Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Der Streit, Ensemble © Bettina Frenzel

Der Streit, Ensemble © Bettina Frenzel

DER STREIT in der Morgendämmerung der Menschheit

Adrian Stowasser, Ildiko Babos, Anselm Lipgens © Bettina Frenzel

Adrian Stowasser, Ildiko Babos, Anselm Lipgens © Bettina Frenzel

Eine uralte Frage lässt sich auch im Zeitalter einer allwissenden KI nicht beantworten.

1744 fand die Uraufführung der Komödie „La Dispute“ statt. Verfasst hat sie Pierre Carlet de Marivaux, ein der frühen Aufklärung verpflichteter französischer Schriftsteller. Darin geht es um die Entscheidung, wer mit der Untreue angefangen hat, die Frau oder der Mann. Der Aufbau ist vordergründig spielerisch, bei genauem Hinsehen jedoch grausam und die Menschen an sich verachtend. Trotz gegenteiliger philosophischer Meinungen geisterte damals durch die Gehirne der Gebildeten noch der Glaube an die Tabula rasa, als die ein Mensch auf die Welt komme und lediglich von gesellschaftlichem Rang, Erziehung und Bildung zu einer vollständigen Person beschrieben würde. So lädt der Fürst seine Angebetete, sie heißt Hermiane, ein, Zeugin eines Experiments zu sein. Vier Menschen wurden als Babys absolut voneinander und der übrigen Umwelt abgeschirmt, um sie dort von zwei Dienern betreut ohne weitere Kontakte aufwachsen zu lassen. Mit dieser Versuchsanordnung soll die Morgendämmerung der Menschheit nachgestellt werden und der ewige Streit zwischen den Geschlechtern entschieden werden.

Anaïs Marie Golder, Stanislaus Dick, Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch © Bettina Frenzel

Anaïs Marie Golder, Stanislaus Dick, Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch © Bettina Frenzel

Clemens Fröschl, Teresa Renner © Bettina Frenzel

Clemens Fröschl, Teresa Renner © Bettina Frenzel

Das Scalarama, der ideale Ort für grandiose Spektakel, ist nun Schauplatz dieses im Grunde perversen Gedankenspiels aus dem 18. Jahrhundert. Vanja und Peter Fuchs haben jedoch in ihrer Inszenierung einige Jahrhunderte übersprungen, ohne auf den Reiz des Rokoko zu verzichten. Die gezierte Sprache von Marivaux wurde ebenso wie der vor Geilheit bebende Fürst (Anselm Lipgens) und die seiner Zudringlichkeit nicht abholde Hermiane (Ildiko Babos) in ihrer Zeit belassen.

Die beiden ziehen sich jedoch bald in eine Loge zurück, um bei Sekt und mehr ein bizarres Schauspiel zu beobachten. Die Zukunft kann losgehen. Die Diener Carise und Mesrou sind Roboter mit lächelndem Gesicht, denen Teresa Renner und Clemens Fröschl gespenstische Maschinenhaftigkeit verleihen. In Glasröhren, einer Art Retorten, leben Eglé (Viktoria Hillisch), Azor (Stanislaus Dick), Adine (Anaïs Marie Golder) und Mesrin (ein akrobatischer Adrian Stowasser). Zum Plaisier des Fürsten werden sie befreit. Eglé ist die erste, die mit Hilfe der Humanoiden in einem Bach ihr Spiegelbild erkennt und vor Eitelkeit über ihre Schönheit nahezu platzt. Sie merkt auch sofort die Anziehung des Unterschieds, als Azor erscheint und ihre Hände küsst. Den ersten Konflikt gibt es mit Adine, die ebenfalls in sich vernarrt ist, aber von Mesrin geliebt wird. Es kommt, wie es kommen muss, meint der Franzose Marivaux. Kaum ist Eglé mit Mesrin allein, schon ist der der Interessantere und vice versa geht es Azor mit Adine nicht anders. Nach einer handfesten Auseinandersetzung heißt es also Unentschieden in dieser, wie es im Untertitel heißt, „Untersuchung am offenen Herzen“.

Der Streit, Ensemble © Bettina Frenzel

Der Streit, Ensemble © Bettina Frenzel

Die beiden Protagonisten: Bernie Feit und der Kontrabass © Bettina Frenzel

Die beiden Protagonisten: Bernie Feit und der Kontrabass © Bettina Frenzel

DER KONTRABASS Duett mit Instrument und Bernie Feit

Bernie Feit und die Schubertbüste © Bettina Frenzel

Bernie Feit und die Schubertbüste © Bettina Frenzel

Dramatischer Aufschrei eines in die Tiefe verbannten Musikers

Auf der Bühne, der bescheidenen Wohnung eines beamteten Musikers im Staatsorchester, stehen einander ein Schauspieler und sein übermächtiges Instrument vor den mitleidlosen Augen einer Büste von Franz Schubert gegenüber. Es entwickelt sich ein Dialog zwischen den beiden, der sich zu einem bitteren Existenzkampf hochschaukelt, dessen Ausgang ungewiss bleibt. Wird der Musiker seinen Posten aufs Spiel setzen, wenn er statt des Einsatzes im kaum hörbaren Piano des Vorspiels zu Wagners Rheingold das Konzert mit einem Schrei nach Liebe unterbricht, oder erleidet doch der Kasten mit den vier Saiten zuvor noch sein schmähliches Ende als Kleinholz?

Bernie Feit fertig für das Konzert © Bettina Frenzel

Bernie Feit fertig für das Konzert © Bettina Frenzel

Durch den Kontrabass: Bernie Feit mit Bier © Bettina Frenzel

Durch den Kontrabass: Bernie Feit mit Bier © Bettina Frenzel

Im Scalarama des Theaters zum Fürchten ist das Publikum eingeladen, sich in die rumpelnden Abgründe der Musik zu begeben. „Moment... gleich... – Jetzt! Hören Sie das?“ soll auf den melodiösen Bassbogen in der Zweiten Sinfonie von Brahms aufmerksam machen. Hand aufs Herz, wer nimmt tatsächlich dieses Traggerüst jeder Art von Musik bewusst wahr? Allerdings wären ohne Bass sowohl klassische Musik als auch Jazz oder Rock unvorstellbar. Damit darf dessen Spieler unwidersprochen feststellen: „Worauf ich hinauswill, ist die Feststellung, dass der Kontrabass das mit Abstand wichtigste Orchesterinstrument schlechthin ist.“ Niemand macht sich jedoch Gedanken wie es demjenigen ergeht, der ihn bedienen muss. Süskinds Text öffnet in witzig pointierter Weise Auge und Ohr für das Lamento eines Musikers, der damit vom Leben bestraft wurde.

In der Regie von Leopold Selinger wird Solist Bernie Feit zum kompetenten Bassexperten, der endlich die Gelegenheit hat, über seinen täglichen Kampf und Krampf zu räsonieren. Er kompromittiert rücksichtslos seine Zuhörer, wenn er ihnen, mit einem Bier in der Hand, durchaus unfreundliche Wahrheiten entgegenschleudert. So fällt niemandem auf, wenn ein Bassist eklatant schön spielt; das tut weh! Dass sich die Bassgeige als eifersüchtige Partnerin aufspielt und sich sogar in den Liebesakt einmischt, ist nur eines der unangenehmen Details dieser seltsamen Liaison. Und das bei einer solchen Figur! „Schauen Sie ihn sich einmal an. Er sieht aus wie ein fettes Weib. Die Hüfte viel zu tief, die Taille total verunglückt...“ Trotzdem kann sich der Musiker in der Person von Bernie Feit dieser Erotik nicht entziehen. Wer einmal so tief gefallen ist, dem ist nicht mehr zu helfen, auch nicht mit Schuberts Forellenquintett als eine der ganz wenigen Gelegenheiten, mit dem Kontrabass in kleiner Besetzung zu reüssieren und aus der deprimierenden Anonymität einer Bassgruppe solistisch herauszutreten.

Der große Kontrabass vor dem kleinen Bernie Feit © Bettina Frenzel

Der große Kontrabass vor dem kleinen Bernie Feit © Bettina Frenzel

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