Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Robert Clayton (Daniel Jesch), Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Donald Clayton, (Skye MacDonald)

Robert Clayton (Daniel Jesch), Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Donald Clayton, (Skye MacDonald) © Lalo Jodlbauer

DIE WASSERFÄLLE VON SLUNJ Als Väter noch Raubtiere waren

Die Wasserfälle von Slunj, Ensemble © Lalo Jodlbauer

Die Wasserfälle von Slunj, Ensemble © Lalo Jodlbauer

Menschen und Schicksale aus dem Ende der Monarchie; vom Roman zur Tragödie

Für Robert und Harriet Clayton war der Besuch der beeindruckenden Wasserfälle im heutigen Kernkroatien ein wunderschönes und gewaltiges Erlebnis. Es war die Hochzeitsreise von zwei an sich völlig unterschiedlichen Charakteren, was bedrückend deutlich wird, als Jahre später das Ehepaar in Wien landet. Sie ist die zurückhaltende, still leidende Frau, die den Umzug aus England an die Donaumetropole nicht verkraftet. Vor allem vermisst sie ihren Sohn Donald, der alleine daheim geblieben ist. Robert ist der rührige Unternehmer, der hier in Mitteleuropa einen neuen, idealen Standort für seine Maschinenfabrik gefunden zu haben glaubt. Heimito von Doderer hat deren Geschichte in einem Roman erzählt. Vorgestellt werden dabei die Menschen der Stadt und deren durchaus komische Eigenheiten in liebenswürdiger Weise. Doderer benötigt dazu jedoch große Sprünge durch Zeit und Raum, die es schier unmöglich machen, die Handlung auf eine Bühne zu stellen. Der Schauspieler Nicolaus Hagg, längst auch Experte in Dramatisierungen von Literatur, hat es dennoch geschafft, aus dem Stoff eine dichte Tragödie zu formen, beinahe antik-klassisch, da es vor einem gnadenlosen Schicksal kein Entrinnen gibt.

Zdenko von Clamtatsch (Markus Freistätter), Gräfin Emilia Ergoletti (Sona MacDonald)

Zdenko von Clamtatsch (Markus Freistätter), Gräfin Emilia Ergoletti (Sona MacDonald) © Lalo Jodlbauer

Harriet Clayton (Emese Fay), Robert Clayton (Daniel Jesch) © Lalo Jodlbauer

Harriet Clayton (Emese Fay), Robert Clayton (Daniel Jesch) © Lalo Jodlbauer

Der Neue Spielraum wurde für „Die Wasserfälle von Slunj“ von Regisseurin Beverly Blankenship ideal genützt, um in äußerst karger Ausstattung Trauriges und Spaßiges in einem zarten Spannungsbogen organisch dem bitteren Ende zuzuführen. Zur Verfügung steht ihr dabei ein grandioses Ensemble, das alle die feinen, von Doderer erdachten Nuancen umzusetzen vermag. Im Zentrum steht der Kroate Andreas Milohnic (Rafael Schuchter), ein Hotelportier, der den ankommenden Industriellen Robert Clayton auf der Stelle in sein Netzwerk aufnimmt und nicht zuletzt personell die Fäden zieht. Er empfiehlt den nicht gerade seriösen Rechtsanwalt Dr. Eptinger, mit dem Günter Franzmeier immer wieder für Lacher und Lockerung angespannter Situationen sorgt.

Milo hat aber auch den Geschäftsführer an der Hand. David Oberkogler erscheint als Wiener Original namens Josef Chwostik; herabgekommen und in zweifelhaften Verhältnissen lebend. Er teilt seine kleine Wohnung mit den leichten, aber herzensguten Mädchen Finy (Johanna Arrouas) und Feverl (Bettina Schwarz). Angesichts seiner neuen Stellung müsste er sich von ihnen trennen, bringt es aber nicht über sich, sie hinauszuschmeißen. Für erfrischende Momente sorgt auch Sona MacDonald. Ihre Gräfin Emilia Ergoletti stemmt sich vehement gegen das Altern, indem sie sich junge Männer für ihren noch immer attraktiven Körper krallt. So kommt ihr der Maturant Zdenko von Clamtatsch (Markus Freistätter) gerade recht. Der Bursch will Arzt werden, sein Vater will ihn in der Firma haben. „Väter sind Raubtiere“ weiß die Gräfin und bietet ihm an, sein Studium zu finanzieren – mit Rückzahlung in welcher Währung immer. Zdenko überwindet sich zu einer Zudringlichkeit, wird aber von der Gräfin in einer Anwandlung von Vernunft zurück gewiesen.

Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Robert Clayton (Daniel Jesch) © Lalo Jodlbauer

Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Robert Clayton (Daniel Jesch) © Lalo Jodlbauer

Daniel Jesch nimmt man den energischen Pionier auf dem Gebiet des Maschinenbaus gerne ab. Sein Robert Clayton kann auf die ihm unbegreiflichen Empfindlichkeiten seiner Gattin Harriet (Emese Fay) keine Rücksicht nehmen. Als Sohn Donald (Skye MacDonald) erwachsen ist, soll er in das Geschäft einsteigen. Er macht seine Sache hervorragend; wäre da nicht die Liebe. Donald lernt die etwas ältere Monica Bachler kennen, eine der ersten Diplom Ingenieurinnen und Leiterin eines Technik-Magazins. An sich entspinnen sich zarte Bande zwischen den beiden. Johanna Mahaffy versucht – erfolglos – den in sich verschlossenen Jüngling aus seiner Zurückhaltung zu locken.

Als sie bei einem Besuch in der Villa der Claytons dessen Vater trifft, springt der verhängnisvolle Funken über. Die beiden werden ein leidenschaftliches Liebepaar und planen eine Verlobung. Inzwischen treffen mehr und mehr verzweifelt klingende Liebesbriefe von dem auf einer Geschäftsreise befindlichen Donald ein, die von Monica nicht beantwortet werden. Ratlosigkeit macht sich breit. Roberts Anweisung an Chwostik, auf der Heimreise mit Donald die Wasserfälle von Slunj zu besuchen, erweist sich als verhängnisvoll...

 Finy (Johanna Arrouas), Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Feverl (Bettina Schwarz) © Lalo Jodlbauer

Finy (Johanna Arrouas), Monica Bachler (Johanna Mahaffy), Feverl (Bettina Schwarz) © Lalo Jodlbauer

Senfsamen (Melanie Hackl), Demetrius (Johannes Deckenbach), Helena (Pia Zimmermann), Hippolyta

Senfsamen (Melanie Hackl), Demetrius (Johannes Deckenbach), Helena (Pia Zimmermann), Hippolyta (Barbara Petritsch), Poet (Martin Schwab), Theseus (Nicolas Brieger), Hermia (Laura Dittmann), Lysander (Sebastian Egger), Puck (Ludwig Blochberger) © Lalo Jodlbauer

EIN SOMMERNACHTSTRAUM im alten Grand Hotel am Zauberberg

Senfsamen (Melanie Hackl), Titania (Barbara Petritsch) und Gefolge © Lalo Jodlbauer

Senfsamen (M. Hackl), Titania (B. Petritsch), Gefolge © Lalo Jodlbauer

Wenn die Noblesse eines verlassenen Gebäudes auf Shakespeare noch eins draufsetzt...

Das Südbahnhotel erinnert eher an eine Ritterburg als an eine Nobelherberge, als die sie einst für Geldleute als Domizil ihrer Sommerfrische gedient hat. Aufschriften an Türen erinnern noch an den Luxus, die Eingänge führen aber in baufällige Tiefen. Im Zentralbereich haben sich noch einige Räume in ihrer ehemaligen Pracht erhalten; mit den Lustern, dem Stuck an den Decken und den großen Fenstern, vor denen sich die pittoreske Landschaft des Semmerings ausbreitet. Sie laden ein, dass hier Theater gespielt wird, beben förmlich vor Inspiration, die für jede Inszenierung unabdingbare Voraussetzung ist. So ist heuer auch Maria Happel, Prinzipalin der Festspiele Reichenau, dem Ruf gefolgt, im alten Grand Hotel eine ihrer Produktionen anzusetzen. Was hätte besser gepasst als „Der Sommernachtstraum“ von William Shakespeare, eine Komödie, mit der die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit ebenso verwischt werden wie die Zeiten, die zwischen dem von Geistern bewohnten Wald von Athen und den mit melancholischen Föhren bestandenen Felsen rund um die Passhöhe zu liegen scheinen.

Lysander (Sebastian Egger), Hermia (Laura Dittmann) © Lalo Jodlbauer

Lysander (Sebastian Egger), Hermia (Laura Dittmann) © Lalo Jodlbauer

Zettl (Sebastian Wendelin), Titania (Barbara Petritsch) © Lalo Jodlbauer

Zettl (Sebastian Wendelin), Titania (Barbara Petritsch) © Lalo Jodlbauer

Das Publikum muss beweglich sein. Nach einer Introduktion im gemütlichen Barbereich wartet ein Anstieg über zwei Stockwerke in den Waldhofsaal und dessen Terrasse. Für die letzen beiden Akte geht es wieder ins Erdgeschoss, wo im Speisesaal zum Dessert eine üppige Rüpelkomödie aufgetragen wird. Maria Happel hat selbst Regie geführt und dem Genius Loci mit launigen Ideen sowie einem grandiosen Ensemble gehuldigt. Martin Schwab führt in poetischer Manier durch das letztlich heitere Geschehen. Begleitet wird er von jungen Damen, die als Hotelpersonal oder als dienende Feen mit feinem Gesang die Anwesenden entzücken. Nicolas Brieger ist ein strenger Theseus im Salonsteirer ebenso wie ein Oberon, der sich als Kopfschmuck ein Geweih gefallen lassen muss, im übrigen aber recht menschlich reagiert. Die stärkste Waffe gegen seine widerspenstige Gattin Titania ist der umtriebige Puck, ein Elf, der nur Unsinn im Schädel hat. Ludwig Blochberger im Schottenrock hat sichtlich Spaß an seinen Streichen, aber niemand kann ihm wirklich böse sein. Dabei hätten die vier jungen Leute jeden Grund dazu. Lysander (Sebastian Egger) liebt Hermia (Laura Dittmann), die allerdings Demetrius (Johannes Deckenbach) versprochen ist, den wiederum sie nicht mag. Helena (Pia Zimmermann) ist unsterblich in Demetrius verknallt, der von ihr nichts wissen will. Das wäre schon Herzenschaos genug, aber Puck schafft es, die Verwirrung bis zu groben Handgreiflichkeiten zu steigern. Auf die Vorhalte Oberons hat er nur ein freches Grinsen.

Poet (Martin Schwab), Puck, ein Elf (Ludwig Blochberger) © Lalo Jodlbauer

Poet (Martin Schwab), Puck, ein Elf (Ludwig Blochberger) © Lalo Jodlbauer

Schnock/Löwe (Jakob Semotan), Zettel/Pyramus (Sebastian Wendelin), Flaut/Thisbe (Florian Carove)

Schnock/Löwe (Jakob Semotan), Zettel/Pyramus (Sebastian Wendelin), Flaut/Thisbe (Florian Carove), Schlucker/Mond (Paul Basonga), Schnauz/Wand (Helmut Bohatsch), Squenz - Prolog (André Pohl) © Lalo Jodlbauer

Das wahre Drama im Drama bestreiten Handwerker, die anlässlich der Hochzeit ihres Herrn partout die Tragödie „Pyramus und Thispe“ aufzuführen gedenken. Regisseur und Dramaturg ist Squenz. André Pohl dürfte von dieser Aufgabe einigermaßen gestresst sein, da er ständig Tropfen zur Beruhigung einnimmt. Flaut (Florian Carove) gibt Thispe, Schnauz (Helmut Bohatsch) die Wand.

Jakob Semotan brüllt famos als Löwe, mit dem Schnock, der Hausmeister, besetzt ist, und der stämmige Schlucker (Paul Basogna), ein Elektriker, ist für Beleuchtung mittels Mondlicht zuständig. Ohne Zettel, den Installateur, geht jedoch gar nichts. Der junge Mann wähnt sich als der geborene Mime, sein Darsteller Sebastian Wendelin hingegen ist tatsächlich ein grandioser Komiker. Das Stück wird genau in dem Wald gemeinsam erarbeit, in dem Puck seinen Schabernack treibt. Im Auftrag Oberons setzt er dem Wichtigtuer den berühmten Eselskopf auf und dank einer verhängnisvollen Droge verliebt sich die erwachende Titania in den dummen Kerl. Die elegante Barbara Petritsch kann einem Leid tun, wenn sie von den langen Ohren zu äußerster Sinnlichkeit animiert wird und den entstellten Burschen ihren Elfen als großartigen Liebhaber vorstellt. Aber es ist ja nur eine Sommernacht und vielleicht haben alle nur geträumt und die im Dunklen erlebten Seltsamkeiten waren nichts als die Gaukelei der Geister, die bis heute durch die Gänge und Zimmer des Südbahnhotels weben.

Senfsamen (Melanie Hackl) und Gefolge (Statisterie) © Lalo Jodlbauer

Senfsamen (Melanie Hackl) und Gefolge der Titania (Statisterie) © Lalo Jodlbauer

Schemarjah (Gregor Schulz), Deborah (Julia Stemberger), Jonas (Alex Kapl) © Lalo Jodlbauer

Schemarjah (Gregor Schulz), Deborah (Julia Stemberger), Jonas (Alex Kapl) © Lalo Jodlbauer

HIOB Wann wirkt Gott endlich das Wunder?

Mendel Singer (Joseph Lorenz) © Lalo Jodlbauer

Mendel Singer (Joseph Lorenz) © Lalo Jodlbauer

Die Essenz eines großen Romans ergreifend ausgespielt

Der biblische Hiob hat seinem Gott auch nach den schlimmsten Schicksalsschlägen die Treue gehalten. Über den bescheidenen Toralehrer Mendel Singer aus dem russischen Schtetl Zuchnow bricht eine ähnliche Prüfung seines Gottvertrauens herein. Einer seiner Söhne fällt im Ersten Weltkrieg, der andere gilt als verschollen, die Tochter verliert ihren Verstand, die Frau stirbt und es bleibt ungewiss, was mit dem Jüngsten passiert ist, einem behinderten Knaben, den Mendel von der Reise nach Amerika in Russland zurück gelassen hat. Dieses Leid geht über die Kraft des an sich frommen Juden, der in seiner Verzweiflung sein Gott gefälliges Leben bereut, sich von ihm lossagt und sich sogar zur Behauptung versteigt, dass der Teufel gütiger als Gott sei. Scheinbar zu lange lässt das von einem Rabbi versprochene Wunder auf sich warten.

Mirjam (Katharina Lorenz), Schemarjah (Gregor Schulz), Geiger (Aliosha Biz), Kapturak

Mirjam (Katharina Lorenz), Schemarjah (Gregor Schulz), Geiger (Aliosha Biz), Kapturak (Wolfgang Hübsch), Deborah (Julia Stemberger) © Lalo Jodlbauer

Schemarjah (Gregor Schulz), Mirjam (Katharina Lorenz), Deborah (Julia Stemberger), Mendel Singer

Schemarjah (Gregor Schulz), Mirjam (Katharina Lorenz), Deborah (Julia Stemberger), Mendel Singer (Joseph Lorenz)

Der aus einem jüdischen Elternhaus in Ostgalizien stammende Schriftsteller Joseph Roth hat in dem 1930 erschienen Roman „Hiob“ diese Version eines Buches aus dem Alten Testament in gewaltiger Sprache in seine Zeit umgesetzt. Es gibt davon etliche Bearbeitungen für die Bühne, die jedoch zumeist die Kenntnis der literarischen Vorlage bedingen. Alexandra Liedtke ist es gelungen, aus dem mächtigen Text das Wesentliche so zu extrahieren, dass ein raffiniertes Zusammenspiel aus Zitaten und Dialogen in einer extrem bescheidenen Ausstattung ein ungemein berührendes Ganzes ergibt und nicht zuletzt eine Einladung darstellt, sich umgehend das Buch zu kaufen, um in die Fülle der faszinierenden Formulierungen eines Joseph Roth einzutauchen.

 

Joseph Lorenz trägt die Gestalt des Mendel Singer glaubhaft durch die Emotionen, die einen Menschen angesichts solcher Unbill bewegen. Er lässt sich vorerst nicht von seiner praktisch denkenden Frau Deborah (Julia Stemberger) im Glauben an die Gerechtigkeit seines Gottes irritieren und opfert dieser Strenge sogar den kranken Menuchim, der in einer Klinik geheilt werden könnte.

Dort würde er wie die anderen ernährt, mit Fleisch und Milch zusammen, was in seiner Religion verboten ist. Das Kind ist durch seine Kleidung vertreten, die von seinen frustrierten Geschwistern bis zu einem Tötungsversuch misshandelt wird. Katharina Lorenz als seine Tochter (nicht in der Realität, wie es die Namensgleichheit nahelegen könnte) Mirjam ist ein triebgesteuertes Mädchen, das sich mit den Soldaten der nahen Garnison einlässt und am Schluss in einem amerikanischen Irrenhaus landet. Alex Kapl zieht zu Beginn als Mendels Sohn Jonas den Militärdienst einer Flucht vor. In New York erscheint er als Mac, Geschäftsmann und Kompagnon von Schemarja bzw. Sam (Gregor Schulz), dem zweiten Sohn, und am Ende als Deus es machina der erfolgreiche Musiker Alexej Kossak, alias der geheilte Menuchim. Wolfgang Hübsch hätte sowohl Rabbiner als auch Kutscher sein sollen und die Stichworte wie Bälle verteilen. In der Pause der Generalprobe ist der Schauspieler jedoch gestürzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Seine Rolle wurde für die weiteren Aufführungen von Günter Franzmeier und dem Ensemble übernommen. Unsere Genesungswünsche begleiten Wolfgang Hübsch.

hinten: Jonas (Alex Kapl), Mirjam (Katharina Lorenz), vorne: Mendel Singer (Joseph Lorenz)

hinten: Jonas (Alex Kapl), Mirjam (Katharina Lorenz), vorne: Mendel Singer (Joseph Lorenz), Deborah (Julia Stemberger) © Lalo Jodlbauer

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