Kultur und Weindas beschauliche MagazinThomas Marchart, Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch, Christina Saginth, Sam Madwar (Mödling), Ensemble © Bettina Frenzel LEONCE & LENA Des Königs Versuch, ungestört zu denken
Die Liebesgeschichte spielt in längst vergangenen Tagen, in denen das heutige Deutschland aus einer Vielzahl von Fürstentümern bestand. Einige davon waren so klein, dass man vom Königsschloss aus die Grenzen absehen konnte; behauptet zumindest Georg Büchner, das viel zu jung verstorbene Genie, das in seinem literarischen Schaffen seiner Zeit um ein gutes Stück voraus war. Das gilt auch für diese Persiflage, in der sich ein Prinz unendlich langweilt. Leonce hat nicht nur einen geistig sehr einfach gestrickten Vater, König Peter, sondern auch den Diener Valerio, der das Leben von der leichten Seite, besser gesagt, von der Weinflasche her zu betrachten pflegt. Als Leonce eine Unbekannte heiraten soll, tritt er mit Valerio die Flucht an. Dass die beiden dabei just auf die aus gleichem Grund ebenfalls abgehauene Lena treffen und sich die ohnehin füreinander bestimmten jungen Leute ineinander verlieben, ist der die Handlung tragende romantische Gag, der allerdings durch Büchners Text von einer zeitlos pointierten bis sarkastischen Abrechnung mit allgemein menschlicher Unzulänglichkeit weit überhöht wird. Das Regieduo Vanja und Peter Fuchs hat den seit der Entstehung 1836 verwichenen knapp zwei Jahrhunderten insofern Rechung getragen, dass ein flacher Hügel in der Mitte der Drehbühne als Raum genügen muss. Er wird zum Schlafzimmer des Monarchen, zum Spielplatz des Prinzen und in der Folge zu all den Schauplätzen, an denen sich Dramatisches, Heiteres und Närrisches um die beiden Königskinder Leonce & Lena abspielt. Christoph Prückner erwacht als König Peter vom Reiche Popo und wird von gesichtlosen Bediensteten ins Gewand geschüttelt. Er wäre ja so gut aufgelegt, wenn er nur wüsste, woran ihn der Knopf in seinem Taschentuch erinnern sollte. Sein Sohn hingegen hat den Blues. Adrian Stowasser lässt seinen Leonce virtuos durch einen stattlichen Monolog über Fadesse bis zu tiefer Melancholie taumeln, aus der ihn die verführerisch schöne Tänzerin Rosetta (Anaïs Marie Golder) vergeblich zu locken versucht.
Randolf Destaller, Hans Jürgen Bertram © Bettina Frenzel IN GOETHES HAND Sanfte Satire auf gottgleiche Verehrung
Der Schriftsteller Martin Walser konnte damit rechnen, von den klassischen Germanisten für dieses Stück heftig angefeindet zu werden. Ließ er doch gegenüber dem Größten seines Genres in deren Augen den nötigen Respekt vermissen. Walser zeichnet darin einen in die Jahre gekommenen Johann Wolfgang von Goethe als schrulligen Greis, dessen Lebenssinn nur mehr darin besteht, dass die von ihm begehrte Dame 20 und nicht 19 Jahre alt ist oder ob in seiner Gegenwart Brillen und Bärte getragen werden bzw. geraucht wird. Unterstrichen wird die Seltsamkeit durch den ihm hündisch ergebenen Famulus Johann Peter Eckermann. Der gute Mann verzichtet mit Wonne auf eigene Bedürfnisse. Seine Verlobte wird Jahrzehnte lang mit der Heirat hingehalten, das eigene dichterische Talent ordnet er dem verehrten Genius freudig unter und arbeitet ohne entsprechende Bezahlung an der Herausgabe des Gesamtwerks von Goethe. Walser hat den beiden so grundverschiedenen Gestalten „Szenen aus dem 19. Jahrhundert“ mit dem Titel „In Goethes Hand“ gewidmet und dabei nicht mit feiner Ironie gespart, weder bei Eckermann noch bei dem an sich unantastbaren Dichterfürsten.
Pof. Bruno Max, seit 25. Juni 2025 Träger des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst, hat dieses mittlerweile 45 Jahre alte Stück auf seine Bühnen geholt und selbst inszeniert. Abgesehen davon, dass sich kaum mehr jemand darüber echauffiert, dass Goethe darin „einseitig entstellt“ würde, ist es doch eine unterhaltsame Unterrichtsstunde in den Nebensätzen deutscher Literatur wie z. B. Eckermanns „Gespräche mit Goethe“. Mit der von Robert Notsch gestalteten Bühne lassen sich im Handumdrehen die zahlreichen Schauplätze verwirklichen. Es beginnt mit der Aufbahrung Goethes, wo dessen Schwiegertochter Ottilie (Johanna Rehm) und Eckermann Wache halten.
Unten durch, Ensemble © Bettina Frenzel UNTEN DURCH Eine Komödie als Anstoß der Erinnerung
Bombenalarm und Granatentreffer haben im April 45 die Wiener, kriegsbedingt zumeist Kinder, Frauen und alte Männer, in die Luftschutzbunker hinabsteigen lassen. Gemeint waren mit diesen Orten der Zuflucht notdürftig befestigte Keller, die nicht selten selbst zu einem Massengrab wurden, wenn das Haus darüber durch einen Einschlag zur Ruine wurde. „Verschüttet“ war ein gängiges Wort in diesen Tagen, und wer aus den Trümmern gerettet wurde, hat ein lebenslanges Trauma mit sich herum getragen. Am 13. April war die Schlacht zu Ende. Die Sowjets hatten Wien befreit. Die Wehrmacht mit der gefürchteten SS und die Nazi-Bonzen waren vertrieben. Es durfte an Frieden gedacht werden, und an den Wiederaufbau eines zerstörten Landes, das nach der Bezeichnung Ostmark nun wieder Österreich hieß.
In diesen schrecklichen Tagen handelt „Unten durch – Eine Komödie vom Anfang des Friedens“. Man hat richtig gelesen, eine Komödie, ein Theaterstück zum Lachen. Der 1938 in Wien geborene Heinz R. Unger hat es geschafft, Erinnerungskultur ohne jeden Zynismus als Unterhaltungsprogramm aufzuarbeiten. Dabei hätte es unzählige Möglichkeiten zu bitterer Abrechnung gegeben. Tausende Wiener waren überzeugte und vor allem aktive Nationalsozialisten gewesen, die ihre Einstellung doch nicht von einem Tag auf den anderen ablegen konnten. Jetzt waren sie die ersten, die lauthals den Opfermythos propagierten, obwohl sie sieben Jahre zuvor dem Führer zugejubelt hatten. Die meisten von ihnen blieben in Amt und Würde und trugen dazu bei, dass ihre Missetaten unter einer Decke des Vergessens viel zu lange begraben blieben. Aber Unger hielt sich lieber an die kleinen Leute, die mit den großen Verbrechen nur am Rande zu tun hatten, oder selbst Opfer waren, wie die Juden, die als U-Boote überlebt hatten. Er erzählt anschaulich ihre Geschichte, die durchaus auch komische Elemente enthält und damit zur Erinnerung nicht nur einlädt, sondern vielmehr eine annehmbare Verpflichtung ist. Einer dieser Mitläufer ist Herr Böhm, der sich vom Träger der roten Schleife mit Hakenkreuz zum Luftschutzhelfer mit weißer Armschleife gewandelt hat. Georg Kusztrich lässt ihn als sympathischen Gschaftlhuber die ihm anvertrauten Mitbewohner in die Sicherheit des Wiener Untergrunds führen. Regisseur Marcus Ganser selbst hat die weitläufigen Kellergewölbe als bedrückenden Wanderweg durch beredte Dunkelheit auf die Bühne gestellt. Dort befinden sich bereits die Sozialistin Frau Zapletal (Christina Saginth) und die hochschwangere Maria Reitmeier (Samantha Steppan).
Minou M. Baghbani, Markus Tavakoli, Felix Frank, Philipp Stix © Bettina Frenzel MEIN WUNDERBARER WASCHSALON Hass und Liebe einander fremder Welten
Wenn eine Schlägertruppe mit nationalistischen Gesängen nächtens den „Kanaken“ auflauert und die damit gemeinten Immigranten ihrerseits mit illegalen Geschäften ans große Geld kommen wollen, werden Missstände aufgedeckt, mit denen die westliche Gesellschaft seit Jahrzehnten konfrontiert ist. Einen Beweis dafür liefert das Theaterstück „My Beautiful Laundrette“ von Brendan Murray. 1985 wurde es mit dem Drehbuch von Hanif Kureishi (*1955), einem britischen Schriftsteller mit pakistanischen Wurzeln, von Regisseur Stephen Frears verfilmt. Es könnte mit seiner vielschichtigen Problematik kaum aktueller sein, denn diese reicht von Fremdenhass über die muslimische Hartnäckigkeit in der Ignoranz von liberalen Werten und Frauenrechten bis zur Ablehnung von Homosexualität. Angesiedelt ist die Story in London, einem angeblichen Schmelztiegel der Kulturen, der aufgrund der britischen Kolonisierung eigentlich organisch gewachsen sein sollte. Wenn es nicht einmal dort funktioniert, was sollen dann Länder wie Österreich diesbezüglich besser machen können?! Gut, wir können stramm blau wählen, sowie in guter alter Tradition uns auf´s Matschkern über grassierenden Islamismus und derlei Übel verlegen, aber trotz aller Xenophobie zu „unserem“ Inder auf ein Curry oder zum Türken um günstiges Lammfleisch aus dem Waldviertel gehen.
Der deutsche Regisseur Felix Metzner hat „Mein wunderbarer Waschsalon“ als unsanften Denkanstoß für das Theater zum Fürchten inszeniert. Robert Notsch hat dazu die sozial benachteiligte Wohngegend im südlichen London auf die Bühne gezaubert, mit allem Drum und dran, von der finsteren Ecke für Gewaltausbrüche über den orientalischen Plüsch einer Wohnung bis zum fahrplanmäßigen Wirbel einer über die Rampe donnernden Eisenbahn. Dazwischen dreht sich der Waschsalon. Dessen Betreiber ist der betuchte Geschäftsmann Nasser, authentisch verkörpert von Markus Tavakoli. Das herabgekommene Etablissement wird von ihm als Liebesnest mit Freundin Rachel (Sibylle Kos) genützt und scheint im Übrigen eher eine Anstalt zur Geldwäsche zu sein. Finanziert wird es unter anderem von Nassers brutalen Partner Salim (Philipp Stix), der seine Einkünfte aus dem Handel mit Rauschgift lukriert. Fleisch gewordene Aggression sind die arbeitslosen Faschisten Genghis (Stephan Bartunek) und Moose (Clemens Fröschl), für die Fremde nur „Kanaken“ sind, die regelmäßig verprügelt werden müssen.
MARATHON Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss, Ensemble © Bettina Frenzel MARATHON Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss
Tanzen bis zum Umfallen, heißt die gnadenlose Devise. Eigenartig, aber das Vergnügen, sich zur Musik zu bewegen, hat zu allen Zeiten seltsame Blüten getrieben. So berichtet eine Chronik von einer bis zum tödlichen Ende gehenden Tanzwut anno 1518 in Strassburg. Die Gründe für solche Choreomanien, nach den Schutzheiligen Veitstanz oder Antoniusfieber genannt, sind bis heute rätselhaft geblieben. Dass der hochgiftige Biss der Wolfsspinne für anhaltende tanzartige Verrenkungen gesorgt hat, wird als Grund für die rasende Tarantella genannt. Heute ist es eher die Sucht nach der Öffentlichkeit, die Halbpromis als sogenannte Dancing Stars dazu verleitet, sich mehr oder weniger gekonnt im Kreis zu drehen und von einer launig agierenden Jury lächerlich gemacht zu werden. Im Amerika des Jahres 1932, in der großen Rezession, war es hingegen eine Überlebensfrage, nach Hunderten von Stunden rhythmischer Bewegung nicht abgekratzt zu sein. Immerhin lockte neben der Entdeckung durch Hollywood ein stattliches Preisgeld, um sich in Zeiten großer Hoffnungen, aber geringer Chancen diese unverstellbare Tortur anzutun. Der US-Amerikanische Schriftsteller Horace McCoy beschrieb ein solches Turnier in einem Roman und Bruno Max, Prinzipal des Theaters zum Fürchten, hat daraus eine packende Bühnenfassung geschaffen. Robert Notsch verwandelte dafür den Zuschauerraum in eine Arena, in der das heutige Publikum unmittelbar zu den sensationslüsternen Massen auf den Rängen eines Tanzpalastes à la Walkathon Stadium mutiert. Alexander Rossi als Master of Ceremonies namens Rocky Gravo moderiert virtuos ungerührt den Kampf von acht Paaren um den Sieg in diesem mehr und mehr unmenschlich werdenden Marathon als grandiose Show. Ihm zur Seite stehen der höchst aufmerksame Ringrichter Rollo (Marius Lackenbucher) und der am Flachmann hängende Arzt Doktor Elliot (Raimund Brandner). Zum Ehrengast ernannt wird Mrs. Layden (Lotte Loebenstein), die trotz vorgerückter Jahre einem der Burschen einen eindeutigen Antrag macht.
Bevor das Ganze losgeht, lernt man Gloria und Robert kennen. Sie, von Anna Sophie Krenn mit all ihrem Frust versehen, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und reißt sich den zögernden Burschen (Paul Barna) kurzerhand als Tanzpartner auf. Eva-Christina Binder als Clarissa glänzt im wahrsten Sinn des Wortes mit ihren auffälligen Kleidern und wird vom angehenden Schauspieler Joe (Benjamin Spindelberg) zumindest anfangs zur Musik des eigens für dieses Turnier aufspielenden Orchesters geführt. Wer würde der hochschwangeren Ruby (Teresa Renner) ein extrem langes Durchhalten in den Armen ihres Gatten James (Christopher Korkisch) zutrauen.
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