Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Das radierte Tagebuch, 1977-1990, Ausstellungsansicht

Das radierte Tagebuch, 1977-1990, Ausstellungsansicht

HERWIG ZENS Reisen, Totentanz und Tagebuch-Radierung

Herwig Zens, Apollo und Marsyas, 1987

Herwig Zens, Apollo und Marsyas, 1987

Zu Ehren des 80. Geburtstages postum die bisher größte Retrospektive

Es klingt wie die urösterreichische Wahrheit, dass ein Künstler erst tot sein muss, damit er die ihm zustehende Anerkennung erfährt. 2019 ist der 1943 in Himberg geborene Herwig Zens verstorben. Den Insidern war er zeitlebens ein Begriff, als Lehrer für Bildnerische Erziehung, später als Universitätsprofessor an der Akademie am Schillerplatz und damit für Generationen von Künstlern entweder nachahmenswertes Vorbild oder fruchtbarer Reibebaum. Sie wussten um seine Passion für die Druckgrafik, speziell die Radierung, die ihn – und das weiß man definitiv – tagtäglich in Anspruch nahm. Ab 1977 führte Herwig Zens ein Tagebuch, jedoch nicht mit Füllfeder oder Kugelschreiber, sondern mit dem Stichel auf einer Kupferplatte. Das hieß, die Ereignisse des jeweiligen Tages seitenverkehrt zu schreiben und zu zeichnen, um dann mit dem aufwändigen Prozedere des Drucks zu beginnen. Entstanden ist im Laufe von 40 Jahren die längste Radierung der Welt, bestehend aus 40 x 5 cm. großen Streifen, die aneinander gereiht im Gesamtdruck 40 Meter ergeben. Elf Meter davon sind nun in der Ausstellung „HERWIG ZENS. KEINE ZEIT“ (bis 14. April 2024, Kurator Nikolaus Kratzer) in der Landesgalerie Niederösterreich zu bewundern und sind gleichzeitig eine Gelegenheit, den Alltag eines ausgesprochenen Gemütsmenschen zu studieren.

Herwig Zens in seiner Radierwerkstatt, Foto in der Ausstellung

Herwig Zens in seiner Radierwerkstatt, Foto in der Ausstellung

Zens trifft Frohner. Und der Tod lacht mit, Ausstellungsansicht

Zens trifft Frohner. Und der Tod lacht mit, Ausstellungsansicht

Dieser Rekord ist nur die Ouvertüre für ein Gesamtwerk, das in seiner schier unglaublichen Vielfalt an Themen und Techniken einer diesbezüglich bisher weitgehend ahnungslosen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Es beginnt mit Porträts von Komponisten im expressionistischen Frühwerk, mit Veduten, also radierten Stadtansichten, die sich unter anderem den Bauten von Otto Wagner widmen, oder Skizzen, die im Zuge seiner umfangreichen Reisetätigkeit angefertigt wurden. Dazwischen hängen grafische Arbeiten von Alfred Hrdlicka, Erich Steiniger oder Alfred Kubin, die bereits zu einem der Hauptthemen von Herwig Zens hinführen. Es sind düstere Darstellungen, die von Francisco de Goya inspiriert wurden. Den „Lübecker Totentanz“, dessen Original bereits im 18. Jahrhundert verloren gegangen ist und dessen Kopie 1942 von Bomben zerstört wurde, hat Zens als Paraphrase nachempfunden und den Gemäldezyklus „Distler Totentanz“ als Auftragswerk des Arnold Schönberg Chores auf eine Motette des Chormusikers Hugo Distler geschaffen.

Herwig Zens, Keine Zeit, Ausstellungsansicht

Herwig Zens, Keine Zeit, Ausstellungsansicht

Auch der Tod eignet sich für einen Superlativ. Im Forum Frohner darf er sich amüsieren, zum einen über die kleinliche Angst der Menschen, über die sich sowohl Zens als auch Adolf Frohner in allem Respekt vor dem unvermeidlichen Ende unserer Tage ihre heiteren Gedanken gemacht haben, vor allem aber über die kleinste Radierung. Wieder ist es der Lübecker Totentanz, dieses Mal im extremen Miniaturformat, dessen genial reduzierte Figuren vom Papst abwärts bis zum Bauer von Gerippen zum lustigen Reigen aufgefordert werden. Eros und Thanatos feiern also fröhliche Urständ in dieser Begegnung zweier großer Künstler, deren Werke ebenfalls vom Leiter der NÖ-Kunstsammlung, Nikolaus Kratzer, ausgewählt wurden und mit Elisabeth Voggeneder vom Forum Frohner zur Ausstellung „Zens trifft Frohner. Und der Tod lacht mit“ (bis 1. April 2024) als lebensvolle Anregung zur Besinnung über die letzten Dinge arrangiert wurden.

Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart, Ausstellungsansicht

Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart, Ausstellungsansicht

KUNSTSCHÄTZE Barock bis Gegenwart mit Blick auf NÖ

Anton Romako, Mädchen mit Kaninchen, um 1877 (Detail)

Anton Romako, Mädchen mit Kaninchen, um 1877 (Detail)

Wenn für eine Ausstellung ins Volle gegriffen werden konnte...

Als sich 1922 die Hauptstadt Wien inmitten von Niederösterreich als Bundesland selbständig machte, galt es unter anderem eine gewaltige, vor 120 Jahren gegründete Kunstsammlung gerecht aufzuteilen. Als Experte für museale Sammlungswissenschaften und Leiter der NÖ-Kunstsammlung weiß Nikolaus Kratzer um die Modalitäten, die damals angewendet wurden. Ausschlaggebend war u. a. die Thematik auf den Bildern. Grob gesagt: Urbane Sujets blieben in Wien, ländliche Bezüge wurden Niederösterreich zugesprochen. Schlecht gefahren dürfte das Land damals nicht sein. Zudem wurde fleißig weitergesammelt, dass man heute stolz auf mehr als 100.000 Werke vornehmlich österreichischer Provenienz blicken kann. Nikolaus Kratzer hatte nun das Vergnügen, aus diesen reichen Beständen eine Ausstellung zu gestalten. Bescheidenheit wäre bei den ausgewählten Objekten falsch am Platz gewesen, also entschied man sich für „KUNSTSCHÄTZE VOM BAROCK BIS ZUR GEGENWART“ (11. Februar 2024) und wird dem Auftrag zum ehrfürchtigen Staunen voll und ganz gerecht. Ins Schwärmen gerät auch die Museumsdirektorin Gerda Ridler: „Wir präsentieren Meisterwerke, die selten und kostbar sind, einen hohen ideellen oder kulturellen Wert haben und allesamt viel über die (Kunst-)Geschichte unseres Landes erzählen.

Olga Wisinger-Florian, Fronleichnamsprozession in Bisamberg, 1893

o.: Olga Wisinger-Florian, Fronleichnamsprozession in Bisamberg, 1893

r.: Michael Neder, Porträt eines Kochs, 1845

Michael Neder, Porträt eines Kochs, 1845

Das älteste gezeigte Werk ist eine großformatige barocke Altartafel aus 1772, das jüngste die radikale Malgeste „Dance“ von Franziska Maderthaner aus 2021. Im weiten Bogen dazwischen werden die Besucher auf einem chronologischen Parcours vom zweiten in das erste Obergeschoss geführt, um in jeder der ausgewählten Zeiten auf große Namen zu treffen. Martin Johann Schmidt, oder kurz der Kremser Schmidt, gefolgt von Ferdinand Georg Waldmüller, Friedrich Gauermann oder Emil Jakob Schindler sind nur einige der Meister, die ihre damalige Welt in ewig gültigen Werken zeigen. Sie werden von expressiven Kräften im frühen 20. Jahrhundert und den in Niederösterreich geborenen Künstlern Oskar Kokoschka und Egon Schiele abgelöst. „Der letzte Mensch“ von Anton Hanak als verzweifelte Reaktion auf den Ersten Weltkrieg ist eine erschütternde Skulptur, die wie das Gemälde „Katastrophe (Niemals vergessen)“ von Sergius Pauser zum Nachdenken anregt.

Renate Bertlmann, Schneewittchen, 1988/89

Renate Bertlmann, Schneewittchen, 1988/89

Erwin Wurm, Declining, 2013

Erwin Wurm, Declining, 2013

Unterstützend dazu gibt es zwischen den Bildern und Plastiken immer wieder literarische Texte, ausgewählt von Walter Grond und Veronika Trubel. Es handelt sich meist kurze Zitate wie die Zeilen von Ernst Lothar, die Fassungslosigkeit ausdrücken: Vor der Oper blieb er eine Weile stehen. Dabei sah er, dass der gegenüberliegende Heinrichshof, in dessen Kaffeehaus er seine tägliche Schachpartie gehabt hatte, aus Fensterlöchern und verbrannten Ziegeln bestand. Die Ziegel glänzten in der Nässe. Er ging die Kärntner Straße hinauf, aber die Kärntner Straße gab es auch nicht mehr.“ Als Befreier aus der trüben Stimmung mag Erwin Wurm dienen, der eine Knackwurst zum Vierbeiner mit dem Titel „Declining“ verwandelt hat. Der ätzende Kommentar dazu stammt vom überzeugten Misanthropen Thomas Bernhard: Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig.

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