Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Wiener Staatsballett, Ensemble © Ashley Taylor

Wiener Staatsballett, Ensemble © Ashley Taylor

DIE KAMELIENDAME eingehüllt in den Plüsch Frédéric Chopins

Ketevan Papava, Ensemble © Ashley Taylor

Ketevan Papava, Ensemble © Ashley Taylor

Zwei Altmeister als Magier von Choreographie, Inszenierung und Ausstattung.

Alexandre Dumas d.J. hat mit dem Roman „La dame aux camélias“ die Franzosen am Herzen gerührt und einen gewaltigen Erfolg gefeiert. Giuseppe Verdi hat unter dem Titel „La traviata“ eine der meist gespielten Opern komponiert und viele Jahre später John Neumeier mit seiner Choreographie von „Die Kameliendame“ dasselbe Thema kongenial für das Ballett umgesetzt. Seine Inszenierung wurde von Jürgen Rose mit einem gleichermaßen stimmungsvollen wie praktischen Bühnenbild und romantischen Kostümen ergänzt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Buch, das Tagebuch von Marguerite Gautier, einer der begehrtesten Kurtisanen von Paris. Im Rahmen einer Auktion wird die luxuriöse Einrichtung ihres Apartments versteigert. Neben Monsieur Duval erscheint auch dessen Sohn Armand, der von seinen Erinnerungen überwältigt zusammenbricht.

Ketevan Papava, Eno Peçi © Ashley Taylor

Ketevan Papava, Eno Peçi © Ashley Taylor

 Ketevan Papava, Hyo-Jung Kang, Herrenensemble © Ashley Taylor

Ketevan Papava, Hyo-Jung Kang, Herrenensemble © Ashley Taylor

Ausgehend von diesem Prolog wird die süß-schmerzliche Handlung nun vom Wiener Staatsballett erzählt. Es ist angeraten, sich jeweils mit dem Inhalt der drei Akte im Programmheft vertraut zu machen. Dank der klaren Inszenierung werden jedoch die einzelnen Szenen auch ohne das detaillierte Wissen nachvollziehbar. Im buntbewegten Wechsel von Corps de ballett und Solisten taucht man genussvoll in die leichtlebige Gesellschaft von Paris ein, bis ein Hustenanfall der Lebedame Marguerite auf den Ernst der Lage hinweist und Schlimmes schwanen lässt. Bei der Premiere am 24. März 2024 wurde Ketevan Papava zu Marguerite Gautier. Anfangs hängt an ihr noch Géraud Wielick als Graf N., der allerdings mit einer klatschenden Ohrfeige abserviert wird. Armand Duval (Timoor Afshar) hat mit seiner Sorge für die kränkelnde Dame schließlich deren Herz gewonnen. Marguerite kann sich vom hektischen Treiben der Bälle und der Zudringlichkeit ihrer Verehrer lösen. Sie zieht auf ein Landgut, das ihr ein Herzog (Rashaen Arts) zu Erholungszwecken zur Verfügung stellt. Dort trifft sie sich mit Armand und nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem Besitzer leben die beiden für kurze Zeit eine Idylle. Stocksteif erscheint Monsieur Duval (Eno Peçi), um seinen Sohn aus den Fängen dieser Hure zu lösen. Sie kehrt zu ihren Ausschweifungen zurück, um nach einem kurzen Aufflackern ihrer Lebenslust einsam zu sterben.

Timoor Afshar, Ketevan Papava © Ashley Taylor

Timoor Afshar, Ketevan Papava © Ashley Taylor

Als zweite Ebene wurde das Ballett „Manon Lescaut“ eingebaut. Es begleitet Marguerite wie ein Kommentar zu ihrem eigenen Leben und vermischt sich immer wieder in ihrer phantastischer werdenden Vorstellung mit der sie umgebenden Realität. Die stärksten Momente sind der berührende Pas de deux, in dem Marguerite und Armand einander in einem Liebesakt begegnen, und das Solo von Timoor Afshar, in dem er sein gesamtes Können in wilde Verzweiflung umsetzt. Die Musik dazu stammt von Frédéric Chopin, dem idealen Komponisten für gewaltige Emotionen und melancholischen Ausdruck, immer abgefedert von weichem Plüsch in Harmonie und Melodien. An den Klavieren sitzen Michał Białk (im Graben) und Igor Zapravdin, der an einem Flügel auf der Bühne zum fröhlichen Tanz aufspielt. Am Pult steht Markus Lehtinen, der Teile der beiden Konzerte und weitere Stücke für Klavier und Orchester mit dem Orchester der Wiener Staatsoper begleitet und damit diesen Chopin-Ballett-Abend musikalisch zu einem Erlebnis der Sonderklasse ergänzt.

drittes klavierkonzert, Mila Schmidt, Gabriele Aime © Ashley Taylor

drittes klavierkonzert, Mila Schmidt, Gabriele Aime © Ashley Taylor

THE MOON WEARS A WHITE SHIRT aus Klavier, Schlagzeug und Violine.

dandelion wine, Ensemble © Ashley Taylor

dandelion wine, Ensemble © Ashley Taylor

Ein Triptychon des Tanzes, zusammengehalten von drei choreographischen Interpretationen

„,Drittes Klavierkonzert´ ist ein Ballett über die Schwierigkeit zu lieben, Freund eines Liebenden zu sein und über unser aller Bedürfnis, oftmals mehr oder völlig anderes zu begehren und zu träumen, als wir zu erreichen vermögen“, gibt Martin Schläpfer seiner Arbeit als Erklärung mit, die den Abend in dier Wiener Volksoper mit dem englischen Titel „the moon wears a white shirt“ einleitet. Damit werden die Auseinandersetzungen in den Pas de deux und dem Corps de ballett nachvollziehbar. Mila Schmidt beginnt mit einem gefühlvollen Solo mit den noch einzeln zu ihr hinauf klingenden Tönen des Klaviers. Zu ihr gesellt sich Gabriele Aime, muss aber bald erkennen, dass er nicht erwünscht ist. Mittlerweile hat das Orchester die Begleitung von Alina Bercu, der Solistin am Flügel, übernommen. Immer mehr füllt sich die Bühne, immer wieder ist es ein ähnlicher Ablauf des Annäherns und Zurückstoßens. Es scheint, als hätte Alfred Schmittke bei der Komposition dieses in seiner Wirkung gewaltigen Konzerts für Klavier und Streichorchester an die von Schläpfer sichtbar gemachten zwischenmenschlichen Probleme gedacht.

drittes klavierkonzert, Ensemble © Ashley Taylor

drittes klavierkonzert, Ensemble © Ashley Taylor

dandelion wine, Ensemble © Ashley Taylor

dandelion wine, Ensemble © Ashley Taylor

Teil zwei ist die Umsetzung von Poesie in einer Kombination aus ungewöhnlichen Klangfarben und Tanz. „ligeti essays“ sind Gedichte des Ungarn Sándor Weöres, die von György Ligeti für Mezzosopran (Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller, Birgid Steinberger) vertont wurden. Da die Texte ungarisch sind, hat man die Möglichkeit, sie entweder zuvor im Programmheft in deutscher Übersetzung zu lesen und sich zu merken oder sich auf die Erzählkraft des Ballett-Ensembles in der spannenden Choreographie der großen Karole Armitage zu verlassen. „Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen“ als Angabe für die Instrumentierung klingt vielversprechend.

Sofern Schlagzeug und seltsam tönende Blasinstrumente zum Einsatz kommen, wird eine bunte, aufschlussreiche Klangkulisse geschaffen, die aber bald einer konventionellen Klavierbegleitung weichen muss, ganz so, als ob Meister Ligeti die Ideen ausgegangen wären.

 

Zum Titel des dritten Teils gibt es im Programmheft eine hübsche Geschichte. „dandelion wine“ ist ein von den Amerikanern geschätztes alkoholhältiges Sommergetränk aus Löwenzahnblüten und Zitrusfrüchten. Ebenso erfrischend ist die Choreographie von Paul Taylor zum Concerto für Violine & Orchester (Solistin: Bettina Gradinger). Ein in Gelb gewandeter Keisuke Nejime macht die Freude an einem sonnigen Tag fühlbar, folgt schwerelos den virtuosen Tonkaskaden der Violine und lädt mit weit offenen Armen die tanzende Kollegenschaft ein, es ihm an Heiterkeit gleichzutun. Wie auch in den anderen Teilen sind im Graben Mitglieder des Volksopernorchesters am Werk, geleitet von Christoph Altstaedt, der gemeinsam mit allen Beteiligten dem Mond ein geheimnisvolles weißes Hemd überstreift.

ligeti essays, Tessa Magda © Ashley Taylor

ligeti essays, Tessa Magda © Ashley Taylor

Elena Tschernischova, Giselle, Ensemble © Ashley Taylor

Elena Tschernischova, Giselle, Ensemble © Ashley Taylor

GISELLE und ihr fast zu Tod getanzter Liebhaber

Hyo-Jung Kang (Giselle) © Ashley Taylor

Hyo-Jung Kang (Giselle) © Ashley Taylor

Ein „fantastisches Ballett“, in dem es um das Tanzen an sich geht

Eine düstere (deutsche) Sage um enttäuschte Liebe und den gespenstischen Willis hat die Franzosen Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Théophile Gautier zu einem Libretto inspiriert, das von Adolphe Adam vertont und von Jules Perrot und Jean Coralli erstmals in eine Choreographie umgesetzt wurde (Uraufführung in Paris am 28. Juni 1841). Vom ersten Moment an geht es darin um das Tanzen. Man sollte meinen, eh klar bei einem Ballett. Hier trägt die Bewegung zur Musik jedoch die Handlung und stellt sich als ein Vergnügen heraus, das auch tödlich sein kann; für die tanzwütigen Franzosen tatsächlich ein schwer nachvollziehbarer Umstand. Aufgeschrieben hatte den Stoff ursprünglich Heinrich Heine. Darin wird erzählt, dass bei jungen Frauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind, in den von treulosen Geliebten gebrochenen Herzen die Tanzlust weiter schlägt. Als Willis steigen sie des Nachts aus ihren Gräbern, um an Wegkreuzungen zu tanzen und zufällig anwesende Männer so lange wild mit sich zu drehen, bis diese vor Erschöpfung tot umfallen. Das Bauernmädchen Giselle, sensibel und vom Tanzen besessen, wurde eine von ihnen, da ein inkognito erschienener Herzog, nachdem er ihr seine Liebe geschworen hatte, bei Erscheinen seiner Braut nichts mehr davon wissen wollte.

Katharina Miffek, Hyo-Jung Kang, Ensemble © Ashley Taylor

Katharina Miffek, Hyo-Jung Kang, Ensemble © Ashley Taylor

Hyo-Jung Kang, Esemble © Ashley Taylor

Hyo-Jung Kang, Esemble © Ashley Taylor

In der Wiener Staatsoper kehrte das Ballett „Giselle“ in der Choreographie und Inszenierung von Elena Tschernischova (1939-2015) mit der 90. Aufführung auf die Bühne zurück. Allein das romantisch realistisch gemalte Bühnenbild (Ingolf Bruun) holt das Publikum in die entsprechende Stimmung, das vom „genre villageois“ mit ausgelassenen Tänzen der Landbevölkerung zu den Gräbern im nächtlichen Wald, bevölkert von bleichen tanzwütigen Geistwesen, mitgerissen wird. Wolfgang Heinz am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper lässt die Farben des französischen Komponisten Adam leuchten und damit die Musik zu einer weiteren Erzählerin werden.

Eno Peçi war am 2. Oktober 2023 der eifersüchtige Wildhüter Hilarion, der seinen Verrat an den Protagonisten schließlich büßt, wenn ihn die Willis in den Tod tanzen. Brendan Saye als fescher Herzog Albrecht umwirbt mit virtuosen Schrittfolgen, Sprüngen und Hebefiguren die zarte Hyo-Jung Kang als Giselle. Er kann jedoch nur hilflos zuschauen, wenn dieses Mädchen nach einer grandios getanzten Wahnsinnsszene am Ende des ersten Aktes ihr Leben aushaucht. Ihre Liebe ist jedoch so stark, dass sie das Rachebedürfnis der Willis überwindet und den in ihre Hände geratenen Herzog in einem innigen Pas de deux bis zum Morgen überleben lässt. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Ballettabend in einem ausverkauften Haus, der mit seinem selbstverständlichen Bekenntnis zur „alten Zeit“ und großen Gefühlen verzaubert.

Hyo-Jung Kang, Brendan Saye © Ashley Taylor

Hyo-Jung Kang, Brendan Saye © Ashley Taylor

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