Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Dumitru Mădărășan (Méphistophélès) und Manuela Linshalm (Puppenspielerin) © herwig_prammer

GOUNODS FAUST Habjan-Puppen zwischen Unschuld und Hölle

Quentin Desgeorges (Faust) und Jenna Siladie (Marguerite) © herwig_prammer

Eine französische Fülle an Gefühlen im hehren Denkmal deutschen Theaters

Allein die erste Szene nach der mit herrlichen Melodien durchsetzten Ouvertüre macht klar, dass es hier in erster Linie nicht um den armen Tor geht, der alles studiert hat und dennoch so klug ist als zuvor. Die Librettisten von Gounods Faust (in Deutsch: Margarethe) fassten den ungestillten Wissensdurst des greisen Dr. Faustus in ein paar Sätzen zusammen, um ihn ohne Umschweife nach dem Giftbecher greifen zu lassen, von dessen Genuss ihn der Gesang fröhlicher Bauersleute im letzten Moment abhält. Jules Barbier und Michel Carré haben zwar Goethes Faust I als Unterlage für die Oper hergenommen, die Gewichtung aber ganz nach dem Willen des Komponisten auf die bitter-süße Romanze zwischen dem verjüngten Faust und Marguerite gelegt. Dadurch wurde Charles Gounod Gelegenheit gegeben, mit einfühlsamer Musik tief in die Gefühlswelt dieser beiden unglücklich Liebenden einzutauchen und ein opulentes Tongemälde zu schaffen, das seit der Uraufführung 1859 das Publikum in seinen Bann zieht und zu Tränen rührt. Der erfrischende Kontrapunkt ist Méphistophélès.

Jenna Siladie (Marguerite) ©_herwig_prammer

Er hat hörbar seine Hetz damit, als Vertreter der Hölle unter braven Menschen Verwirrung zu stiften. Ihr (französisches) Resümee läuft darauf hinaus, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr kein solches Verbrechen sein kann, um eine ledige Mutter, die in geistiger Umnachtung ihr Kind umbringt, der ewigen Verdammnis anheimfallen zu lassen. So lauten nach dem siegessicheren „Gerichtet!“ von Méphistophélès die letzten Zeilen des Textes, den ein Engelschor zu singen hat, auch „Gerettet!“

Chor mit Marguerite ©_herwig_prammer

In der Kammeroper wurde dieser so ganz andere Faust von Nikolaus Habjan inszeniert. Das heißt, es kommen seine mittlerweile legendären Puppen zum Einsatz. Die Sänger werden zu Puppenspielern und schaffen damit eine unwirkliche Welt, die sie selbst optisch unbedeutend werden lassen und die Konzentration auf ihre Stimmen lenkt. Diese wundersam irritierende Abstraktion setzte sich in der Walpurgisnacht mit einem putzigen Ballett neon-oranger Puppen an einem Seil fort.

In der Vorstellung am 5. Oktober 2019 wurde noch eine weitere Dimension eingezogen. Der Darsteller des Méphistophélès, Dumitru Mădăraşăn, war stimmlich verhindert. Für ihn war der Bassist Derrick Ballard als Sänger eingesprungen, während Mădăraşăn mit Assistenz von Manuela Linshalm die Figur des Teufels führte. Die zweite Hiobsbotschaft vor Beginn dieses Abends lautete: Quentin Desgeorges als Faust und Marguerite Jenna Silade sind indisponiert. Kurz gesagt:

Man hat es nicht bemerkt. Bei einem oder zwei Spitzentönen hatte der Tenor Desgeorges möglicherweise Probleme, meisterte aber grandios die ausladenden Arien dieser Rolle. Jenna Silade bot eine beeindruckende Gesangsleistung, während sie mit ihrem Alter Ego im Arm den Zudringlichkeiten des Charmeurs Faust vergeblich auszuweichen versuchte. Juliette Mars als Marthe Schwertlein, Ghazal Kazemi als Freund Siebel, Benjamin Chamandy (Wagner) und der kämpferische Valentin Kristján Jóhannesson fügen sich perfekt in ein Gesamtbild, das mit Überraschungen aufwartet. So singen die Soldaten von Ruhm und Gloria, während sie auf Krücken als Krüppel vom Kriegszug heimkehren und damit trotz des forschen Marsches eine klare Friedensbotschaft verkünden. Habjan scheut auch nicht zurück, Doppelmoral anzukreiden, wenn er die Puppe von Marguerite kreuzigen lässt. Dazu setzt das Wiener KammerOrchester unter Giancarlo Rizzi mit seiner raumbedingten Reduktion klangliche Glanzpunkte, aus denen die Soli der Klarinette besonders deutlich herausstrahlten.

Quentin Desgeoreges (Faust) ©_herwig_prammer
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