Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Die Möwe, Ensemble © Jan Frankl

Die Möwe, Ensemble © Jan Frankl

DIE MÖWE Sommerfrische-Theater einst und heute

Günter FRanzmeier, Sandra Cervik, Paula Nocker © Jan Frankl

Günter Franzmeier, Sandra Cervik, Paula Nocker © Jan Frankl

Maria Happel und der perfekte Einstieg in eine neue Reichenauer Ära

Die Gesellschaft, die Anton Tschechow in „Die Möwe“ irgendwo in den Weiten Russlands ihren Sommer verbringen lässt, hat ein Problem: Ihr ist fad. Der angehende Schriftsteller Konstantin Gavrilovitsch Treplev versucht mit einem kleinen Theaterstück der Langeweile gegenzusteuern. Seine Mutter Irina Nikolajewna Arkadina, eine arrivierte Schauspielerin, wirft sich zur Kritikerin auf und zerreißt das Werk vor Augen und Ohren aller Anwesenden. Als Rest an Kurzweil verbleiben die komplizierten Beziehungen, die wortreich immer verwickelter werden, bis es zur erlösenden Abreise in die Stadt kommt. Im zweiten Teil des Dramas, Jahre später, geht es nicht viel anders zu. Die Dialoge, besser Streitereien, führen jedoch direkt in persönliche Tragödien der meisten Anwesenden. An Action tut sich nicht allzu viel. Die wahre Dramatik spielt sich in den Seelen der Betroffenen ab, die keine Scheu haben, diese der Öffentlichkeit in aller Breite offen zu legen.

Johanna Mahaffy, Claudius von Stolzmann © Jan Frankl

Johanna Mahaffy, Claudius von Stolzmann © Jan Frankl

Sandra Cervik, Martin Schwab © Jan Frankl

Sandra Cervik, Martin Schwab © Jan Frankl

Dass man als Sommergast der Reichenauer Festspiele dennoch gebannt diesen Auseinandersetzungen lauscht, ist einer Inszenierung zu verdanken, die tief in die Gedankenwelt Tschechows eindringt und diese durch keine unnötigen Ablenkungsmanöver stört. Regisseur Torsten Fischer verzichtet auf opulente Bühnenbilder. Ihm genügen ein Vollmond mit wabberndem Nebel, ein großer Spiegel, der Einblick auf die seitlich wartenden Schauspieler gewährt (Bühne: Herbert Schäfer), und eine spannende, aufschlussreiche Lichtführung (Ralf Sternberg). Damit sich der zuschauende Sommerfrischler in dieser Ansammlung langer russischer Namen auch auskennt, stellt Konstantin (Nils Arztmann) gleich zu Beginn die einzelnen Beteiligten vor. Für seine Mutter wurde Sandra Cervik engagiert, die mit den Allüren einer Diva von großen Zeiten träumt. Die schwindende Jugend versucht sie mit einem Verhältnis zum erfolgreichen, von ihrem Sohn aber vehement abgelehnten Autor Boris Alexejewitsch Trigorin (Claudius von Stolzmann) zu konservieren.

Um ihren Liebhaber ist jedoch seitens der Damenwelt ein rechtes Griss. So gerät er in einen veritablen Konflikt, als sich die Möwe in Person der jungen Nina Michailowna Sarjetschnaja (Paula Nocker) in ihn verliebt, obwohl sie grundsätzlich Konstantins Freundin und Hauptdarstellerin ist. Eine zweite Bruchstelle schafft der Gemeindearzt Jewgeni Sergejewitsch (Günter Franzmeier). Auf ihn fliegt Mascha (Johanna Mahaffy), um die wiederum der introvertierte Lehrer Semjon Semjonowitsch Medwedenko (Anton Widauer) vergeblich wirbt. Martin Schwab ist Irinas Bruder Pjotr Nikolajewitsch Sorin, dessen Einlenkungsmanöver jedoch summa summarum ins Leere gehen. Der einzige, der mit lebensnahem Zynismus erfolgreich ein Außenstehender bleibt, ist Gutsverwalter Ilja Afanasjewitsch Schamrajew, dem Markus Kofler souveräne Ungerührtheit verleiht. Es zahlt sich also aus, nach Reichenau zu reisen, um eine Reihe von Stars aus unseren großen Theatern und vielversprechenden Nachwuchs in sommerlicher Entspanntheit bei der Arbeit zu erleben.

Nils Arztmann, Paula Nocker © Jan Frankl

Nils Arztmann, Paula Nocker © Jan Frankl

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