Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Der Alchemist von Oberstockstall und seine vielen Rätsel:

Goldmacher, Baphomet und der Stein der Weisen

Panorama: Schmelztiegel

r.o.: Ofenmuffel und Aschkupellen

l.o.: Die gotische Kapelle von Gut Oberstockstall

Vom vergeblichen Versuch, aus minderwertigen Materialien edle Metalle zu erschaffen, hat man sich längst verabschiedet; auch am Wagram. Dort setzt man lieber auf Löss, Sonne und gut gepflegte Reben, um Gold, sprich großen Wein, zu machen. Dennoch, ausgerechnet in dieser Gegend wurde im 16. Jahrhundert Alchemie betrieben. Ende der 1970er-Jahre entdeckte der zehnjährige Sohn des damaligen Besitzers von Gut Oberstockstall in einem Nebenraum der angeschlossenen Kirche unter den Bodenziegeln einen Hohlraum. Gefüllt war die Grube mit einer geheimnisvollen Hinterlassenschaft, bestehend aus Keramik- und Glasbruchstücken, zum Teil ganzen Gefäßen, Erdmaterial und Bauschutt.

 

Von Anfang an dabei war die Historikerin und Germanistin Sigrid von Osten. 1980 führte sie eine Fundbergung durch. Das zutage geförderte Material war derart außergewöhnlich, dass sich kaum Vergleichbares dazu auftreiben ließ. Es stellte sich heraus, dass man auf die Hinterlassenschaft eines Alchemisten gestoßen war, besser gesagt, auf die nahezu vollständige Einrichtung eines Laboratoriums von einem dieser frühen Wissenschaftler.

Abgesehen von einigen praktischen Dingen wie Waage und Mörser, sie waren nicht mehr vorhanden, war das Ganze seinerzeit einfach durch Vergraben entsorgt worden. Aufgetaucht sind unter anderem Schalen, Destillierkolben, Phiolen, Flaschen, Deckel, Schmelztiegel (über 300), Probierscherben und Aschkupellen (an die 100).

Sigrid von Osten stand nun vor der reizvollen, aber schwierigen Aufgabe, eine Fülle an Fragen im Zuge der Bearbeitung des Fundes zu klären. Wann wurde dort gearbeitet? Wer war der Alchemist? Wonach hat er gesucht? Warum ausgerechnet im damals eher entlegenen Oberstockstall? Gab es einen Auftraggeber? Was war der Grund für die Entsorgung des Labors? Und letztendlich, was bedeutet die seltsame Fratze am Eingang zur Kirche? Stehen sie und das Gotteshaus mit dem Alchemisten in Verbindung? Mit den Versuchen, möglichst schlüssige und wissenschaftlich gesicherte Antworten darauf zu finden, wurde Schritt für Schritt aus der Archäologin (mittlerweile) Dr. Sigrid von Osten eine Spezialistin auf dem Gebiet der Alchemie.

 

Zeitlich einordnen lässt sich das Laboratorium von Oberstockstall in das zweite und dritte Drittel des 16. Jahrhunderts. Eine Modelschüssel trägt die Jahreszahl 1549. Weiteren Aufschluss geben zwei Kacheln (um 1560) und ein niederösterreichischer Raitpfennig aus der Zeit Rudolf II., also nach 1576. Eine dendrochronologische Untersuchung erbrachte für die Holzkohle in der großen Grube das Jahr 1586 und für eine Balkendecke über dem Laboratoriumsraum 1590 bis 1596. Die gotische Kapelle wurde um 1310/20 erbaut und der anschließende Gebäudekomplex, das ehemalige Repräsentationsgebäude, stammt aus 1327. Urkundlich belegt ist auch ein Umbau 1548. Die Mauern und das Gewölbe dieser Räume, der „Sakristei“, sind auffallend mächtig und bilden so explosions- und feuersichere Räume.

Dr. Sigrid von Osten

o.: Fragment einer Flasche aus venezianischem Glas

u.: Flaschenförmiges Gefäß mit Standfläche

Ausgehend von diesem Zahlenmaterial ließen sich drei Personen als mögliche Alchemisten eruieren. Die Urpfarre St. Stephan ob Wachrain (Kirchberg am Wagram) gehörte dem Domkapitel Passau. Oberstockstall war Pfarrhof und Sitz der Grundherrschaft. Der Pfarrer war gleichzeitig Oberkellerer des Bistums Passau in Österreich. Einer der Pfarrherren im 16. Jahrhundert ist Christoph Trenbach (von 1538 bis 1552). Überliefert ist von ihm eine beträchtliche Schuldsumme beim Kremser Arzt und Apotheker Wolfgang Kappler, der „in Alchemistenkreisen kein Unbekannter“ gewesen sein soll.

o.: Stöpsel: Verschlüsse der Windlöcher

u.: Blick vom Laboratorium ins Oratorium

Mit Kaiser Rudolf II., der Künste und Wissenschaften und damit auch die Alchemie förderte, kommt auch Urban von Trenbach ins Spiel. Er war ab 1552 Pfarrherr in Kirchberg und bis 1598 Bischof von Passau. Aufgrund der Prozessakte gegen einen kleinen alchemistischen Schwindler weiß man, dass dieser in „Kirchberg, 7 meil ober Wien“ beim Domherren Sigmund Fugger „gekunstelt“ haben soll. Einer dieser Fugger war Viktor August, Pfarrherr in Kirchberg seit 1572. Bemerkenswert für von Osten ist sein Todesdatum 1586, kurz nachdem er zum Abt von Stift Zwettl gewählt worden war.

 

Die Familie derer von Trenbach gibt wiederum Aufschluss über das Interesse für die Alchemie. Diese Herren besaßen weitereichende Verbindungen zu Bergbaubetrieben. Man war damals überzeugt, dass Edelmetalle durch Transmutation entstanden sind, also durch Umwandlung. Man versuchte im Labor die Natur nachzuahmen und untersuchte Metalllegierungen, Münzmetall und Erzproben und arbeitete an der Optimierung metallurgischer Verfahren. Selbstverständlich, so Dr. Sigrid von Osten, wurde auch nach dem Stein der Weisen gesucht und es wurden Versuche unternommen, Quecksilber und Blei in Silber und Gold zu verwandeln. Den Kaiser in seiner chronischen Geldnot hätt´s wohl gefreut, wäre das Experiment erfolgreich gewesen.

Die Kirche wurde insofern miteinbezogen, als es sowohl einen direkten Blick vom Arbeitsplatz des Alchemisten zum Hochaltar gibt und daneben noch ein schmaler Schlitz eine Sichtverbindung von Laboratorium zum Oratorium herstellt. Immerhin waren es Pfarrherren, die hier zu Werke waren. Bevor man durch das kleine Portal in die Kapelle eintritt, wird man von seltsamen Fratzen empfangen.

Bei einem dieser Köpfe könnte es sich, so von Osten, um Baphomet handeln, in diesem Fall Patron der Alchemisten. Wer oder was Baphomet war, darüber wird noch gegrübelt, wenngleich es bereits eine durchaus schlüssige Erklärung dafür gibt. Laut dem Buch „Die Templer von Österreich“ von Neundlinger/Müksch (S. 55ff) handelt es sich um das „Bild des göttlichen Antlitzes“, bestehend aus den ersten Silben der griechischen Wörter Basileios (Herr), Rethos (Anlitz) und Metaphora (Übertragung). Dessen Herkunft wurde, so die Autoren, von den Tempelrittern als derart strenges Geheimnis gehütet, dass sie sogar eine Anklage der „Götzenverehrung“ auf sich nahmen und dafür in den Tod gingen.

 

Für das abrupte Ende der alchemistischen Tätigkeit in Oberstockstall bieten sich zwei Ereignisse an. Auslöser könnte das Neulengbacher Erbeben vom September 1590 gewesen sein, oder es war ein Unfall, der 1586 Viktor August Fugger das Leben gekostet hat. Der Respekt vor den hochgiftigen Aschkupellen und anderen seltsamen Gerätschaften dürfte wiederum zur gründlichen Entsorgung der Problemstoffe geführt haben. So besehen handelte sich, was immer auch der Grund für dieses Vorgehen war, um einen einmaligen Glücksfall für die Forschung. Ein Laboratorium in dieser Vollständigkeit gibt es nur in Kirchberg am Wagram zu erleben.

o.: Geheimnisvolle Fratze (Baphomet)

u.: Ein schmaler Schlitz gewährt einen Blick in das Labor

Im alten Rathaus wurde aus dem reichen Fundmaterial von Dr. von Osten ein Museum eingerichtet, das es erlaubt, mit etwas Phantasie einem Renaissance-Alchemiker über die Schulter schauen zu können und zu erfahren, welchen Dienst einst Alembiks, Aludeln, Cucurbiten und Muffelöfen dieser frühen wissenschaftlichen Forschung geleistet haben.

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