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Österreich – Deutschland. Malerei von 1970 bis 2020, Ausstellungsansicht

Österreich – Deutschland. Malerei von 1970 bis 2020, Ausstellungsansicht

ÖSTERREICH – DEUTSCHLAND Bilaterale Konzepte sichtbar gemacht

Verena Brettschneider, Adam und Eva, 1989/90

Verena Brettschneider, Adam und Eva, 1989/90

Ein „Ländermatch“, bei dem es nur Gewinner gibt

Karl Kraus hat es einst pointiert formuliert: „Was die Deutschen und die Österreicher trennt, ist ihre gemeinsame Sprache.“ Nachdem sich diesbezüglich die Grenzen nach Westen und weiter ins Englische verschoben haben, hat dieser Spruch bestenfalls noch literaturhistorischen Wert. Eines der wenigen Refugien von Abgrenzung zum Nachbarn ist der Fußball. Die Kunst ist es sicher nicht. Den Beweis dafür liefert die große Herbstausstellung „Österreich – Deutschland. Malerei von 1970 bis 2020“ (bis 21. Jänner 2024) in der Albertina Modern. Anhand von Werken Kunstschaffender aus beiden Ländern wird das Verbindende unterstrichen. Die dafür eingesetzten Werke sind großteils bestens bekannt, in diesem Fall jedoch so gehängt, dass an einzelnen Beispielen jeweils spannende Dialoge spürbar werden.

Xenia Hausner, Bild aus dem Zyklus Exiles

Xenia Hausner, Bild aus dem Zyklus Exiles

Österreich – Deutschland. Malerei von 1970 bis 2020, Ausstellungsansicht

Österreich – Deutschland. Malerei von 1970 bis 2020, Ausstellungsansicht

Einige Beispiele: Der Österreicher Siegfried Anzinger und der Deutsche Daniel Richter gehören zur selben Generation. Sie zeigen den künstlerischen Aufbruch der 1980er-Jahre. Wolfgang Hollegha und Katharina Grosse stehen dagegen für generationsübergreifende Bezüge. Xenia Hausner und Neo Rauch finden eine gemeinsame Basis in der Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Ausgesetzt-Sein. Sie eint trotz aller Unterschiede in Farbgebung und dem Pathos ihrer Figuren neben dem Großformat das räumliche Gestaltungsprinzip auf einer bühnenartigen Inszenierung.

Junge Kunst von Isolde Joham oder Liliane Tomasko findet sich Seite an Seite mit den Bahnbrecherinnen der Kunstgeschichte Maria Lassnig und Brigitte Kowanz. So besehen ist es schwer, in diesen Kombinationen das Österreichische oder das typisch Deutsche auszumachen. Ist auch nicht nötig. Der Individualstil hat längst das Prinzip der Schule einer nationalen Kunst abgelöst und ganz nebenbei einem bilateralen Konzept der zeitgenössischen Malerei Platz gemacht.

Maria Lassnig Krebsangst, 1979  © Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien 2023

Maria Lassnig Krebsangst, 1979 © Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien 2023

Ausstellungsansicht: My Drawing Room 2008 (Außenansicht), Bedroom Included, 2008 Foto: © Sandro E. E

Ausstellungsansicht: My Drawing Room 2008 (Außenansicht), Bedroom Included, 2008 © Yoshitomo Nara Foto: © Sandro E. E. Zanzinger

YOSHITOMO NARA und das gewaltbereite Kindchenschema

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

„All My Little Words“, laut gesprochen von den „Angry Girls“

Die Gesichter der Mädchen irritieren den Betrachter. So will man eigentlich von einem Kind nicht angeschaut werden, mit grimmigem Blick, im Mund Vampirzähne und hinter dem Rücken versteckt ein scharfes Messer, in jedem Moment zum Angriff bereit. Aber sie haben Yoshitomo Nara zum Begriff für japanische Gegenwartskunst werden lassen. Er hat das Manga, die uns seltsam erscheinenden Cartoons der Japaner, überhöht. Deren Zeichentrickfilme und Comic-Hefterln strotzen nur so von brutaler Gewalt. Bei Nara werden sie zu einzelnen Bildern, die als subtile Abrechnung mit oberflächlicher Unterhaltung anzusehen sind, weil sie als Pop-Art ihre Punk-Attitüde nicht aufgegeben haben. Seine Zeichnungen sind eine Art Karikaturen, die in oftmaliger Wiederholung die Botschaft des 1959 geborenen Yoshitomo Nara wiedergeben, als Anregungen an die Betrachter, ihre eigene Situation kritisch zu hinterfragen, wenn es sein muss, aufzubegehren und sich nichts gefallen zu lassen. Das betrifft die Katastrophe von 2011 in Fukushima ebenso wie eine stete Einsamkeit, in der ihm nur sein achtjähriges Ich Gesellschaft leistet.

Fuck U, 2015 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara
Miss Margaret, 2016 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

o.: Miss Margaret, 2016 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

l.: Fuck U, 2015 © Yoshitomo Nara | Foto: Yoshitomo Nara

Der Künstler selbst ist glücklich, in der Albertina ausgestellt zu werden. Für ihn ist es schlechthin das Museum, das seinen Vorstellungen und Zeichnungen entspricht. 600 Werke aus einem Zeitraum von rund 40 Jahren, teils chronologisch angeordnet, geben bis 1. November 2023 in der Albertina Modern unter dem Titel „All My Little Words“ einen Überblick über Naras facettenreiches zeichnerisches Œuvre. Der Großteil sind Arbeiten auf Papier neben einigen Gemälden und Skulpturen. So fügt sich eine pompös wirkende Vase mit der darauf geschriebenen Widmung an eine Bitch, also ein Luder, nahtlos in die übrigen, durchwegs scharf pointierten Objekte. Erschütternd sind die Notizen aus einem Besuch in Afghanistan 2002, auf denen das „Angry Girl“ in eine Grube mit Totenschädeln blickt oder von den Taliban in eine Burka gesteckt wurde.

Dagegen ist „My Drawing Room“ eine Idylle, mehr als ein Raum zum Zeichnen, sondern ein Refugium, das ihm die Geborgenheit bietet, wenn er sich abends dorthin zurückzieht und bei Musik, wie er sie als Kind im Radio einer US-Air Base kennengelernt hat, zu arbeiten beginnt. Dieses Häuschen wurde für die Ausstellung aufgebaut, als „Place Like Home“ eines Künstlers, der wie selten einer die visuelle Sprache unserer Zeit beherrscht.

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

YOSHITOMO NARA, Ausstellungsansicht

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