Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Das Waldviertler Hochland

Reblaus Express, Lebensader einer Entdeckungsregion

Eine Diesellok bringt den Reblaus Express vom Wein- ins Waldviertel

Die schönste Verbindung zwischen Weinkeller und Waldviertler Hochland

Retz ist der nordwestlichste Außenposten des Weinviertels. Genießer kennen die Stadt. Abgesehen von der Windmühle und dem Wein bietet Retz ein einzigartiges historisches Gesicht, das es sich fast ungestört bis heute bewahren konnte. Juwelen der Renaissance, wohin man in der Altstadt schaut. Sie sind jedoch nur der sichtbare Teil. Unter den mit Sgraffiti geschmückten Bürgerhäusern verbirgt sich nämlich eine geheimnisvolle zweite Stadt.

Retz vom Kalvarienberg aus

Die berühmten Retzer Keller durchziehen wie ein weites Labyrinth in mehreren Etagen den feuchten sandigen Boden, der es vielen Generationen erlaubt hat, ohne allzu großer Mühe ihre Stollen anzulegen. Retz war Handelsplatz und schuf sich in der Tiefe den idealen Lagerraum für den Wein aus der Umgebung, bevor dieser von Händlern in weite Teile Europas verfrachtet wurde.

Gotische Spitzbögen in den Retzer Kellern

Vom Retzer Bahnhof herauf sind es nur ein paar Schritte, um im wahrsten Sinn des Wortes in die erstaunlich bedeutende Geschichte dieser Stadt einzutauchen, in deren Vergangenheit hinab zu steigen und mit einem Glas Wein wieder das Tageslicht der Gegenwart zu begrüßen. Man kann aber auch gleich am Bahnhof bleiben und in den Reblaus Express einsteigen. Der Retzer Stadtbummel lässt sich auch an das Ende einer fantastischen Reise vom Weinviertel ins Waldviertel und retour verlegen. Von Mai bis Oktober bringt an Wochenenden und Feiertagen eine von einer Diesellok gezogene Schmalspurbahn ihre Passagiere in eine Gegend, die es mehr als wert ist, in aller Ruhe entdeckt und liebgewonnen zu werden.

 

Die Namen der Stationen mögen einem im ersten Moment wenig sagen. Es sind einfach Ortschaften, in denen seit Jahrhunderten Menschen ihre kleinen Landwirtschaften auf kargem Boden in rauem Klima betrieben haben. Viele davon sind abgewandert, nach Wien oder noch weiter.

Dazu kam das Auto, mit dem die Strecke zum Arbeitsplatz in der Bundeshauptstadt in einer guten Stunde erreichbar ist. Die Fahrgäste der Bahn wurden weniger und irgendwann die Strecke nicht mehr befahren. Mit der Betreibergesellschaft NÖVOG wurde die Bahn mit dem originellen Namen „Reblaus Express“ wieder „auf Schiene“ gebracht.

Reges morgendliches Treiben herrscht auf dem Bahnsteig, mit bereits bestens gelaunten Fahrgästen und einem Personal, das in freundlicher Eile Fahrräder verstaut, denn pünktlich um 09.30 Uhr setzt sich der Reblaus Express in Bewegung. Anfangs begleiten noch Kürbisfelder und Weingärten die Strecke, um allmählich dem Wald Platz zu machen. Melancholie ist jedoch unangebracht, der Wein bleibt ein treuer Reisebegleiter. Fürsorglich wurde die Garnitur mit einem Heurigenwaggon bereichert.

Der Waller ist gefangen

Jeweils ein Winzer aus der Gegend bietet in der fahrenden Buschenschank Brote mit Kürbisaufstrich, Brettljause und dazu Wein, wie es so schön heißt, „aus eigener Fechsung“ als Stärkung an.

Vor Hessendorf Anglerparadies, einer Station, die extra für Fischer und andere Lügner eingerichtet wurde, wird der Sinn der mitgeführten Angelruten und Kescher klar. Der Zug hält direkt neben einer Reihe von Fischteichen, und wer sich rechtzeitig wegen des Termins informiert hat, kann am Abfischfest teilnehmen. Das Wasser hatte man dafür in der Nacht vorher über die Schleusen behutsam abgelassen. Den ganzen Vormittag über ziehen unter Anleitung des Fischmeisters Männer mit sichtbarer Anstrengung ein Netz durch das nun seichte Gewässer.

Karpfen aus dem Anglerparadies

Sowohl im Teich selbst als auch am Ufer herrscht helle Aufregung. Drinnen sind es die Fische, meist stattliche Karpfen, die springend den verhängnisvollen Maschen entgehen wollen. Draußen sind es Zuschauer, die überaus regen Anteil am Geschehen im „kochenden“ Wasser nehmen. Eher träge bewegen sich dazwischen graue Gestalten im trüben Schlamm.

Mit einenm großen Netz werden die Fische eingeholt

Es sind Welse, die bei dem reichlichen Futter in diesen Teichen zu immenser Größe heran gewachsen sind. „Dort, der Waller!“ tönt es von der Galerie. Schon watet einer der Fischer Richtung Wels und versucht ihn mit bloßer Hand zu fangen. Gelingt es ihm, den mehrere Meter langen und bis zu 50 Kilogramm schweren Fisch zu bändigen, brandet Applaus in den Zuschauerrängen auf. Hilfe ist bald zur Stelle und etliche der Männer schleppen den Giganten ans Ufer, präsentieren ihn den Kameras und liefern ihn zum Abhäuten und Filetieren zum Verkaufstand vor Ort.

Im Klostergarten von Stift Geras
Kräuterpfarrer Benedikt mit ihren Majestäten, den Erdäpfelköniginnen

Der nächste Zug ab Hessendorf geht um 14.03 Uhr. Bis dahin hat auch der Nichtfischer eine herrlich gebratene Forelle verspeist und sich mit duftendem Räucherfisch eingedeckt. Das nächste Fest wartet bereits. In Geras wird dem Erdapfel aufgespielt und auf ihn getrunken. Alte Traktoren tuckern in einer Parade durch den Ort und sowohl dessen Lenker als auch die Kinder auf dem Anhänger winken einem Herrn in breitem Hut und weißem Habit besonders freundlich zu.

Es handelt sich um den Prämonstratenser Chorherren Benedikt, besser bekannt als Kräuterpfarrer. Ihn sollte man für eine Führung durch den Klostergarten und das Stift Geras gewinnen, um sowohl in die geheimnisvollen Kräfte der Pflanzen als auch in das unerschütterliche Vertrauen in die Providenzia, der gutmeinenden Vorsehung, eingeführt zu werden. Sie hat durch die bald 900jährige überaus bewegte Geschichte über das Stift (Gründung 1153) schützend ihre Hand gehalten

Sie hat dem Konvent immer wieder Mut gemacht, nach verheerenden Bränden und wirtschaftlichen Stürmen ihr geistliches Werk im äußersten Norden des Waldviertels bis heute fortzusetzen.

Der letzte Zug des Tages fährt um 17.23 Uhr von Geras-Kottaun Richtung Endstation Drosendorf ab. Man sieht schon von weitem die Stadtmauer, die bis heute vollständig erhalten ist und zur Bezeichnung „Stadtmauerstadt“ geführt hat. Das alte Drosendorf und die Pfarrkirche liegen unten an der Thaya, die den mächtigen Stadtfelsen eng umfließt. Oben konnte man sich erst wehrhaft einrichten, als man tief im Berg mitten neuen Ort Wasser gefunden hat.

Die Stadtmauer von Drosendorf

Ein Spaziergang auf dem Stadtmauerrundweg wird zur Begegnung mit einer Stadt, die trotz einer mächtig präsenten Vergangenheit auch in der Gegenwart lebt und vor allem ein überaus lebendiges Kulturleben entfaltet.

Natinalpark Thayatal mit Hardegg

Die Rückfahrt startet am nächsten Morgen zu einer christlichen Zeit. Um 11.50 Uhr setzt sich der Reblaus Express Richtung Retz in Bewegung. Man kann es sich bei einem Brunch im Heurigenwaggon ruhig gemütlich machen. Eine beschauliche Stunde lang geht es bis zur nächsten Station einfach durch Gegend zwischen Flur und Wald. Fad wird einem trotzdem nicht. Diese Reise lehrt Ruhe und Gelassenheit. Es genügen die Kirchtürme, die hinter den sanften Buckeln der Felder hervor lugen, oder der Spaß, wenn gleich darauf der scharfe Blick am Waldrand ganze Kolonien von Schwammerln entdeckt.

Pleißing-Waschbach oder Nieder Fladnitz sind die Stationen für den Nationalpark Thayatal. Wandern ist angesagt, im Herbst durch den von den Farben der Blätter verzauberten Canyon, den die Thaya verschlungen in den Felsen gegraben hat. Wo einst eine Grenze war, deren Überquerung durch den Eisernen Vorhang zum lebensgefährliches Unterfangen wurde, kann man nun über die Brücke bei Hardegg absolut sicher in den tschechischen Teil des Nationalparks radeln. Der Sportliche kann seine Kondition sogar genau auf dieser Trasse erproben, die noch vor 26 Jahren mit Stacheldraht und Mienen den Westen vom Osten getrennt hat. Oder besser, man bleibt einfach in Hardegg, besucht die Burg und inhaliert die unbeschreibliche Atmosphäre der kleinsten Stadt Österreichs.

 

Angeblich treibt sich in den Wäldern des Nationalparks ein in unseren Breiten längst für ausgestorben gehaltenes Tier herum. Sichtungen soll es bereits etliche gegeben haben, und seitens der Nationalparkverwaltung ist man ungemein stolz auf die Wildkatze.

Wildkatze im Nationalparkhaus

Ohne große Suche begegnet man einer überaus lebendigen Wildkatzenfamilie im Nationalparkhaus. Nach einer kleinen Einführung in Wildkatzenkunde und dem Beiwohnen der Fütterung ist man restlos überzeugt, dass sich die beiden Wilden namens Frieda & Carlo doch ganz anders aufführen als unsere zumeist faulen Zimmertiger. Die einzige Gemeinsamkeit ist, wie es scheint, die Verfressenheit.

 

Ankunftszeit des letzten Zuges in Retz ist 19.05 Uhr. Das Gepäck ist gefüllt mit ein paar Flaschen Wein aus dem Retzerland, mit geräuchertem Fisch und mit Erinnerungen an eine Region, die mit erstaunlich vielen Entdeckungen aufwarten und mit dem Reblaus Express auf vergnüglich genussvolle Weise bereist werden kann.

Die Thaya bei Hardegg

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