.

1791 gab es in den Wiener Theatern unzählige Zauberstücke. Das Publikum liebte diese Mischung aus Geheimnisvollem, Spannendem und vor allem Lustigem. Überlebt haben davon nur wenige. Abgesehen von den viel späteren Werken eines Nestroy oder Raimund ist uns nur mehr eines wirklich präsent. Es wurde zur populärsten Oper der Musikgeschichte, obwohl es eigentlich ein Singspiel ist. Seine Melodien sind Ohrwürmer, die Figuren gute Bekannte und der Inhalt bis heute eines der spannendsten Rätsel, das vergeblich seiner Lösung harrt. Gut, es hat auch zwei außerordentliche Väter. „Die Zauberflöte“ ist das Werk von Emanuel Schikaneder und Wolfgang Amadé Mozart. Darf man sich daran vergreifen und eine Art Satire daraus machen? Puristen mag es schütteln, aber Nils Strunk hat mit „Die Zauberflöte“ einen immens unterhaltsamen Abend geschaffen, mit einer schrägen Mischung aus Originalmusik und heutigen Klängen und vor allem mit eine Fülle an Gags, die manches zu erklären imstande sind, das sich erst in der radikal neuen Sichtweise erschließt.

 Die Zauberflöte, Katharina Pichler © Marcella Ruiz Cruz

Die Zauberflöte, Katharina Pichler © Marcella Ruiz Cruz

 Die Zauberflöte, Lilith Häßle © Marcella Ruiz Cruz

Die Zauberflöte, Lilith Häßle © Marcella Ruiz Cruz

Aufgrund des Erfolges ist die Inszenierung vom Kasino am Schwarzenbergplatz in das Haupthaus am Ring umgezogen, um dort die stattliche Anzahl von Plätzen auch in der x-ten Vorstellung noch verlässlich zu füllen. Der Untertitel ist englisch (The Opera but not the Opera) und besagt etwa, dass es sich um die Oper handelt, aber auch wieder nicht. Neben Nils Strunk haben noch Lukas Schrenk und das Ensemble daran mitgearbeitet. Ein solches Experiment braucht Darsteller, die neben solider Komik über eine einigermaßen sichere Gesangsstimme verfügen. Es beginnt mit der Ouvertüre, die hinter dem Vorhang eines Theaters auf der Bühne a cappella gesungen ertönt. Man kann blödeln, aber es darf nicht peinlich werden. So besteht Katharina Pichler als Königin der Nacht die Koloraturarie bravourös, indem sie vor den in die Stratosphäre aufsteigenden Tonkaskaden einfach den Mund offen lässt, schweigt und damit dankbar die Lacher entgegennimmt. Wolfram Rupperti hat einen soliden Bass, man hat den Eindruck, er wäre imstande, einen ernsthaften Sarastro zu geben.

Aber er verzichtet darauf zugunsten eines Gangsterbosses a la Al Capone. Als Monostatos beklagt Annamáriá Láng ihre Hässlichkeit. Dafür darf sie als Papagena (nach der Verwandlung von der Alten) und als eine der drei Damen, die sich um Tamino raufen, hübsch attraktiv sein. So begehrenswert schön, wie die drei tun, ist Gunther Eckes auch wieder nicht. Aber er beeindruckt Lilith Häßle als eine den Männern gegenüber eher skeptische Pamina so nachhaltig, dass sie mit ihm die lebensgefährlichen Proben besteht. Als Direktor der Truppe und als Papageno lässt Tim Werths redselig seinen coolen Schmäh rennen. Gäbe es nicht die drei Knaben, wäre es sowohl um ihn als auch um Pamina geschehen. Aber Nils Strunk selbst, Bernhard Moshammer und Jörg Mikula als Band ersetzen souverän die Sängerknaben und begleiten verlässlich Nummern wie „Circus Opening“ (Music: Nils Strunk), „Bohemian Rhapsodie“ von Freddy Mercury oder „Taminos Journey“ mit Ideen von W. A. Mozart, Falco und Dr. Dre and Snoop Dogg, die nahezu alle von Nils Strunk für diese erfrischende Neufassung adaptiert wurden.

Gunther Eckes, Lilith Häßle, Katharina Pichler, Annamária Láng © Marcella Ruiz Cruz

Gunther Eckes, Lilith Häßle, Katharina Pichler, Annamária Láng © Marcella Ruiz Cruz

 Sabine Haupt, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

Sabine Haupt, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

NOSFERATU Das vergebliche Warten auf Graf Dracula

 Markus Meyer © Susanne Hassler-Smith

Markus Meyer © Susanne Hassler-Smith

Wien liegt in Transsilvanien, wo Vampire in einer Klinik arbeiten.

Es fängt ja vielversprechend gruselig an: Untermalt von dumpfen Klängen wird auf schwarzem Vorhang das gespenstisch graue Gesicht einer Frau in zwei blutige Hälften geteilt. Der Anblick ist tatsächlich unangenehm, wird aber mit der Großaufnahme von Bibiana Beglau abgelöst, die mit einem eindringlichen Sermon zum allgemeinen Unbill des Daseins anhebt. Ihre Zähne sind spitz zugefeilt und die Lippen darüber bewegen sich neben dem von ihr gesprochenen Text. Um wie viel mehr beeindruckend wäre dieser Monolog, wenn er sauber synchronisiert wäre. Sie ist nur die erste einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und einem Herren, die einen überaus dramatischen Text immer und immer wieder repetieren, ohne dabei jedoch vom Fleck zu kommen. Als Dichterin dieser in ihrer Komplexität eher an übergroße Poesie gemahnende Dramatisierung von Bram Stokers Roman „Nosferatu“ zeichnet Gerhild Steinbuch. Sie hat das bluttriefende Geschehen – von einer nachvollziehbaren Handlung ist kaum etwas zu bemerken – in eine Klinik, angeblich die modernste ihrer Art, versetzt.

 Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Ensemble © Susanne Hassler-Smith

 Bibiana Beglau, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

Bibiana Beglau, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

Als Patient hätte man wenig Vertrauen in eine Nervenheilanstalt, die eher wie eine Lagerhalle aussieht. Es ist zwar ständig von einem Schloss die Rede, das von Sylvie Rohrer als die bereits in Kindertagen erträumte Stätte ihres Aufenthalts bezeichnet wird. Aber auch die ständig präsenten Projektionen mit verblüffenden Effekten und spektakulären Bildern (Tobias Jonas, Eugyeene Teh) lassen nie die Ahnung eines feudalen Wohnsitzes aufkommen. Er muss irgendwo nahe bei Wien liegen, denn von der Prater Hauptallee ist es nur eine kurze Zugfahrt nach Transsilvanien, wo ein Rudel Wölfe die Kutsche bedroht. Im Inneren dieser Klinik geht es grausam zu.

Eine Gräfin und deren Gehilfinnen treiben dort ihr sadistisches Unwesen an den Opfern (Sabine Haupt, Lilith Häßle, Elisabeth Augustin, Safira Robens, Markus Meyer); und das zwei Stunden lang, ohne einmal Dracula himself erscheinen zu lassen. Ein fledermausartiger Blutsauger wäre nicht im Sinne der Regisseurin Adena Jacobs. Sie und die Autorin wollten damit eine Neuinterpretation des bewährten Gruselstoffes erarbeiten. Die Schauplätze werden in einen einzigen verschmolzen, zu einem (Alb-)Traumhaus, dessen Mauern alle Grausamkeiten der Geschichte enthält. Sie werden an das Ensemble weitergeben, das mit vollem Einsatz nicht nur der Stimme, sondern auch körperlich klettert, fliegt, beißt oder sich am Boden wälzt. Die untoten und dennoch nicht lebenden Vampire, so kann man aus den dem Publikum eingetrichterten Textkaskaden schließen, sind lediglich die Sündenböcke für all das Ungemach, das je die Menschheit heimgesucht hat. Sie sind, so die Hautpaussagen der Inszenierung, die Fremden, vor denen wir uns in diffuser Ahnungslosigkeit fürchten, genauso aber auch die Monster, die in schlaflosen Nächten unsere Ängste wecken.

 Sabine Haupt, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

Sabine Haupt, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith

Felix Rech, Johannes Zirner, Maximilian Pulst, Nicholas Ofczarek © Matthias Horn

Felix Rech, Johannes Zirner, Maximilian Pulst, Nicholas Ofczarek © Matthias Horn

DANTONS TOD Wenn Spaßmacher ihre Oberclowns köpfen

Felix Rech, Nicholas Ofczarek, Annamária Láng © Matthias Horn

Felix Rech, Nicholas Ofczarek, Annamária Láng © Matthias Horn

Büchners Revolutionsdrama von der Regie zur Guillotine verurteilt

Aus den seltsam manieriert aufgesagten „Monologen“, zu denen der Text von Georg Büchner zerstückelt wurde, kann man mit gespannter Aufmerksamkeit zumindest entnehmen, dass die Protagonisten der Französischen Revolution bemüht waren, ihre Mordexzesse als Großtaten hehrer Moral zu verkaufen. Schauplatz dieser Bemühungen ist ein Halbrund, das die Nationalversammlung darstellen dürfte. Gleichzeitig ist es eine Zirkusarena, in der eine Schar von Clowns hüpfend und sich verrenkend ihr Unwesen treibt. Keine Sorge: Es ist nicht lustig! Bei dieser Art von Spaßmachern handelt es sich um Georges Danton (Nicholas Ofczarek), seinen Gegenspieler Robespierre (Michael Maertens) und eine Reihe von Persönlichkeiten, die in diesen verhängnisvollen Jahren Frankreich in einen Schlachthof verwandelt haben. Die drei Grundanliegen der Revolution wurden dabei mit Füßen getreten und in diesem gegenseitigen Abmurksen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in unverstellbarem Maß pervertiert. Die dazu getätigten Aussagen bringt der Souffleur (Ole Lagerpusch) auf den Punkt: „Die Aussicht auf die Guillotine ist langweilig.

Felix Rech, Maximilian Pulst, Ole Lagerpusch, Jan Bülow, Michael Maertens © Matthias Horn

Felix Rech, Maximilian Pulst, Ole Lagerpusch, Jan Bülow, Michael Maertens © Matthias Horn

Ole Lagerpusch, Ensemble © Matthias Horn

Ole Lagerpusch, Ensemble © Matthias Horn

Dieser Meinung war offenbar auch Johan Simons, wenn er das an sich großartige Ensemble einen ohnehin schwer zugänglichen Inhalt bis zur Unverständlichkeit zerhacken lässt. Etwas Farbe und Menschlichkeit in das in jedem Sinn düstere Geschehen bringen die drei Frauen Julie (Annamária Láng), Lucile (Marie-Luise Stockinger) und Marion (Andrea Wenzl). Der Rest ist jedoch problematisch und wird durch radikales Verstümmeln dieses Jugendwerks von Georg Büchner zur Herausforderung für manch einen im Publikum, der zwar einigermaßen historisch beschlagen sein mag, aber ohne vorangehende intensive Beschäftigung mit den detaillierten Abläufen in der Revolution selbst auf recht verlorenem Posten steht.

 Christoph Luser, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Itay Tiran, Mavie Hörbiger, Lili Winderlich

Christoph Luser, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Itay Tiran, Mavie Hörbiger, Lili Winderlich © Matthias Horn

DER MENSCHENFEIND Ein weinerlich verliebter Rechthaber

 Mavie Hörbiger, Ensemble © Matthias Horn

Mavie Hörbiger, Ensemble © Matthias Horn

Molière „halbszenisch“ in gnadenlosen Reimverserln

Marie und Alexander Urban von URBAN SCENTS haben für Martin Kušejs Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind“ einen exklusiven Duft kreiert. Ihr olfaktorischer Beitrag trägt die geheimnisvolle Bezeichnung „LE MISANTHROPE À LA FERME“ und soll wohl über die Nase einen Eindruck von den Parfums der oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft vermitteln, gegen die Alceste so energisch ankämpft. Also, Geruchsbelästigung ist es keinesfalls, eher erinnert es an eine ins Schwitzen gekommene Dame, die sich für den Besuch des Burgtheaters fein gemacht hat. Es handelt sich dabei um eine der Regieideen, mit denen die Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger bereichert wurde. Deren kurze Zweizeiler nach dem Motto „Reim dich, oder ich fress´ dich!“ stellen das Ensemble vor das Problem, nicht in lächerliches Leiern zu verfallen. Die Bühne ist schwarz, mit durchscheinenden Kunststoffwänden unterteilt und vorne mit einem seichten Wasserbecken für unmotiviertes Plantschen ausgerüstet. Dahinter weben Scharen von Komparsen in düsterer Partystimmung. Davor arbeiten die Hauptpersonen in „halbszenischer“ Weise mit bescheidenen Anklängen an die Gegenwart ihren Molière ab.

 Alexandra Henkel, Itay Tiran © Matthias Horn

Alexandra Henkel, Itay Tiran © Matthias Horn

 Itay Tiran, Christoph Luser © Matthias Horn

Itay Tiran, Christoph Luser © Matthias Horn

Die Damen Èliante (Lili Winderlich) und Arisnoé (Alexandra Henkel) müssen sich von Marvie Hörbiger als Célimène in treffendem Zynismus verarschen lassen. Sie steht im Gegensatz zu den anderen Frauen zu ihrer selbstbewusst lasziven Lebensweise, mit der sie die Männerwelt auf den Kopf stellt. In einem Rundbrief an ihre Verehrer Clitandre (Lukas Vogelsang), Acaste (Tilman Tuppy) und den Möchtergern Poeten Oronte (Markus Meyer) verspottet sie die Herren, einschließlich ihr Herzblatt Alceste, der aber der einzige ist, der sich nicht von ihr abwendet. Sein Credo ist die brutale Wahrheit, das rücksichtslose Urteil über die anderen, ohne sich um Beliebtheitswerte zu kümmern. Sogar Philinte (Christoph Luser) scheitert mit dem Versuch, seinem Freund Vernunft und Diplomatie beizubringen. Die einzige, die unter Umständen die Möglichkeit dazu hätte, ist Célimène. Alceste ist ihr verfallen, bis zur Verzweiflung und Weinerlichkeit über diese Schwäche. Als sie sich im Finale weigert, mit ihm in eine menschenleere Einsamkeit zu ziehen, bleibt Alceste nur mehr das Klavierspiel, das Itay Tiran grandios beherrscht und diesem Stück damit einen beeindruckend musikalischen Rahmen von Präludium und Ausklang verleiht.

 Maximilian Pulst © Matthias Horn

Maximilian Pulst © Matthias Horn

DIE NEBENWIRKUNGEN einer selbstauferlegten Sprachlosigkeit

 Regina Fritsch, Lilith Häßle, Markus Hering, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç © Matthias Horn

Regina Fritsch, Lilith Häßle, Markus Hering, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç © Matthias Horn

Ob Mumps oder Corona, jede Pandemie macht uns hilflos.

Jonathan Spector, ein US-amerikanischer Autor, dürfte über eine gewaltige prophetische Ader verfügen, oder war es das Theater in Berkely, Kalifornien, das ihn 2016 zu diesem Stück beauftragt hat. Jedenfalls hat er einige Jahre vor dem Auftreten des „China-Virus“ (© Donald Trump) die Hilflosigkeit vorausgesehen, die mit einer solchen Infektionswelle die Spalten in der Gesellschaft noch tiefer auswäscht, als sie ohnehin schon zwischen den Menschen klaffen. „Die Nebenwirkungen“ einer Mumpsepidemie bringen eine Privatschule ordentlich in die Bredouille. Soll man schließen, wenn ja, wie lange, und dürfen Kinder, die nicht MMR (Masern, Mumps, Röteln) geimpft sind, vom Erscheinen in der Klasse ausgeschlossen werden? Da sich das Lehrpersonal und die Verantwortlichen einem rigiden Kodex in korrekter, bzw. woker Ausdrucksweise unterworfen haben, fallen die Diskussionen entsprechend umständlich aus, besser gesagt, es ist unmöglich, irgend eine Meinung darzulegen, ohne den Auftrag des Genderns, der ethnisch unbelasteten Beschreibung der jeweiligen Herkunft oder weltanschauliche Gefühle zu verletzen; und machen „Entschuldigung!“ zum wichtigsten Wort des Abends.

 Markus Hering, Regina Fritsch © Matthias Horn

Markus Hering, Regina Fritsch © Matthias Horn

 Markus Hering, Maximilian Pulst, Lilith Häßle © Matthias Horn

Markus Hering, Maximilian Pulst, Lilith Häßle © Matthias Horn

So besehen stehen sich in der Übersetzung von Frank Heibert die fünf Protagonisten sprachlich selbst auf den Zehen. Regisseur Jan Philipp Gloger verortet das verbale Geschehen in ein Klassenzimmer, besser gesagt, in einen Kreis von Sesseln vor einer Tafel, auf der Markus Hering als Don den Oberlehrer mit der Kreide mimen darf. Als Vorsitzenden dieses auf Konsens basierenden Gremiums bleibt ihm nicht mehr als die sanfte Moderation zwischen diversen Ansichten, die sich, so kristallisiert sich immer deutlicher heraus, um den Impfzwang drehen.

Die anfangs treue Mitstreiterin Suzanna (Regina Fritsch) outet sich als ein Opfer der Impfung, da ihre Tochter daran verstorben ist. Auch Eli (Maximilian Pulst als der sportliche Typ) hat seine Probleme mit der Krankheit. Sein Sohn Tobias ist schwer betroffen. Aber er hat die Idee, ein Online-Forum einzurichten, um die Community bei ihren Beratungen mitreden zu lassen. Dieser improvisierte Auftritt auf dem Schirm eines PC ist zweifellos der Höhepunkt dieses Stücks. Während Don und die anderen vor der Kamera zu reden versuchen, klingeln am Rand die Reaktionen der Zuschauer herein und bringen eine Menge an erheiternden Beiträgen. Daneben geht eine Beziehungskrise beinahe unter. Die hübsche May (Lilith Häßle) hat ein Verhältnis mit Eli und fühlt sich an der Infektion von Tobias schuldig. Als ein Art Neutrum webt dazwischen die Neue durch diesen Ausschuss. Zeynep Buyraç bringt als burschikose Carina die Probleme am ehesten auf den Punkt, muss aber ebenfalls akzeptieren, dass das neue Schuljahr trotz aller offenen Fragen wie auch das alte mit einem harmlosen Willkommensgruß (bereits im Jahr von SARS-Cov-2) eröffnet wird.

 Regina Fritsch, Lilith Häßle, Markus Hering, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç © Matthias Horn

Regina Fritsch, Lilith Häßle, Markus Hering, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç © Matthias Horn

Meike Droste, Marie-Luise Stockinger, Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Langston Uibel, Gunther Eckes

Meike Droste, Marie-Luise Stockinger, Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Langston Uibel, Gunther Eckes © Matthias Horn

EIN SOMMERNACHTSTRAUM Irre Verwirrungen auf dem Autofriedhof

Marie-Luise Stockinger, Gunther Eckes, Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Oliver Nägele © M. Horn

Ein Sommernachtstraum im Burgtheater, Ensemble © Matthias Horn

Eine Komödie, die durch ihre „symphonische Ruhe“ besticht und erheitert.

Der Wald von Athen hat zwar für Liebespaare einen speziellen Zauber. Regisseurin Barbara Frey missbraucht ihn dennoch kaltherzig als Lagerstätte ausgedienter Autowracks und schafft damit eine illegale Deponie von Altlasten, die sich gleichermaßen auf Sperrmüll, Geister und Sterbliche bezieht. William Shakespeare selbst hat das dunkle Reich zwischen den Bäumen zu einer Begegnungsstätte von Elfen und Menschen reduziert. Dessen einzige, sehr unzuverlässige Beleuchtung ist der Mond, ein Himmelskörper, der an sich im Verdacht steht, für allgemeine Verrücktheiten zu sorgen. So wird es möglich, dass Oberon und ein Kobold namens Puck mit magischen Liebestropfen ihre Späße treiben können. Und die haben es in sich. Die edle Feenkönigin Titania verliebt sich unsterblich in einen Esel und zwei problematische Paare werden abwechselnd heiß und kalt durcheinander gewürfelt. Um dieses Tohuwabohu zu lösen, hilft nur mehr der Traum, über den die Betroffenen am Ende irritiert sinnieren. Es ist eben nichts als „A Midsommer nights dreame“, den keiner wahrhaben muss, aber dennoch nicht einfach vergessen kann.

Ein Sommernachtstraum im Burgtheater, Ensemble © Matthias Horn

Ein Sommernachtstraum im Burgtheater, Ensemble Handwerker © Matthias Horn

Dorothee Hartinger, Ensemble © Matthias Horn

Dorothee Hartinger, Ensemble © Matthias Horn

Wenn das Burgtheater sich eines derart oft gespielten Stücks annimmt, ist zur Recht Besonderes zu erwarten. Aus einer stringent ruhigen Personenführung und extrem abgekühlter Spielweise erwächst eine Komik, die jeden Gag, jede Pointe auf erstaunliche Weise unterstreicht.

Eher verwirrend – und damit zum Inhalt passend – ist die Mischkulanz der Geschlechter. Es spielt keine Rolle, ob Manderl oder Weiblein, wenn es darum geht, in der stattlichen Besetzungsliste zu sparen. So tritt Markus Scheumann sowohl als Theseus als auch als Titania auf und Sylvie Rohrer als Hippolyta und Oberon. Gunther Eckes und Sabine Haupt sind ebenso zwei sangesfreudige Elfen wie brave Laiendarsteller in der Rüpelkomödie. Dorothee Hartinger hat als Puck ihre Hetz mit Hermia (Meike Droste mit ausladend schwingenden Hüften), Lysander (Marie-Luise Stockinger), Helena (Lili Winderlich) und Demetrius (Langston Uibel). Einer, der alle Rollen übernehmen wollte und könnte, ist der Handwerker Zettel. Wenn sein Darsteller Oliver Nägele aber mit langen Ohren und dem Schwanz eines Esels auftaucht, ist es um seine Karriere als Mime fast schon geschehen. Aber ein wahrer Zettel lässt sich nicht unterkriegen und will seine vagen Erinnerungen als Ballade verewigt wissen, am besten begleitet von Josh Sneesby, der für die Live-Musik dieser Produktion verantwortlich ist.

Markus Scheumann © Matthias Horn

Markus Scheumann © Matthias Horn

Drei Winter, Ensemble © Matthias Horn

Norman Hacker, Barbara Petritsch, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç, Daniel Jesch, Branko Samarovski, Sofi Gavril, Regina Fritsch © M. Horn

DREI WINTER Dramatische Zeitreise durch Kroatien

Regina Fritsch © Matthias Horn

Regina Fritsch © Matthias Horn

Die Saga einer an sich unbedeutenden Familie als Spiegel entscheidender Ereignisse

Die 1977 geborene Tena Štivičić macht in ihrem Theaterstück „Drei Winter“ vieles verständlich, das uns als beinahe Nachbarn trotz vieler persönlicher Bekanntschaften mit in Wien lebenden Kroaten und beliebter Urlaube an deren Stränden nicht wirklich bewusst ist. Man könnte sagen, geht mich nichts an! Doch sobald sich der Vorhang des Burgtheaters hebt, hat sich anfängliches Desinteresse in Neugier verwandelt, bis zur Anteilnahme am Leben dieser Menschen, deren Schicksale sich trotz geographischer Nähe zu Österreich doch gründlich von den unseren unterscheiden. Grund für diese Wandlung im Publikum ist weniger der Text als die Inszenierung. Hausherr Martin Kušej hat selbst Regie geführt. Er gehört von seiner Herkunft der Minderheit der Kärntner Slowenen an und hat damit den entsprechend tiefen emotionalen Zugang zu dieser Geschichte. Aus den dreien macht er mit der ersten Projektion vier Winter, wenn er in erschütternden Aufnahmen den aktuellen Krieg in der Ukraine erschreckend spürbar werden lässt.

Nina Siewert, Tilman Tuppy © Matthias Horn

Nina Siewert, Tilman Tuppy © Matthias Horn

Norman Hacker, Regina Fritsch, Andrea Wenzl © Matthias Horn

Norman Hacker, Regina Fritsch, Andrea Wenzl © Matthias Horn

Tena Štivičić selbst hat diese Rückschau auf die Geschichte ihrer Heimat in der kalten Jahreszeit von drei für Kroatien entscheidende Jahre angelegt. Zagreb, 1945: Die Partisanin Ruža zieht mit Mutter Monika, Ehemann Aleksandar und dem Baby Mascha in ein Haus, das verstaatlicht und aufgeteilt wurde. Dort trifft die kleine Familie auf eine Daheimgebliebene, die Tochter eines aristokratischen Nazikollaborateurs. Karolina Amruš darf bleiben und dem Mann, einem Schneider, bei der Arbeit helfen. Schauplatz bleibt das ganze Stück hindurch diese Wohnung.

1990 diskutieren die nunmehrigen Mitglieder der Familie anlässlich des Ablebens der Mutter die über sie hereinbrechenden Veränderungen. Im Fernsehen wird der Auszug von Slowenen und Kroaten aus dem 14. Kongress des Zentralkomitees übertragen. Jugoslawien steht vor dem Zerfall, die Bevölkerung begehrt gegen das kommunistische Regime auf, ein Bruderkrieg zeichnet sich ab. 21 Jahre später versammelt sich dort die Familie zu einem Diner. Es ist der Vorabend der Hochzeit von Lucija mit dem Unternehmer Damjan. Angereist ist dazu ihre streitbare Schwester Alisa aus London. Mutter Mascha kocht ihre x-tausendste Mahlzeit und Vater Vlado steht ungebrochen zu einem persönlichen Entschluss, der ihn einst die Karriere als Historiker gekostet hat. Kroatien führt Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. In den Auseinandersetzungen kocht Ablehnung und Zustimmung zum Kapitalismus auf, der 2011 schon längst den radikalen Sozialismus abgelöst hat. Erzählt wird diese Familiensaga von einem vielköpfigen Ensemble, das die 66 Jahre in packender Weise erlebbar macht und die drei Stunden und 20 Minuten Spieldauer ungemein rasch verfliegen lässt.

Tilman Tuppy © Matthias Horn

Tilman Tuppy © Matthias Horn

Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn

Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn

DIE GEFESSELTE PHANTASIE Harfenist Nachtigall rockt die Burg

Maria Happel, Bless Amada © Matthias Horn

Maria Happel, Bless Amada © Matthias Horn

Übermütiger Song Contest um die Hand der schönen Hermione

Wenn Poeten unter einer Schreibblockade leiden, wer ist daran schuld? Ferdinand Raimund hat eine Antwort darauf gegeben. Jedoch, diese ist in einem Reich außerhalb unserer Vernunft angesiedelt, auf einer Blumeninsel, auf der dank einer ausschließlich dichtenden Bevölkerung eitel Wonne und Waschtrog herrschen. Dort gibt es Geister wie die beiden bösen Zauberschwestern, Lichtgestalten wie den Gott Apollo und die allseits allein seligmachende Phantasie. Die finsteren Kräfte sind glatt imstande, diese positive Kraft zu bannen und das Reich an den Rand des Untergangs zu führen. Gerettet wird das Eiland nur durch die Heirat der Königin, so sagt es das Orakel. Deren Auge ist auf den armen Hirten gefallen, der beim Aufpassen auf die Schafe zu Herzen gehende Gedichte schreibt. So mir nichts dir nichts will sie sich aber doch nicht binden und schreibt eine Art Song Contest aus. Das beste Poem wird ihre Hand, ihr Herz und die Krone gewinnen. Wie das Original-Zauberspiel ausgeht, ist kein Geheimnis, aber vor dem letzten Votum wird es noch einmal spannend. Die bösen Schwestern haben den versoffenen Nachtigall, seines Zeichens Harfenist in einem Wiener Wirtshaus, als Bräutigam engagiert. Nachdem sich die Phantasie in ihrer Gewalt befindet, ist er der einzige Kandidat und somit müsste es heißen: And the winner is...

Markus Scheumann © Matthias Horn

Markus Scheumann © Matthias Horn

Elisa Plüss, Sebastian Wendelin, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Elisa Plüss, Sebastian Wendelin, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Herbert Fritsch ist zwar Deutscher, hat aber genügend österreichischen Humor, um in diesem Feen- und Zauberreich über zwei Stunden und 15 Minuten eine virtuose Spaßgesellschaft ihre ausgelassenen Schwänke treiben zu lassen. Der Regisseur, Bühnengestalter und Musikchef kann sich auf ein Ensemble verlassen, das sich für keine Blödelei zu gut ist und über ein wahnwitziges Repertoire an verrückten Bewegungen verfügt. Was irgendwie zum Lachen reizt, wird angewendet. Tim Werths macht nicht nur als poetische Phantasie bella figura, er beherrscht zudem die ans Artistische grenzenden Silly Walks, wie man sie in der Qualität zum letzten Mal bei John Cleese gesehen hat. Jeweils eine Solonummer mit Sonderaplaus haben Markus Scheumann als Hofnarr Muh, wenn er eine ganze verrückte Rede auch von hinten aufsagt, und Sebastian Wendelin.

Als Harfenist Nachtigall gibt er im Wirtshaus zeitgenössische Kompositionen zum Besten. Sarah Viktoria Frick (Vipria) und Elisa Plüss (Arrogantia) sehen für ihren miesen Charakter durchaus hübsch aus, beherrschen Flugnummern und bringen mit dem verbiesterten Charme zweier lediger Schwestern genügend Unheil ins Geschehen. Ihre ersten Opfer sind der aufgeblasene Hofpoet Distichon (Gunther Eckes), der rundum fröhliche Afriduro (Marcel Heuperman) oder der dichtende Schuster Odit (Tilman Tuppy). Gegen das Herzblatt der Königin haben sie freilich keine Chance. Bless Amada ist der verkappte Königssohn und dichtende Schafhirte Amphio, der sich in Hermione verliebt hat. Maria Happel braucht nur aufzutreten und hat schon ihre Lacher. Sie besitzt den wundervollen Humor, sich selbst nicht ernst zu nehmen und dabei ernsthaft komisch zu sein. Ferdinand Raimund hat dem Stück zwar eine tiefe Wahrheit zugrunde gelegt, hätte es wohl aber akzeptiert, dass „in der ganzen Komödie nur 8 serieuse Scenen seyen“ (aus einem alten Theaterprogramm) und in diesem geglückten Fall nicht einmal eine einzige.

Tim Werths © Matthias Horn

Tim Werths © Matthias Horn

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