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C(H)ŒURS: große Leidenschaften, entfacht von Alain Platel

Verdi-Wagner, von Sängern getanzt, von Tänzern gesungen

Gerard Mortier war in seiner Eigenschaft als künstlerischer Leiter des Teatro Real Madrid an Alain Platel herangetreten. Der belgische Choreograf sollte für sein Haus eine Produktion schaffen, die sich auf die musikalischen Jahresregenten Verdi und Wagner bezieht. Platel wollte sich ursprünglich nichts damit anzufangen wissen. Mortier überzeugte ihn jedoch mit der Chormusik, zuerst von Guiseppe Verdi, in die sich Platel einhörte.

Schwerer fiel es ihm, Richard Wagner zu akzeptieren. Lösender Katalysator war der Gedanke, dass es sich bei den Chören um das Volk handelt und in diesem Punkt fanden sich für Platel Gemeinsamkeiten zwischen Verdi und Wagner. Mittlerweile, so gibt er zu, ist er ein Fan dieser beiden Komponisten, noch nicht Bach, aber nahe daran.

Zu den Chören kam das Herz, für den Belgier Platel Coeur, entstanden ist daraus C(h)œurs, eine beeindruckende Collage aus wuchtiger Musik, fein ziseliertem Tanz und großer Botschaft an die Menschheit. Alain Platel selbst bezeichnet C(H)ŒURS als „eine Hommage an das menschliche Dasein, an das Überleben, an das Verbinden von Verstand und Emotionen und an die Haltung, eine eigene Persönlichkeit im Angesicht einer Gruppe zu bewahren.“

So ist auch der stimmgewaltige Coro Intermezzo – Teatro Real Madrid Protagonist von C(H)ŒURS. Ihm gegenüber stehen die Tänzer von Platels „les ballets C de la B“. Sie erzählen durch expressive Bewegungen die großen Anliegen dieses Abends und schaffen durch überraschende Körpersprache auf der Bühne Bilder, die an Gemälde von Surrealisten erinnern. Die Musik dazu kam in St. Pölten aus dem voll besetzten Orchestergraben des Festspielhauses. Der Franzose Marc Piollet leitete die Niederösterreichischen Tonkünstler, die hörbar mit Freude an die vertrauten Melodien von Verdi und Wagner herangingen. Es handelt sich bei der Auswahl der Stücke tatsächlich durchwegs um alte Bekannte. Verdi ist hauptsächlich mit seiner „Messa da Requiem“ vertreten, Wagner mit dem Pilgerchor oder dem Vorspiel zu III. Akt aus „Die Meistersinger von Nürnberg“.

 

Die drei großen Gruppen waren perfekt aufeinander abgestimmt, obgleich es für den Dirigenten dabei nicht immer leicht ist, die Ideen Platels auch zu verwirklichen. Es gibt Fernmusik bei Verdi, wenn Trompeter im Tuba mirum vom Balkon herab die „Posaunen des Jüngsten Gerichts“ erschallen lassen oder der Chor im großen Saal hinter dem Publikum zu schmettern beginnt. Gänsehaut ist garantiert.

Die Stimmen der Tänzer sind in C(H)ŒURS ebenso gefordert wie die das tänzerische Talent der Choristen. Es herrscht Revolution, wenn die Damen und Herren des Coro Intermezzo als aufgebrachtes Volk über die Bühne wirbeln, und sie tun es ganz so, als hätten sie nie etwas anderes gemacht als tanzend zu singen. Mit einem Lächeln darf sich Platel heute erinnern, dass er für die Einstudierung ganze neun Tage zur Verfügung hatte.

Trotzdem hat er das Kunstwerk vollbracht, den an die kompakte Gruppe gewöhnten Chorsängern die Scheu vor solistischem Auftreten zu nehmen.

 

C(H)ŒURS wurde in St. Pölten mit Begeisterung aufgenommen (12. Oktober 2013). Es war erst die fünfte Aufführung dieser Produktion seit ihrer Premiere in Madrid 2012. Schade ist jedoch, dass solche musikalischen Großereignisse, denen doch ein riesiger Aufwand vorangegangen ist, man denke nur an die Probenarbeit des Orchesters, hoffentlich nur vorläufig keine Wiederholung erfahren dürfen.

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