Kultur und Weindas beschauliche MagazinSam Madwar und Soi Schüssler auf der vermüllten Bühne des Scalaramas © Bettina Frenzel BLACKBIRD Und ewig lockt das Weib im Kinde... Das Österreichische Strafrecht definiert juristisch trocken, was mit Menschen geschehen soll, die sich sexuell an Kindern vergreifen. Vorgesehen ist für „den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit einer unmündigen Person (zwischen 7 und 14 Jahren)“ eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Die mit diesem Verbrechen verbundenen Katastrophen für die Opfer können jedoch durch Gefängnis nicht ungeschehen gemacht werden. Es ist, um es ebenso lapidar wie der Gesetzgeber auszudrücken, nichts als ein unzureichender Versuch, dem stärksten aller Triebe, so er in dieser Weise fehlgeleitet ist, mit den harschen Folgen eines langen Freiheitsentzuges entgegenzutreten. Dass für Päderasten nicht nur der Aufenthalt in einer Zelle verbunden ist, sondern viel mehr brutale Angriffe seitens der Mithäftlinge erfolgen, mag erschwerend wirken. Alles zusammen wird aber nach Ende des Wegsperrens kaum Besserung gezeitigt haben. Pädophilie, ob bei Mann oder Frau, scheint unüberwindbar zu sein. Ist es eine psychische Krankheit? Oder doch der Hang zu einer besonderen Form der Kriminalität? Der Streit darüber ist auch von Fachleuten noch nicht entschieden. Bis man sich darüber geeinigt hat, bleibt nur die Bestrafung im herkömmlichen Sinn. Der Brite David Harrower hat mit BLACKBIRD etliche Facetten dieses Problems aufgearbeitet. Die junge Frau Una trifft nach 15 Jahren Ray. Sie war zwölf, als sie mit dem damals 40jährigen – einvernehmlich – eine Liebschaft begonnen hat. Geendet hat es für sie enttäuschend und für ihn mit der Verurteilung. Im Aufenthaltsraum seiner Firma prallen sie aufeinander. Er heißt seit Abbüßung der mehrjährigen Haftstrafe Peter und scheint in geordneten Verhältnissen zu leben.
Markus Tavakoli, Angela Ahlheim, Eszter Hollósi, Simon Brader © Bettina Frenzel UR-FAUST ohne Angst vor einem höllischen Spektakel Grau ist alle Theorie, nicht aber das Theater im Scalarama, dem stimmungsvollen Keller unter der Scala Wien in der Wiedner Hauptstraße. Dort treibt die Praxis herrlichste Blüten. Wahrlich infernalisch wird der Genius loci dieser Unterwelt beschworen, mit einem Hexenritt auf dem Besen, mit Feuerzauber in Auerbachs Keller und einer Geistererscheinung, die mit Totenfratze durchs Gewölbe wabbert. Gegeben wird „Ur-Faust“. Der Entwurf zur übermächtigen Fundgrube von gelehrten Zitate und dem deutschen Überdrama schlechthin wird hier in einer Weise gezeigt, wie sie vom stürmenden und drängenden Johann Wolfgang Goethe (ein „von“ war er damals noch nicht, erst ab 1782) gemeint gewesen sein könnte, nämlich als „Die traurige Historia von Doctor Faustus“, wie an der Hinterwand des Schauplatzes zu lesen ist. Eigentlich ist es die Tragödie eines jungen Mädchens. Margarethe wird von Faust dazu angestiftet, der Mutter ein Schlafmittel zu geben, die nach dessen Einnahme stirbt. In der Folge bringt sie auch das Baby um, das dieser intellektuelle Windbeutel gezeugt hat, und wird schlussendlich wahnsinnig, aber doch nicht so weit, um nicht klar zu erkennen: „Mir grauts vor dir, Heinrich.“ Da sich dieser seltsame Herr Doctor jedoch mit dem Teufel verbunden hat, findet sein Treiben in den Höllenflammen ihr gerechtes Ende. Schuld an allem, so könnte man kurzsichtig urteilen, ist also nur Mephistopheles, das Böse an sich, das mit seinem Zynismus nicht nur triumphiert, sondern, genau besehen, durchaus Recht hat. Anselm Lipgens zeigt in seiner Inszenierung keine Scheu vor dem im Untertitel angesprochenen Spektakel. Er hat das Original sanft bearbeitet und mit einer zweiten und dritten Ebene bereichert. Eine Schar von Bänkelsängern umrahmt den Abend und verkündet die Darbietung einer Moritat. Goethe selbst darf mit Marionetten spielen und seine eigene Dichtung kritisieren.
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