Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Leopold Dallinger, Bettina Soriat, Teresa Renner © Bettina Frenzel

Leopold Dallinger, Bettina Soriat, Teresa Renner © Bettina Frenzel

SHOCKHEADED PETER Junk-Oper als Strafe für böse Kinder

Katrin Fuchs, Georg Kusztrich © Bettina Frenzel

Katrin Fuchs, Georg Kusztrich © Bettina Frenzel

Erziehungsmaßnahmen von anno dazumal sehr schräg angepeilt

Sieh einmal her, da steht er, Pfui! der Struwwelpeter! Wer hat diesen wunderschönen Satz nicht im Ohr? Er wurde uns immer und immer wieder vorgelesen, bis wir ihn selbst entziffern und die wohlgereimten Zeilen aus der Hand des Herrn Dr. Heinrich Hoffmann auswendig hersagen konnten. Wir lernten, dass man People of Color, damals noch poetisch Mohren genannt, nicht wegen ihrer Hautfarbe verspottet und beim Daumenlutschen recht flott diese beiden Finger verliert. Wenn ein wilder Jäger vom Hasen in den Brunnen geschossen wird, empfanden wir es als erfreulich, aber genauso absehbar wie den Absturz des Hans Guck-in-die-Luft. Robert mit dem Regenschirm wurde sogar heimlich für seine Luftreise beneidet. Haben wir deswegen Schaden genommen? Heutige Kinder sind damit zu verschonen, meinen zumindest Psychologen und haben eine ganze Reihe von Argumenten an der Hand, warum die kleine Seele nicht mit derlei Grausamkeiten konfrontiert werden darf.

Das Opern-Orchester unter Béla Fischer jun. © Bettina Frenzel

Das Opern-Orchester unter Béla Fischer jun. © Bettina Frenzel

Bettina Soriat, Leopold Dallinger, Georg Hasenzagl © Bettina Frenzel

Bettina Soriat, Leopold Dallinger, Georg Hasenzagl © Bettina Frenzel

Deswegen ist empfindlichen Gemütern angeraten, sich die „Junk-Oper“ „Shockheaded Peter“ von den Tiger Lillies & Co. nicht anzuschauen. Im Gegensatz zum Original enden ausnahmslos alle Episoden letal. Aber einmal ganz ehrlich: Es wär´ ja nur halb so lustig, wenn der völlig uneitle Struwwelpeter die Attacke mit Kamm und Nagelschere heil überstünde oder der Zappel-Philipp unter der Tischdecke überlebte. Deswegen hat Marcus Ganser in seiner Inszenierung keine Brutalität gescheut, wenn er die kleinen Bösewichte einen nach dem anderen ins Jenseits befördern lässt. Als Moderator erscheint Georg Kusztrich in der Rolle eines dämonischen Theaterdirektors. Dazwischen trägt er als Schneider, Riese Niklas oder Fisch einen nicht unwesentlichen Anteil am tödlichen Geschehen bei und bietet damit Erziehungstipps vom Feinsten.

Denn die Eltern mit Bettina Soriat als Vater und Leopold Dallinger als Mutter sind heillos mit ihrem Nachwuchs überfordert. Sie können sich nur von Herzen erleichtert freuen, wenn der Suppenkaspar (Striptease bis zum Skelett: Teresa Renner), der böse Friedrich (Wüterich Georg Hasenzagl) oder Paulinchen (hört nicht auf ihre Katzen: Katrin Fuchs) endlich unter das Sofa gekehrt werden können. Kostüm (Anna-Sophie Lienbacher) und Maske (Gerda Fischer, Zoë Marvie) haben virtuos dazu beigetragen, dass Frisuren und Fingernägel wirklich garstig sind und die diversen Figuren ganz den Hoffmannschen Illustrationen entsprechend ihre Streiche spielen dürfen. Da es sich um eine Oper handelt, braucht es auch Musik. Béla Fischer jun. (Keyboard) erzeugt mit Sigi Finkel (Reeds), Hartmut Kamm (Gitarren), Robert Pistracher (Bass) und Fritz Rainer bzw. Matthias Lill (Percussion) exakt die turbulente Klangkulisse, die das Chaos dieser tiefschwarzen pädagogischen Lehrstunde so richtig verstärkt und mit dem Ensemble als wahrhaft launigen Abend voller Ironie und einem satten Schuss Zynismus über die Bühne fegen lässt.

Georg Kusztrich, Teresa Renner © Bettina Frenzel

Georg Kusztrich, Teresa Renner © Bettina Frenzel

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