Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ausstellungsansicht: My Drawing Room 2008 (Außenansicht), Bedroom Included, 2008 Foto: © Sandro E. E

Ausstellungsansicht: My Drawing Room 2008 (Außenansicht), Bedroom Included, 2008 © Yoshitomo Nara Foto: © Sandro E. E. Zanzinger

YOSHITOMO NARA und das gewaltbereite Kindchenschema

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

„All My Little Words“, laut gesprochen von den „Angry Girls“

Die Gesichter der Mädchen irritieren den Betrachter. So will man eigentlich von einem Kind nicht angeschaut werden, mit grimmigem Blick, im Mund Vampirzähne und hinter dem Rücken versteckt ein scharfes Messer, in jedem Moment zum Angriff bereit. Aber sie haben Yoshitomo Nara zum Begriff für japanische Gegenwartskunst werden lassen. Er hat das Manga, die uns seltsam erscheinenden Cartoons der Japaner, überhöht. Deren Zeichentrickfilme und Comic-Hefterln strotzen nur so von brutaler Gewalt. Bei Nara werden sie zu einzelnen Bildern, die als subtile Abrechnung mit oberflächlicher Unterhaltung anzusehen sind, weil sie als Pop-Art ihre Punk-Attitüde nicht aufgegeben haben. Seine Zeichnungen sind eine Art Karikaturen, die in oftmaliger Wiederholung die Botschaft des 1959 geborenen Yoshitomo Nara wiedergeben, als Anregungen an die Betrachter, ihre eigene Situation kritisch zu hinterfragen, wenn es sein muss, aufzubegehren und sich nichts gefallen zu lassen. Das betrifft die Katastrophe von 2011 in Fukushima ebenso wie eine stete Einsamkeit, in der ihm nur sein achtjähriges Ich Gesellschaft leistet.

Fuck U, 2015 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara
Miss Margaret, 2016 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

o.: Miss Margaret, 2016 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

l.: Fuck U, 2015 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

Der Künstler selbst ist glücklich, in der Albertina ausgestellt zu werden. Für ihn ist es schlechthin das Museum, das seinen Vorstellungen und Zeichnungen entspricht. 600 Werke aus einem Zeitraum von rund 40 Jahren, teils chronologisch angeordnet, geben bis 1. November 2023 in der Albertina Modern unter dem Titel „All My Little Words“ einen Überblick über Naras facettenreiches zeichnerisches Œuvre. Der Großteil sind Arbeiten auf Papier neben einigen Gemälden und Skulpturen. So fügt sich eine pompös wirkende Vase mit der darauf geschriebenen Widmung an eine Bitch, also ein Luder, nahtlos in die übrigen, durchwegs scharf pointierten Objekte. Erschütternd sind die Notizen aus einem Besuch in Afghanistan 2002, auf denen das „Angry Girl“ in eine Grube mit Totenschädeln blickt oder von den Taliban in eine Burka gesteckt wurde.

Dagegen ist „My Drawing Room“ eine Idylle, mehr als ein Raum zum Zeichnen, sondern ein Refugium, das ihm die Geborgenheit bietet, wenn er sich abends dorthin zurückzieht und bei Musik, wie er sie als Kind im Radio einer US-Air Base kennengelernt hat, zu arbeiten beginnt. Dieses Häuschen wurde für die Ausstellung aufgebaut, als „Place Like Home“ eines Künstlers, der wie selten einer die visuelle Sprache unserer Zeit beherrscht.

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

Gert & Uwe Tobias, Ohne Titel © eSel-Lorenz Seidler

Gert & Uwe Tobias, Ohne Titel © eSel-Lorenz Seidler

ANDY WARHOL BIS DAMIEN HIRST und die Revolution der Druckgrafik

Andy Warhol, Mao Tse-tung (10-teilige Serie) © eSel-Lorenz Seidler

Andy Warhol, Mao Tse-tung (10-teilige Serie) © eSel-Lorenz Seidler

Von Siebdruck, Monumentalisierung und dem Prinzip der Serialität & Repetition

Die Formate sind über die Wände hin explodiert; mit knalligen Farben, endlosen Wiederholungen der Motive und einem offen zur Schau getragenen Unernst am hehren Begriff Kunst. War einige Jahrzehnte zuvor der Gegenstand aus der Malerei im Sinne der Abstrakten verschwunden, kehrte er nun, getragen von der Macht mechanischer Produktion, zurück in die Galerien. Andy Warhol bezeichnete sein Atelier ohne Genierer als Factory, als Fabrik, in der am Fließband Kunst fabriziert wurde. Er verlieh der Dose von Campell´s Soup oder Kartons mit Waschpulver die Ehre, dass sich in heil´gen Ausstellungshallen Experten davor verbeugten und Sammler für den Besitz von einzelnen Exemplaren dieser „Massenware“ Unsummen auslegten. Warhol war ein Pionier des neuen Zeitalters, das unmittelbar nach 1960 in der Druckgrafik angebrochen war. Mittels Siebdruck war die serielle Produktion möglich geworden, gleichzeitig war man imstande, riesige Papierflächen herzustellen und diese zu bedrucken. Es kam nicht mehr auf den genialen Strich an, auf die Komposition eines Bildes oder einen von kundiger Hand geschaffenen Ausdruck; es wurden vielmehr Gegenstände fotografiert oder die Fotos von prominenten Persönlichkeiten verfremdet, in immer neuen Farben nebeneinander gestellt und diese serielle Kombination letztlich zum Porträt erklärt. Die Pop Art war geboren. Wie eine wohltuende Epidemie verbreitete sie sich über die Welt und infizierte Künstler aller Orten.

Roy Lichtenstein La Sortie, 1990 Holzschnitt ALBERTINA, Wien

Roy Lichtenstein, La Sortie, 1990 Holzschnitt ALBERTINA, Wien

Andy Warhol Electric Chair, 1971 Siebdruck Spende der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste

Andy Warhol, Electric Chair, 1971 Siebdruck, Spende der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste

Die Albertina als Hort der Grafik ist nun nach „Dürer, Munch, Miró. The Great Masters of Printmaking“ an der zweiten Station eines Terzetts angekommen, das die Geschichte der Druckgrafik aus den gewaltigen eigenen Beständen dokumentieren soll. Die Albertina Modern ist bis 23. Juli 2023 Schauplatz von „Andy Warhol bis Damien Hirst. The Revolution in Printmaking“. Wandtexte begleiten die Besucher und stellen ihnen die einzelnen Protagonisten mit ihren Arbeiten vor.

Jim Dine Aus der Serie "Tool Box": Ohne Titel, 1966 Siebdruck, Collage, ALBERTINA, Wien

Jim Dine Aus der Serie "Tool Box": Ohne Titel, 1966 Siebdruck, Collage, ALBERTINA, Wien

Als ausgezeichneter Pädagoge gibt ihnen Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder die drei Grundpfeiler dieser Mitte des 20. Jahrhunderts entstandenen Richtung mit auf den Weg: Der Siebdruck, die Monumentalisierung der Druckgrafik, das Prinzip der Serialität. Mit diesen drei Begriffen ausgerüstet, wird die beeindruckende Schau zu einer amüsanten Unterrichtsstunde in zeitgenössischer Kunst mit den Schwerpunkten USA und Deutschland. Nicht zuletzt zählen dazu auch die Österreicher Arnulf Rainer, Herbert Brandl oder Hermann Nitsch, der sein Orgien Mysterien Theater mit dem Druck verband, um Unikate(!) zu schaffen. So wurden „Das Letzte Abendmahl“ oder „Grablegung“ im Zuge eines streng konzipierten Prozesses auf ein der Aktion entlehntes Leintuch gedruckt. Damit ist es, ganz gegen den Sinn von „Printmaking“, nicht mehr wiederholbar, aber ein eminent tiefgehender Ausdruck einer Technik zwischen Comics und fantastisch bunter Verfremdung der Wirklichkeit.

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