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das beschauliche Magazin


Das falsche Gesicht Ensembe © Rolf Bock

Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare – unerhört!?

Martin Gesslbauer (Marlowe), Johannes Terne (König James), Gerhard Rühmkorf (Shakspere)) © Rolf Bock

Ein Theaterstück als anschauliches Argument, scheinbar sicheres Wissen zu verwerfen

Tatsache ist, dass Stücke wie Hamlet, König Lear oder Der Kaufmann von Venedig geschrieben worden sind. Aber wer war der geniale Autor? „William Shakespeare, of course!“ wird man als Antwort auf diese offensichtlich blöde Frage erhalten. Trotzdem rumort es in den Tiefen der Wissenschaft schon geraume Zeit. Um einen der bedeutendsten, vielleicht den bedeutendsten Dramatiker der Literaturgeschichte ist eine Diskussion entbrannt, die bereits vor etlichen Jahrzehnten zur launigen Feststellung geführt hat, dass nicht Shakespeare der Dichter war, sondern ein Mann gleichen Namens. Entzündet haben sich die Vermutungen wohl an Erkenntnissen, die durch eine Öffnung der königlichen Archive gewonnen wurden. Demnach könnte der Verfasser dieser Dramen Christopher Marlowe gewesen sein und ein gewisser Shakspere nur sein Strohmann, der kurzerhand und um des schöneren Klanges willen zu Shakespeare umbenannt wurde.

Anke Zisak (Porcia), Martin Gesslbauer (Marlowe) © Rolf Bock

Gerald Szyszkowitz, Intendant der Sommerspiele Schloss Hunyadi in Maria Enzersdorf, ist den Gerüchten nachgegangen, hat penibel recherchiert und ist zur Überzeugung gelangt, dass diese so abenteuerlich klingende Theorie richtig sein müsste. Er hat dazu ein Buch verfasst und, um das Ganze auch anschaulich zu machen, ein Theaterstück mit dem provokanten Titel „Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare“. Exakt 400 Jahre nach dem Tod von Shakespeare wird also Wahrheit verkündet, die zwar von den meisten Experten abgelehnt oder eher noch ignoriert, aber angesichts der von Szyszkowitz aufgedeckten Fakten nicht leicht zu widerlegen sein wird.

Alfons Noventa (Lord Essex), Anita Kolbert (Elisabeth), Johannes Kaiser (Erzbischof) © Rolf Bock

So konfliktgeladen das Thema ist, so entspannt gibt sich das Stück – kurzweiliger Literaturunterricht mit verteilten Rollen. Felix Kurmayer als Moderator und Schauspieler Richard Burbadge erweist sich als Könner der musikalischen Improvisation, wenn er mit einem Saxophon die Handlung von einem Bild zum nächsten hinüberspielt. Damit ist für das Publikum Klarheit geschaffen und es kann sich darauf konzentrieren, wie es zu diesem Schwindel um Shakespeare kommen konnte.

Martin Gesslbauer ist der Teufelskerl Christopher Marlowe, der zwar gestottert hat, aber dem Secret Service genauso souverän gegenüber gestanden ist wie seinem Publikum. Es fällt ihm leicht, den guten William Shakspere zu überzeugen, Shakespeare zu werden. Gerhard Rühmkorf lässt nie einen Zweifel daran aufkommen, dass er keine Stücke schreiben kann, und unterstreicht gekonnt die Bescheidenheit des von ihm verkörperten Charakters. Die Tochter des Druckers, bei dem sich die beiden Herren treffen, ist Porcia Field (Anke Zisak).

Sie stünde so gerne auf der Bühne und hätte auch die körperlichen Reize, um Marlowe zu einer schönen Rolle überreden zu können, aber damals waren Frauen auf der Bühne einfach undenkbar. Mittlerweile würden wir uns wundern, wenn Elisabeth von England oder Eleonor Bull von Männern verkörpert würden. Gottseidank sind diese Zeiten vorbei und wir haben Gelegenheit, Anita Kolbert als verbiesterte alternde Königin und Michaela Ehrenstein als lebenslustige Witwe zu bewundern. Verpönt waren auch Sodomisten, wie sie damals bezeichnet wurden und nichts anderes als homosexuell waren. James von Schottland, der Nachfolger Elisabeths, war mächtig genug, um seine diesbezügliche Veranlagung leben zu können. Johannes Terne verleiht ihm beeindruckend Lebendigkeit und die Sympathie eines Menschen, der Schauspieler mehr als Kriege liebt. James rehabilitiert den wartenden Marlowe zwar, aus politischen Rücksichten aber unter anderem Namen und prolongiert damit das Verwirrspiel um „Das falsche Gesicht“ wahrscheinlich für alle Ewigkeit.

Michaela Ehrenstein (Eleonor Bull) © Rolf Bock

DAs weite Land Ensemble © Rolf Bock

Eine mutige Expedition durch „Das weite Land“ der Seele

Das weite Land Ensemble © Rolf Bock

Die Rückkehr von Schnitzlers tragischer Komödie an den Originalschauplatz

„Das weite Land“ ist nur einer von Arthur Schnitzlers Versuchen, den seltsamen Auffassungen von Moral und Ehre seiner Zeit, also des Fin de Siècle, bis in die ungeheuerlichsten Abgründe der Seele nachzuspüren. 1911, als diese Tragikomödie, wie er selbst das Stück bezeichnet hat, im Burgtheater uraufgeführt wurde, hatte Schnitzler (1862-1931) bereits die Erfahrung eines reifen Mannes, dem nichts Menschliches mehr fremd zu sein schien. Er war offenbar selbst am meisten darüber erstaunt, wie viel unlösbare Verwirrungen der einfache Versuch des Zusammenlebens bzw. des Zusammentreffens von Mann und Frau anrichten konnte. Immer wieder geht es um Liebe und Betrug, um Freundschaft und Hass, um Leben und Tod und um das unbeholfene Tänzeln zwischen den jeweiligen Antipoden. In diesem Fall ist es nichts anderes, aber doch ein vollkommen neuer Ansatz, mit der oberflächlichen Leichtigkeit abzurechnen, besser gesagt, auf das dünne Eis, auf dem sich die Gesellschaft bewegte, hinzuweisen.

Johannes Terne (Friedrich Hofreiter), Michaela Ehrenstein (Genia) © Rolf Bock

Der Wiener Glühbirnenfabrikant Friedrich Hofreiter ist ein Sir, ein Herr der feinen Gesellschaft, der einem Verhältnis außerhalb der Ehe nicht abgeneigt ist. Seine schöne Frau Genia ist Muse und Objekt der Verehrung für sensible junge Männer, von denen einer an ihrer ehelichen Treue zerschellt, der andere, der ambitionierte Fähnrich Otto, einem völlig unnötigen Duell mit dem gehörnten Ehemann zum Opfer fällt. Jeder hätte bestens weiterleben können. Hofreiter ist sogar erleichtert, dass er nicht der einzige Sünder in seinem Hause ist. Die blöde Ehre will aber eine Entscheidung, die der biedere Paul Kreindl in seiner Naivität am Tennisplatz herbeiführen will, die aber nach Ansicht Hofreiters nur mit Pistolen wieder getroffen werden kann.

Das weite Land Ensemble © Rolf Bock

Es gibt keine Duelle mehr und Ehebruch führt gottlob in den meisten Fällen zu einer zivilen Scheidung und einem neuen Partner. Trotzdem fasziniert dieses Stück, weil es von einer anderen, einer elegant abgehobenen Ebene herab ewige Wahrheiten auch für unseren Umgang mit Gefühlen und Einstellungen zum Leben verkündet. Dass „Das weite Land“ ausgerechnet bei den Sommerspielen Schloss Hunyadi auf dem Programm steht, hat, so Intendant Gerald Szyszkowitz, einen weiteren, ausgesprochen reizvollen Hintergrund.

Der Originalschauplatz des Stücks befindet sich in einer Villa im Süden von Wien, genauer gesagt in der Hinterbrühl. Schloss Hunyadi liegt in Maria Enzersdorf und damit nicht weit davon entfernt. Der malerische Innenhof dieses Schlösschens atmet bis heute die Atmosphäre einer Gesellschaft, die sich damals wie heute aus den lauten Häuserschluchten der Großstadt ins Grüne zurückgezogen hat.

 

Szyszkowitz hat selbst Regie geführt und die Fassade von Schloss Hunyadi ein zu eins als Kulisse übernommen. Johannes Terne gibt den Friedrich Hofreiter mit der Nonchalance des abgebrühten Seitenspringers, der jedes Problem mit einem überlegenen Lächeln und dem passenden Bonmot aus der Welt zu schaffen gedenkt. Seine Ehefrau Genia ist Michaela Ehrenstein, die mit spürbar mütterlichen Gefühlen ihrem jungendlichen Liebhaber (Sebastian Blechinger als schneidiger Fähnrich Otto) gegenübersteht.

Die Figur, die Ruhe in den Aufruhr zu bringen versucht, ist der Arzt Doktor Franz Mauer. Alfons Noventa verordnet ihm die wohltuende Ausstrahlung eines Sedativs, dessen Bemühungen aber unbelohnt bleiben. Erna (Johanna Machart) verliebt sich laut eigener Aussage in den weit älteren Hofreiter unsterblich, wird von diesem aber wie alle anderen Frauen in seinem Leben eher als mühsame Last überhöhten Charmes nach ein paar Liebesschwüren abgelegt. Frau Wahl (Anita Kolbert), Bankier Natter (Felix Kurmayer) und Gemahlin Adele (Christina Jägersberger) sind feinzüngige Kommentatoren, während Christine Renhardt als liebenswürdige Mutter von Otto und Pierre Gold als in jeder Beziehung unbefangener Paul Kreindl so weit es geht Normalität ins Geschehen bringen. Erfrischend ist der Ausflug nach Südtirol ins Hotel am Völser Weiher, wo man auf Wilhelm Seledec in der Rolle des Hoteldirektors Doktor von Aigner und dem Portier Rosenstock (René Magul) trifft, die einen guten Schuss Gemütlichkeit in dieses in seiner Tiefe doch ungewöhnliche Sommertheater bringen.

Johannes Terne (Friedrich Hofreiter), Christina Jägersberger (Adele Natter) © Rolf Bock

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Schloss Hunyadi © Rolf Bock

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