Kultur und Wein

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Niklas Winter (Bertleby) © www.stefanjoham.com

Dead Letter Office – eine dunkelgraue Einbahn in Nichts

Aleksander Studen-Kirchner (Rechtswalt), Niklas Winter (Bartleby) © Peter Mann/www.pm-fotografie.at

Ich möchte lieber nicht! Aber das mit selbst zerstörerischer Bestimmtheit

„Wir alle müssen durch ein Nadelöhr, um gute Menschen zu werden“, antwortet Bartleby dem Rechtsanwalt, der ihn in freundlichstem Ton aufgefordert hat, doch durch ein solches zu gehen. Er sagt damit einen der vielen g´scheiten Sätze, die Herman Melville, Autor von Moby Dick, bereits 1853 geschrieben hat. Melville konnte nicht ahnen, wie aktuell die von ihm erfundene Gestalt des Bartleby 140 Jahre danach sein würde. Der junge Mann ist ein Karriereverweigerer, einer, der mit dem kurzen Satz „ich möchte lieber nicht“ jede weitere Arbeit ausschlägt und damit weder damals noch heute in eine von Profitdenken geprägte Gesellschaft passte bzw. passt. Die Umgebung ist ein Rechtsanwaltsbüro in New York, in dem die beiden Angestellten Schleinzer und Streiter im üblichen Bürofrust recht und schlecht ihre Arbeit erledigen. Ihnen wird von ihrem Chef eben dieser Bartleby vor die Nase gesetzt, der anfangs seine Sache toll erledigt, bis zu dem Tag, ab dem er „lieber nichts mehr tun möchte“ (I would prefer not to do!).

Niklas Winter (Bartleby) © www.stefanjoham.com

Der Rechtsanwalt hat Hemmungen, Bartleby einfach auf die Straße zu setzen; weniger aus gutem Herzen, als aus allgemein verständlich gemachten Gründen, die ihn sogar so weit bringen, sein Büro zu räumen. Bartleby, der sich mittlerweile ebendort eingenistet hat und höchst bescheiden lebt, kann nur mit Gewalt aus dem Bürohaus entfernt werden und stirbt kurz darauf im Gefängnis. Erst dann kommt dem Rechtsanwalt zu Ohren, was in Bartleby diese sonderbare Wandlung, die bis zur Selbstvernichtung führte, hervorgerufen haben könnte. Er hatte zuvor in einem Dead Letter Office gearbeitet, in einem Büro für unzustellbare Briefe. Er hatte Post zu bearbeiten, in der sich vielleicht ein Ring befand, dessen Adressat schon längst vermodert war, oder ein Geldschein in einer Währung, die es längst nicht mehr gab...

Helen

Die Gruppe WIENDRAMA hat die Erzählung „Bartleby, der Schreiber“ unter dem Titel „Dead Letter Office“ für die Bühne umgesetzt (Bernd Watzka) und ist damit derzeit auf Kleinbühnen Wiens erfolgreich unterwegs. Aleksander Studen-Kirchner, der auch Regie führt, lässt überzeugend den Rechtsanwalt an seinem Mitarbeiter verzweifeln. Immer wieder blitzt Mitgefühl durch, das aber an der Verweigerung Bartlebys, die in keine der gängigen Verhaltensmuster passen will, scheitert.

Helen Zangerle als Streiter ist zuerst dessen grobe Gegnerin. Im Verlauf der ans Surreale grenzenden Handlung wird sie jedoch zu einer Versteherin, kann dem armen Teufel aber ebenso wenig behilflich sein wie die Büro-Tussi Schleinzer (Julia Prock-Schauer), die einen solchen Kollegen bis zuletzt vehement ablehnt.

Der Antiheld Bartleby hat mit Niklas Winter einen idealen Darsteller gefunden. Mit Anzug, Krawatte und einer großen Portion Ehrgeiz macht er sich an die Arbeit, um von einem Moment auf den anderen alles abzulehnen, was ihm förderlich sein könnte. Dass er dabei die Sympathien auf seiner Seite hat, ist eines der kuriosen Phänomene dieses Stücks, das einen Menschen lebendig macht, der zu keiner Zeit in dieser Form zu existieren imstande gewesen wäre, ohne dabei ins Narrenhaus geliefert zu werden.

Niklas Winter (Bartleby), Julia Prock-Schauer © Peter Mann/www.pm-fotografie.at

Weitere Aufführungstermine:

19.4.2016 / Jazzclub Mio 16., Schellhammergasse 22/Ecke Yppenplatz

20.4.2016 / Rothneusiedlerhof (20.00 Uhr) 1100 Wien, Himberger Straße 53; Eintritt: pay as you wish

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