Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ur-Faust, Ensemble © Bettina Frenzel

Markus Tavakoli, Angela Ahlheim, Eszter Hollósi, Simon Brader © Bettina Frenzel

UR-FAUST ohne Angst vor einem höllischen Spektakel

Ur-Faust, Ensemble © Bettina Frenzel

Ur-Faust, Ensemble © Bettina Frenzel

Goethe darf selbst noch an seinem Erstentwurf mitarbeiten

Grau ist alle Theorie, nicht aber das Theater im Scalarama, dem stimmungsvollen Keller unter der Scala Wien in der Wiedner Hauptstraße. Dort treibt die Praxis herrlichste Blüten. Wahrlich infernalisch wird der Genius loci dieser Unterwelt beschworen, mit einem Hexenritt auf dem Besen, mit Feuerzauber in Auerbachs Keller und einer Geistererscheinung, die mit Totenfratze durchs Gewölbe wabbert. Gegeben wird „Ur-Faust“. Der Entwurf zur übermächtigen Fundgrube von gelehrten Zitate und dem deutschen Überdrama schlechthin wird hier in einer Weise gezeigt, wie sie vom stürmenden und drängenden Johann Wolfgang Goethe (ein „von“ war er damals noch nicht, erst ab 1782) gemeint gewesen sein könnte, nämlich als „Die traurige Historia von Doctor Faustus“, wie an der Hinterwand des Schauplatzes zu lesen ist. Eigentlich ist es die Tragödie eines jungen Mädchens. Margarethe wird von Faust dazu angestiftet, der Mutter ein Schlafmittel zu geben, die nach dessen Einnahme stirbt. In der Folge bringt sie auch das Baby um, das dieser intellektuelle Windbeutel gezeugt hat, und wird schlussendlich wahnsinnig, aber doch nicht so weit, um nicht klar zu erkennen: „Mir grauts vor dir, Heinrich.“ Da sich dieser seltsame Herr Doctor jedoch mit dem Teufel verbunden hat, findet sein Treiben in den Höllenflammen ihr gerechtes Ende. Schuld an allem, so könnte man kurzsichtig urteilen, ist also nur Mephistopheles, das Böse an sich, das mit seinem Zynismus nicht nur triumphiert, sondern, genau besehen, durchaus Recht hat.

Felix Krasser, Simon Brader © Bettina Frenzel

Felix Krasser, Simon Brader © Bettina Frenzel

Ur-Faust, Ensemble © Bettina Frenzel

Ur-Faust, Ensemble © Bettina Frenzel

Anselm Lipgens zeigt in seiner Inszenierung keine Scheu vor dem im Untertitel angesprochenen Spektakel. Er hat das Original sanft bearbeitet und mit einer zweiten und dritten Ebene bereichert. Eine Schar von Bänkelsängern umrahmt den Abend und verkündet die Darbietung einer Moritat. Goethe selbst darf mit Marionetten spielen und seine eigene Dichtung kritisieren.

Dazwischen ist Texttreue angesagt. Fünf Personen schaffen spielend die gesamte Besetzung. Simon Brader ist Goethe himself, dazu der Erdgeist, ein aufdringlicher Student, der goscherte Frosch und Valentin, dem das Ableben in dieser Fassung noch erspart bleibt. Der dick bebrillte Wagner, eine gekonnt an der Stange tanzende Branderin, das Lieschen und ein Böser Geist sind Nebenrollen für Eszter Hollósi, deren Verführungskünste als Marthe nur ein Teufel widerstehen kann. Wenn Felix Krasser sich von den Gängelfäden befreit hat und seine Frage „Wo fass ich dich, unendliche Natur“ beiseite geschoben hat, wird er zum Schwerenöter, der mit Angela Ahlheim als liebreizende Margarethe ein rührendes Kennenlernspiel betreibt. Lachen kann darüber nur Mephistopheles, der mit einem Tango auftritt, der kernige Pudel war noch nicht erfunden, und ab dessen letzten Takt nur mehr Übles stiftet. Markus Tavakoli verleiht ihm die Souveränität eines Höllenfürsten, der mit allen Schwächen der Irdischen vertraut ist und dem begeisterten Publikum einen ungnädigen Spiegel vor die Visage hält.

Simon Brader, Angela Ahlheim, Felic Krasser © Bettina Frenzel

Simon Brader, Angela Ahlheim, Felic Krasser © Bettina Frenzel

Der zerbrochene Krug, Ensemble © Bettina Frenzel

Der zerbrochene Krug, Ensemble © Bettina Frenzel

DER ZERBROCHENE KRUG In Scherben bei den G´scherten

Petra Strasser (Magdalena Rull), Lisa-Carolin Nemec (Eva) © Bettina Frenzel

Petra Strasser (Magdalena Rull), Lisa-Carolin Nemec (Eva) © Bettina Frenzel

H. C. Artmann hat Heinrich von Kleist übersetzt und die norddeutsche Komödie ins Steinfeld verlegt

Auf die Frage seitens des k.k. Gerichtsrats, ob Richter Adam einen Dorfbewohner mit Klumpfuß kenne, empört sich dieser: „Ned dass ich wüsst! Ein Hatscherter müsst mir ja die Jahre hindurch aufgfallen sein...“ Als Hort des Rechts weit draußen vor der Kaiserstadt muss ein Amtsorgan die Sprache der Menschen reden, über die er zu urteilen hat. Zumindest ist er davon überzeugt, wohl wissend, dass sich die Schlinge um seinen Hals mehr und mehr zuzieht. Dieser Gerichtsrat ist ja wirklich im ungünstigsten Moment erschienen, um Revision zu halten. Man kennt die Geschichte und hat bestimmt schon oft darüber gelacht, wenn sich der nächtens malträtierte Justiziar aus dem Bett erhebt, mit zerhautem Schädel und blutendem Schienbein. Seine Erklärungen dafür sind wenig schlüssig. Sogar Schreiber Lichtl, gerade kein großes Licht am Himmel der Justiz, durchschaut die Schmähs seines Vorgesetzten.

Bernie Feit (Lichtl), Peter Faerber (Dorfrichter Adam) © Bettina Frenzel

Bernie Feit (Lichtl), Peter Faerber (Dorfrichter Adam) © Bettina Frenzel

Eric Lingens (Walter), Ronald Seboth (Dimpfl) © Bettina Frenzel

Eric Lingens (Walter), Ronald Seboth (Dimpfl) © Bettina Frenzel

Bevor noch die Geschädigte in persona Magdalena Rull ihr Anliegen wegen eines zerbrochenen Kruges, einem ihr teuren Erbstück, vortragen kann, ist bereits das Verhängnis in Gestalt von Walter von Waltersberg eingetroffen und stört empfindlich die recht rustikale Verhandlung. Unerhörte Dinge wie Sachlichkeit und ordentliche Einvernahmen werden von diesem eingefordert. Dass der Albtraum von Dorfrichter Adam in Erfüllung geht und er sich selbst verurteilen müsste, ist keine Überraschung, aber insgeheim hofft nicht nur Herr Walter, sondern das ganze Auditorium auf das Eintreffen dieser Prophezeiung.

 

Ort dieser seltsamen Gerichtsszene ist das SCALARAMA, ein Keller unter der SCALA, der sich allein schon mit seinen düsteren Gewölben und finsteren Ecken für ein solches Lustspiel ideal anbietet. Kleists Text hat kein Geringerer als H. C. Artmann der Gegend südlich von Wien angepasst und damit ein kompaktes, flott-kurzes Lustspiel mit Verwendung des Dialekts dieser G´scherten geschaffen. Marcus Ganser und Bruno Max haben mit einigen wenigen Requisiten wie dem Bett, Wartebänken, einem Richtertisch und einem zur Fallsucht neigenden Bild des Kaisers eine ländliche Gerichtsstube gezaubert. Darin hat Babett Arens die teils deftigen Auseinandersetzungen zwischen den Landleuten hinreißend hineininszeniert. Hautnah am Geschehen sitzt das Publikum, immer wieder in Gefahr, in die Handgreiflichkeiten zwischen den Parteien zu geraten.

Anna Sagaischek (Gretl) Lotte Loebenstein (Frau Theresia) © Bettina Frenzel

Anna Sagaischek (Gretl) Lotte Loebenstein (Frau Theresia) © Bettina Frenzel

Johannes Sautner (Ruprecht), Lisa-Carolin Nemec (Eva) © Bettina Frenzel

Johannes Sautner (Ruprecht), Lisa-Carolin Nemec (Eva) © Bettina Frenzel

Es gäbe in dieser Ortschaft wohl keine Gerechtigkeit ohne den unbestechlichen Gerichtsrat, den Eric Lingens mit entsprechender Strenge und gebotener Steifheit tatsächlich zum Gottseibeiuns für korrupte Beamte macht. Bernie Feit ist der listige Schreiber Lichtl, der in aller Seelenruhe auf seine Beförderung wartet und diese mit gezielten Einwürfen vorantreibt. Er bleibt unbeeindruckt, wenn der vierschrötige Bauer Vitus Dimpfl (Ronald Seboth) und Sohn Ruprecht (Johannes Sautner) die verzweifelt um Schadenersatz keifende Klägerin Magdalena Rull (Petra Strasser) eine alte Hex´ und deren bakschierliches, aber schweigsames Töchterl Eva (Lisa-Carolin Nemec) eine Hur´ heißen. Anna Sagaischek als Magd Gretl nimmt hingegen einen Arschtritt ihres Chefs ausnehmend gelassen hin und lässt den Zuschauern das Wasser im Mund zusammenlaufen, wenn sie zum Wein einen Korb mit allerlei wurschtigen Köstlichkeiten aus der Registratur heraus aufträgt. Wie ein fußmaroder Deus ex machina humpelt Frau Theresia zuletzt auf die Szene. Lotte Loebenstein weiß den Gehstock als bedrohliche Waffe einzusetzen und entlarvt den Teufel selbst, als der sich Dorfrichter Adam herausstellt. Ein beeindruckender Peter Faerber waltet in erbärmlichem Zustand seines Amtes und setzt noch im letzten Moment lautstark und bestimmend auf seine Autorität, wenn allen anderen längst klar ist, wer der Missetäter war.

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