Kultur und Weindas beschauliche MagazinAchtsam morden, Ensemble © Robert Peres ACHTSAM MORDEN ohne Stress und mit zufriedenem Lächeln
Karsten Dusse ist Rechtsanwalt und gleichzeitig in Deutschland ein vielbeschäftigter Medienstar. Was an sich schwer vereinbar ist, trockenes Paragraphenreiten und kreativ intelligente Unterhaltung, haben sich in seiner Person zu einem ungemein ergiebigen Quell zusammengetan, aus dem für sein Publikum eine Fülle an juristisch gesichertem Spaß strömt. Es wäre gewiss übertrieben, wenn man den von ihm erfundenen Kollegen Björn Diemel als eine Art Alter Ego Dusses bezeichnete. Dass dieser arme Hund von Rechtsanwalt als Knecht der Kanzlei Dresen ausgerechnet die dreckigsten Fälle zugewiesen bekommt, mag dennoch auf eine im Unterbewusstsein des Autors tief vergrabene Frustration verweisen, denn in der Komödie „Achtsam morden“ werden alle diese subtilen Rachegedanken erfüllt, denen in einem realen Berufsleben Schranken aller Art gesetzt sein mögen. Sein Björn Diemel verfügt nicht nur über genügend kriminelle Intelligenz, um zwei Verbrechersyndikate zu zerbröseln, er hat auch das bürgerliche Herz eines liebenden Ehemannes und Vaters. Dass es dazu einen Anstoß von außen braucht, ist keine Schande. In seinem Fall ist es eine Psychotherapeutin, die ihn Achtsamkeit lehrt, die ihn einen neuen, entspannten Zugang zu dem vom Schicksal aufgezwungenen Leben finden lässt.
Bernd Schmidt hat diese Idee von Karsten Dusse für die Bühne umgesetzt, als eine atemberaubende Abfolge einzelner Szenen, die organisch ineinander gehen, erfrischende Gags und kurze Ausstiege aus der Handlung erlauben, ohne die Spannung zu unterbrechen. Nachdem das Stück, so das Programmheft, in Deutschland bereits Kult ist, war es höchst an der Zeit, diesen mörderischen Spaß nach Wien zu bringen. Ort der begeistert aufgenommenen österreichischen Uraufführung war die dafür prädestinierte Freie Bühne Wieden. Nici Neiss schaffte es, mit erstaunlich geringem Aufwand große Wirkung zu erzielen. Der Regisseurin genügten Toneinspielungen und Projektionen (Stefanie Gutmann), dazu Kostüme, die mit wenigen Handgriffen stets neue Personen erschaffen, und ein Ensemble, das imstande ist, virtuos in eine Reihe von Rollen und Charakteren zu wechseln. Prinzipalin Michaela Ehrenstein ist die esoterisch durchs Geschehen schwebende Dr. Johanna Breitner (Therapeutin) und wird mittels Leopardenjacke zur Puffmutter Carla.
Sujet Chaplin 1939 © Freie Bühne Wieden CHAPLIN, 1939 Die Entstehung eines großen Diktators Da hat doch glatt ein gewisser Adolf Hitler, großer Führer der Deutschen, dem kleinen Tramp den Schnurrbart gestohlen. So etwas wurmt den Erfinder dieses quirligen kleinen Mannes, der die Großen und Starken regelmäßig blöd aussehen lässt. Charly Chaplin will sich dafür rächen und hat eine grandiose Idee. Er schafft einen Doppelgänger und will in einem neuen Film den Tramp auf den Führer prallen lassen. Noch während der ersten Geburtsschmerzen besucht ihn sein Bruder Sydney Chaplin. Der ist mehr als skeptisch, ob ein solches Thema überhaupt lustig im Sinne von Chaplin aufzubereiten ist. Als er jedoch Streifen mit perfekter Nazi-Propaganda sieht und Hitler bei dessen bis ins Detail durch inszenierten Reden lauscht, findet er die Lösung, wie die Grenze zwischen Stummfilm und Tonfilm originell überwunden werden könnte und ein Darsteller beide Figuren mit einer Stimme spielen kann. Nach und nach nehmen die zentralen Szenen Gestalt an. Mitten ins schönste Träumen platzt jedoch Paulette Goddard, die Gattin Chaplins. Statt sich wortlos hinzusetzen, um den Meister in seiner kreativen Phase nicht zu stören, behauptet sie ihr Recht als Frau, die möglicherweise ein Casting für sich entschieden hat. Sie soll bei ihrem Mann die Rolle der Hannah übernehmen, was sie auch tut, wenn auch unter Protest. Robert Ritter, Alexander Wussow © FBW / Philipp Hutter Der Franzose Cliff Paillé hat die Zeit, in der „Der große Diktator“ in Charly Chaplin gereift ist, zu einem gedankenvollen Theaterstück komprimiert. Er öffnet darin überraschende Blickachsen in das Leben und die Seele des damals schon berühmten Künstlers. Chaplin ist im Grunde noch der Tramp, der Gassenjunge, dessen Mutter verrückt wurde und die beiden Buben auf sich gestellt hatte. Es geht auch um die Liebesfähigkeit eines solchen Mannes. Er wird von seinen Fans und den Frauen verehrt.
AM 4. IM 4. UM 4 H macht Lust auf das Monatsprogramm
„Ich weiß auf der Wieden ein – Theaterjuwel!“, das zwar nicht wie das in diesem Lied besungene Hotel in einem verschwiegenen Gässchen liegt, sondern auf der Wiedner Hauptstraße 60b für wunderbare Stunden sorgt. Prinzipalin Michaela Ehrenstein öffnet ihr kleines Theater passend auf diese wunderschöne Ziffer am 4. jeden Monats im 4. Bezirk um 4 Uhr nachmittags für ein persönliches Treffen mit Freunden, zu denen sich jeder zählen darf, der die mutigen Produktionen dieser Bühne schätzt. Zwischen launigen Anekdoten singt sie, begleitet vom Pianisten Béla Fischer, Chansons, passend zu den kommenden Premieren. Leicht zu merken: Am 4. im 4. um 4 Uhr! Géza Terner, Leopold Dallinger, Markus Tavakoli © Robert Ritter CHAIM UND ADOLF Eine Schachpartie um die Vergangenheit
In einem paradiesisch ruhigen Wintersportort irgendwo in Tirol verbringt der Israeli Chaim einen Schiurlaub. Mit Après Ski und Partys hat er nichts am Hut. Viel lieber vertreibt er sich seine Zeit abseits der Piste mit Schachspielen. Aber wo nimmt man dort nur einen Gegner her? Die Einheimischen setzen sich zum Schnapsen zusammen, mit Doppeldeutschen Karten, also mit Herz, Spaten, Eichel und Blatt, und kümmern sich weiters nicht um die Gäste und deren Bedürfniss nach Hirngymnastik am Schachbrett. Also muss der Wirt herhalten, der sich jedoch nach einigen Partien als unzureichendes Gegenüber erweist. Martin, so heißt der Gastronom, ist virtuos im Zapfen von Bier, aber mit Damengambit oder Rochade kann er sich nur wenig anfangen. Also wird ein entsprechender Gegner gesucht und findet sich in einem Großbauern aus dem Dorf. Immerhin war der einmal Bezirksmeister und könnte Chaim herausfordern, wenn er nur nicht Adolf hieße und damit im anderen schreckliche Erinnerungen an eine von beiden nicht erlebte Geschichte erwecken würde. Irgendwann lässt sich Martin breit schlagen und lädt Adolf ein. Es kommt zu einer Partie, die der Theaterautor Stefan Vögel als Eröffnung einer ganzen Reihe von gerissenen Zügen, abwartenden Strategien und zermürbenden Kommentaren in unterhaltsam spannender Form austragen lässt.
In der Freien Bühne Wieden gab es die österreichische Erstaufführung von „Chaim und Adolf“ unter der Regie von Reinhard Hauser. Géza Terner ist der Historiker Chaim und Markus Tavakoli ein uriger Tiroler Landwirt. Im Fenster hinter den Schachspielern türmen sich Schnee bedeckte Bergesgipfel (Bühne: Siegbert Zivny), beinahe so bedrohlich wie die allmählich sickernden Erkenntnisse auf Seiten von Adolf. Martin (Leopold Dallinger) erweist sich als unparteiischer Schiedsrichter und sorgt als Moderator für Entspannung, wenn die Wogen zwischen Chaim und Adolf allzu wild hochzugehen drohen. Chaim ist der Enkelsohn eines Großvaters, der in Dachau über Jahre gelitten hat. Adolfs Großvater hingegen hat mit Zwangsarbeitern, zu denen auch die nichtjüdische Großmutter von Chaim gezählt hat, ein Vermögen gemacht. Es ist die dritte Generation seit dem Holokaust, die an diesem Wirtshaustisch Zug um Zug zu einer gemeinsamen Wahrheit findet. Genaueres wird nicht verraten, nur so viel: Was unterscheidet einen Goi von einem Juden? Stefan Vögel gibt darauf eine Antwort – überraschend und versöhnlich – in einem Pflichtstück in unserer zerstrittenen Zeit. Statistik |