Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


 

VERHÜLLUNGEN Eine Trilogie von Victoria Coeln

Angela Stief, Victoria Coeln, Toni Faber, Reinhard H. Gruber

Lebenszeit, Herkunft und Geschlecht, im Stephansdom kunstvoll beleuchtet

Das traditionelle Fastentuch am Hochaltar im Stephansdom wurde heuer durch eine Projektionsfläche aus hellem Gobelintüll ersetzt. Immer wieder scheint der Hintergrund durch, auch während der Bestrahlung mit einer von Victoria Coeln gemeinsam mit der Schweizer Künstlerin Susanne Lyner geschaffenen Filmarbeit. Es handelt sich um unaufgeregte Wandlungen von Lichtstreifen, deren jeweiliges Zusammentreffen zufällig anmutet. Mit einem fast spitzbübischen Lächeln erklärt Victoria Coeln, dass die gesamte Dauer der Abspielung 81,5 Jahre dauern würde, genauso lang, wie die durchschnittliche Lebenserwartung in Mitteleuropa. Es handle sich dabei um das Ergebnis ihres Faibles für Mathematik. Drei Videosequenzen starten zum exakt gleichen Zeitpunkt, haben aber eine unterschiedliche Dauer. Das heißt, das gleiche Bild wie beim Einschalten erschiene erst wieder, wenn keiner der bei der Präsentation Anwesenden mehr am Leben wäre, oder kurz gesagt, seine Lebenszeit, so der Titel dieser Installation, abgelaufen wäre.

Projektionen auf dem Fastentuch von Victoria Coeln und Susanne Lyner

Das Fastentuch ist Teil einer Trilogie, die Victoria Coeln für den Wiener Stephansdom konzipiert hat. Der gedankliche Hintergrund sind Leben und Tod, Licht und Schatten, Sehen und Nicht-Sehen. Der religiöse Ort soll künstlerisch transformiert werden, so das Anliegen von Coeln, die bereits in berühmten Kathedralen wie Burgos oder an Ausgrabungsstätten wie Ephesos Lichtinterventionen realisiert hat. Ihre Überzeugung: „Nur in der Überlagerung von Licht und Materie kann Sehen und Erkennen stattfinden.

Zwei in Rettungsfolien gehüllte Säulenheilige

Angesprochen werden dabei selbstverständlich auch soziopolitische Verhältnisse, womit unter dem Stichwort Herkunft (zweiter Teil der Trilogie) auch das Flüchtlingsproblem thematisiert wird. Sofern man entsprechend demütig den Dom betritt, wird man erst etwas später bemerken, dass einige der 108 hoch über den Köpfen der Gläubigen wachenden Säulenheiligen in metallisch schimmernde Rettungsdecken gehüllt sind. Im Ganzen sind es 37 Frauen und Männer, die durchwegs nicht aus Europa stammen. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich um Persönlichkeiten des frühen Christentums, das sich eben dort entwickelt hat, handelt, geht es der Künstlerin um deren multikulturelle Herkunft unter anderem aus zahlreichen Ländern, die heute Kriegsgebiete sind. Zum einfacheren Auffinden werden die Figuren durch Scheinwerfer hervorgehoben. Für das Wissen um die Identität der jeweiligen Heiligen ist der Erwerb des Domführers empfohlen, in dem, wie Domarchivar Reinhard H. Gruber versichert, die Statuen genau verortet und beschrieben sind.

Die Säulenheiligen rücken auch im Abschluss der Trilogie in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Im „Frauenmonat“ der katholischen Kirche, also im Mai, ist, so Coeln, ist unter dem Schlagwort Geschlecht eine künstlerische Korrektur an den ihrer Meinung nach gesellschaftlich vorherrschenden Geschlechterverhältnissen vorgesehen. Sie lässt große Frauen des 20. und 21. Jahrhunderts in Form von Textprojektionen zu Wort kommen, verhüllt männliche Säulenheilige mit halbtransparenten Tüchern und gibt gleichzeitig den weiblichen Skulpturen und Mariendarstellungen mit fokussierten Lichtinszenierungen eine erhöhte Visibilität – als wäre es nicht gleichgültig, ob eine Frau oder ein Mann ein heiligmäßiges Leben führt, ein Dasein, wie schon der Begriff „heiligmäßig“ sagt, das Vorbild für alle die anderen sein sollte, also auch uns, die sich eben weniger um die transzendentalen Folgen kümmern.

Victoria Coeln auf der Leiter bei leztzten Hanggriffen
atelier coeln wien Logo 300

Statistik