Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Großes Welttheater Raumausschnitt Archiv © Salzburg Museum/Luigi Caputo

GROSSES WELTTHEATER 100 Jahre Salzburger Festspiele kunstvoll inszeniert

Cornelius Obonya (Jedermann), Peter Lohmeyer (Tod) © Salzburger Festspiele/Forster

100 Jahre Festspielgeschichte sind auch 100 Jahre Europäische Kulturgeschichte

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler

Peter Simonischek war selbst über etliche Jahre der „Jedermann“ und kann es dennoch kaum glauben, dass ein Stück über 100 Jahre immer wieder gespielt wird, noch dazu bei ausverkauften Rängen und keineswegs für jedermann, der kaum Karten dafür ergattern wird. Es hilft auch nichts, wenn man sich früh anmeldet und einen der letzten freien Plätze reserviert. Stereotyp kommt die Antwort, dass das Begehr geprüft worden sei und der weder der Prominenz noch anderen privilegierten Gruppen angehörige Bittsteller nicht für würdig befunden worden wäre, das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ in Salzburg live zu erleben. Am 22. August 1920 fand erstmals eine Aufführung dieser mittelalterlichen Moralpredigt, bearbeitet von Hugo von Hofmannsthal, nach dem Willen des Regisseurs Max Reinhardt auf dem Domplatz statt. Es war quasi die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele und Reinhardt durfte später selbstbewusst behaupten, der Gründer dieses einzigartigen Festivals gewesen sein. Einer seiner Grundgedanken dabei: Die ganze Stadt wird zur Bühne gemacht.

Dialog mit dem Jüdischen Museum Wien © Salzburg Museum/Luigi Caputo

Schauplätze fanden sich zur Genüge. So entdeckte Reinhardt die Kollegienkirche, das von ihm geliebte Schloss Leopoldskron oder Winter- und Sommerreitschule, bzw. heute das Haus für Mozart. Zum Schauspiel kamen die konzertante Musik und schließlich die Oper. Was an Autoren, Komponisten, Regisseuren, Musikern und Sängern Rang und Namen hatte, erhielt hier mit einer Produktion oder einem Auftritt den Ritterschlag der internationalen Kulturszene. Salzburg war und ist damit Schauplatz des großen Welttheaters, wenngleich ein von Hofmannsthal verfasstes Stück mit dem Titel „Salzburger großes Welttheater“ wenig Anklang fand und bald wieder abgesetzt war.

Max Reinhardt, Johannes Reich und Hans Niederführ © Archiv der Salzburger Festspiele/Ellinger

Die Feiern zum Hunderter wurden heuer rüde aus bekannten Gründen gebremst. Eine Ausstellung im Salzburg Museum konnte jedoch, wenngleich verspätet, doch eröffnet werden. Als Salzburger Landesausstellung 2020 wird „Großes Welttheater – 100 Jahre Salzburger Festspiele“ bis 31. Oktober 2021 zu sehen sein und mit dieser Verlängerung – gebe Gott! – auch das Publikum erreichen, das in diesem Jahr aufgrund von Grenzsperren und Reisebeschränkungen keine Gelegenheit hat.

Kuratiert haben Martin Hochleitner (Direktor Salzburg Museum) und Margarethe Lasinger (Dramaturgie und Publikationen Salzburger Festspiele). Die Besucher werden in fünf Kapiteln durch das an Legenden, Triumphen, aber auch Skandalen reiche Säkulum geführt. Fragen werden aufgeworfen und Nachdenklichkeit wird eingefordert, jedenfalls wird aber die Schaulust befriedigt, die mit Opernausschnitten, Fotos und Kunstinstallationen die in jeder Weise „merkwürdige“ Geschichte der Salzburger Festspiele sichtbar macht.

„Großes Kino“ in der Säulenhalle bietet eine erste Orientierung. Der vom ORF produzierte Film (Redaktion Werner Horvath) ist eine Collage aus den von Wochenschauen und später dem Fernsehen festgehaltenen Höhepunkten, beginnend mit der Gründung entlang der Chronologie, immer eingebettet in einen historischen Kontext. Die Gäste der Landesausstellung dürfen beim Zuschauen auf den einfachen Klappstühlen wie bei der ersten Aufführung des „Jedermann“ im Kreise des damaligen Publikums Platz nehmen.

 

Weiter geht es ins Archiv in der Max Gandolph (einer der Fürsterzbischöfe) Bibliothek, aus dessen Fülle von den Gestaltern für jedes Jahr ein charakteristisches Objekt ausgewählt wurde. Ein Scheinwerfer der Jedermann-Aufführung von 1921, ein (nicht verwirklichtes) Modell des Festspielhauses von Clemens Holzmeister aus 1926, für 1935 der Wäschekorb aus Giuseppe Verdis „Falstaff“ oder das elegant schwarze Kostüm von Edita Gruberova als Königin der Nacht anno 1978 sind erfreuliche Nostalgie.

Alexander Moissi (Jedermann), Luis Rainer (Tod) © Archiv der Salzburger Festspiele/Ellinger

Weniger angenehm hingegen ist das Schreiben von Reichstatthalter Gustav Adolf Scheel an Heinrich Baron Puthon, in dem er 1942 die Liquidierung der Festspielhaus-Gemeinde fordert. Sonderbar berührt ist der Fan von Karl Böhm, wenn er im Jahr darauf vor dessen Dirigentenpartitur für die Uraufführung des Konzerts für Horn und Orchester Nr. 2 Es Dur von Richard Strauss steht. Für die jüngere Vergangenheit zeichnen eine Dose mit Theaterblut aus Luk Percevals „Schlachten“ nach den Königsdramen von William Shakespeare (1999) oder ein autographes Manuskript von Peter Handke, dessen dramatische Erzählung „Immer noch Sturm“ 2011 uraufgeführt wurde.

Yinka Shonibare CBE, The Bird Catcher’s Dilemma, 2019–2020 © Stephen White

Im 1. Obergeschoß begegnet der Zeitreisende Künstlern und Institutionen, die auf sehenswerte Weise auf den runden Geburtstag reagiert haben. Das Hausorchester, also die Wiener Philharmoniker, bieten zu psychedelischem Farbenspiel drei Sequenzen aus Konzerten, wie sie in den 1960er-Jahren gespielt wurden. Den Papageno hat der britisch-nigerianische Künstler Yinka Shonibare unter dem Motto „Der Vogelfänger bin ich ja ...“ vor einen Karren mit offenen Käfigen mit freien Vögeln gespannt.

Kritisch hinterfragt werden soll damit das Verhältnis europäischer Kultur und Kolonialismus. Berührend ist die Installation, die vom Jüdischen Museum Wien beigetragen wurde. Der erste Blick fällt auf die Idylle von Schloss Leopoldskron, um bei der Umschau die von den Nazis angerichteten Gräuel nicht nur an Max Reinhardt, sondern am gesamten jüdischen Teil dieser Festspiele und einer brutalen Aneignung der Kultur im Sinne des Nationalsozialismus mit Gruseln zu entdecken.

Abgelenkt davon wird man von „Don Giovanni kauft sich eine Lederhose“ in der Goldegger Stube von 1606 mit dem Boom für Trachtenmode der frühen Festspiele und mit trockenen Zahlenspielereien. So ist Christa Ludwig mit 183 Vorstellungen in 34 Jahren die Top Künstlerin, bei den Herren steht ihr Ricardo Muti mit 270 Vorstellungen in 49 Jahren gegenüber. „Le nozze di Figaro“ war mit 54 Saisonen die meistgespielte Oper und Wolfgang Amadé Mozart ist damit der Top Komponist.

Großes Welttheater Raumausschnitt Kunsthalle © Salzburg Museum/Luigi Caputo

Was wäre eine Inszenierung ohne Kulissen und Dialoge?! In „On Stage: Das Museum als Bühne“ in der Kunsthalle im Untergeschoß werden Festspielgeschichten erzählt. Man steht in der Felsenreitschule, mit historischen Kostümen in den Arkaden und einer penibel angelegten Fotodokumentation aller Produktionen der vergangenen 100 Jahre. Im angeschlossenen Studio denken laut jeweils ein Schauspieler und eine Person entweder aus dem Publikum oder aus der Hintermannschaft über das heikle Thema „Death and Birth in My Life“, oder auf Deutsch, wie auch gesprochen wird, über „Tod und Geburt in meinem Leben" nach, angeregt vom „Jedermann“.

So dringen Cornelius Obonya mit seiner damaligen Garderobiere Lena Sonnleitner oder die Buhlschaft von 1987 bis 1989 und Mutter von 2007 bis 2009, Elisabeth Trissenaar, mit Regisseur Hans Neuenfels weit in die Tiefen unserer letzten Fragen vor. Für Kinder heißt es „Vorhang auf!“ in kreativen Workshops, bevor es zu Ausschnitten vergangener Aufführungen geht und die Besucher je nach Laune und Muße Szenen aus „Der Rosenkavalier“ (Strauss), Così fan tutte“ (Mozart) oder „Saint François d'Assise“ von Oliver Messiaen genießen dürfen.

Regiebuch Handschriftliche Eintragungen von M. Reinhardt zum Jedermann © Salzburg M./Luigi Caputo
Großes Welttheater Logo 300

Statistik