Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Sujet Chaplin 1939 © Freie Bühne Wieden

Sujet Chaplin 1939 © Freie Bühne Wieden

CHAPLIN, 1939 Die Entstehung eines großen Diktators

Alexander Wussow © FBW / Philipp Hutter

Alexander Wussow © FBW / Philipp Hutter

Wenn es um den Schnurrbart geht, ist´s mit dem Spaß vorbei!

Da hat doch glatt ein gewisser Adolf Hitler, großer Führer der Deutschen, dem kleinen Tramp den Schnurrbart gestohlen. So etwas wurmt den Erfinder dieses quirligen kleinen Mannes, der die Großen und Starken regelmäßig blöd aussehen lässt. Charly Chaplin will sich dafür rächen und hat eine grandiose Idee. Er schafft einen Doppelgänger und will in einem neuen Film den Tramp auf den Führer prallen lassen. Noch während der ersten Geburtsschmerzen besucht ihn sein Bruder Sydney Chaplin. Der ist mehr als skeptisch, ob ein solches Thema überhaupt lustig im Sinne von Chaplin aufzubereiten ist. Als er jedoch Streifen mit perfekter Nazi-Propaganda sieht und Hitler bei dessen bis ins Detail durch inszenierten Reden lauscht, findet er die Lösung, wie die Grenze zwischen Stummfilm und Tonfilm originell überwunden werden könnte und ein Darsteller beide Figuren mit einer Stimme spielen kann. Nach und nach nehmen die zentralen Szenen Gestalt an. Mitten ins schönste Träumen platzt jedoch Paulette Goddard, die Gattin Chaplins. Statt sich wortlos hinzusetzen, um den Meister in seiner kreativen Phase nicht zu stören, behauptet sie ihr Recht als Frau, die möglicherweise ein Casting für sich entschieden hat. Sie soll bei ihrem Mann die Rolle der Hannah übernehmen, was sie auch tut, wenn auch unter Protest.

Robert Ritter, Alexander Wussow © FBW / Philipp Hutter

Robert Ritter, Alexander Wussow © FBW / Philipp Hutter

Der Franzose Cliff Paillé hat die Zeit, in der „Der große Diktator“ in Charly Chaplin gereift ist, zu einem gedankenvollen Theaterstück komprimiert. Er öffnet darin überraschende Blickachsen in das Leben und die Seele des damals schon berühmten Künstlers. Chaplin ist im Grunde noch der Tramp, der Gassenjunge, dessen Mutter verrückt wurde und die beiden Buben auf sich gestellt hatte. Es geht auch um die Liebesfähigkeit eines solchen Mannes. Er wird von seinen Fans und den Frauen verehrt.

Kann er diese Zuneigung aber auch erwidern? Eine Antwort darauf gibt Alexander Sascha Wussow. Wenn er im Rhythmus des Ungarischen Tanzes Nr. 5 von Johannes Brahms einen imaginären Kunden rasiert oder später zu den zarten Violinklängen aus dem Vorspiel zu Lohengrin von Richard Wagner mit der Weltkugel tanzt, merkt man die Faszination eines Genies an den eigenen Ideen. Sein Bruder Sydney (Robert Ritter) ist dagegen der Realist, der sich um Feindschaften und Probleme kümmert, die mit einem solchen Projekt verbunden sind. Anna Sophie Krenn ist eine Paulette Goddard, die voll mit Emotionen dennoch an der Mauer abprallt, die Chaplin um sich aufgebaut hat. Dabei hilft ihr auch die tolle Tanzeinlage nichts, mit der sie ihren Mann auf sich aufmerksam machen will. Als Schauplatz genügt das Arbeitszimmer mit Filmprojektor, einem Plakat mit all seinen legendären Filmtiteln und einem Sofa zum Zurückziehen (Bühne: Siegbert Zivny), das gefühlvoll von Stefanie Gutmann ins rechte Licht gesetzt wurde.

Anna Sophie Krenn © FBW / Philipp Hutter

Anna Sophie Krenn © FBW / Philipp Hutter

AM 4. IM 4. UM 4 H macht Lust auf das Monatsprogramm

Béla Fischer, Michaela Ehrenstein © Freie Bühne Wieden

Béla Fischer, Michaela Ehrenstein © Freie Bühne Wieden

Ein neues Format mit Musik und unterhaltsamen Texten von Michaela Ehrenstein

„Ich weiß auf der Wieden ein – Theaterjuwel!“, das zwar nicht wie das in diesem Lied besungene Hotel in einem verschwiegenen Gässchen liegt, sondern auf der Wiedner Hauptstraße 60b für wunderbare Stunden sorgt. Prinzipalin Michaela Ehrenstein öffnet ihr kleines Theater passend auf diese wunderschöne Ziffer am 4. jeden Monats im 4. Bezirk um 4 Uhr nachmittags für ein persönliches Treffen mit Freunden, zu denen sich jeder zählen darf, der die mutigen Produktionen dieser Bühne schätzt. Zwischen launigen Anekdoten singt sie, begleitet vom Pianisten Béla Fischer, Chansons, passend zu den kommenden Premieren. Leicht zu merken: Am 4. im 4. um 4 Uhr!

Géza Terner, Leopold Dallinger, Markus Tavakoli © Robert Ritter

Géza Terner, Leopold Dallinger, Markus Tavakoli © Robert Ritter

CHAIM UND ADOLF Eine Schachpartie um die Vergangenheit

Géza Terner, Markus Tavakoli © Robert Ritter

Géza Terner, Markus Tavakoli © Robert Ritter

Unterhaltsam überraschende Züge zweier – scheinbar – zutiefst unterschiedlicher Spieler

In einem paradiesisch ruhigen Wintersportort irgendwo in Tirol verbringt der Israeli Chaim einen Schiurlaub. Mit Après Ski und Partys hat er nichts am Hut. Viel lieber vertreibt er sich seine Zeit abseits der Piste mit Schachspielen. Aber wo nimmt man dort nur einen Gegner her? Die Einheimischen setzen sich zum Schnapsen zusammen, mit Doppeldeutschen Karten, also mit Herz, Spaten, Eichel und Blatt, und kümmern sich weiters nicht um die Gäste und deren Bedürfniss nach Hirngymnastik am Schachbrett. Also muss der Wirt herhalten, der sich jedoch nach einigen Partien als unzureichendes Gegenüber erweist. Martin, so heißt der Gastronom, ist virtuos im Zapfen von Bier, aber mit Damengambit oder Rochade kann er sich nur wenig anfangen. Also wird ein entsprechender Gegner gesucht und findet sich in einem Großbauern aus dem Dorf. Immerhin war der einmal Bezirksmeister und könnte Chaim herausfordern, wenn er nur nicht Adolf hieße und damit im anderen schreckliche Erinnerungen an eine von beiden nicht erlebte Geschichte erwecken würde. Irgendwann lässt sich Martin breit schlagen und lädt Adolf ein. Es kommt zu einer Partie, die der Theaterautor Stefan Vögel als Eröffnung einer ganzen Reihe von gerissenen Zügen, abwartenden Strategien und zermürbenden Kommentaren in unterhaltsam spannender Form austragen lässt.

Markus Tavakoli, Leopold Dallinger © Robert Ritter

Markus Tavakoli, Leopold Dallinger © Robert Ritter

Géza Terner, Markus Tavakoli, Leopold Dallinger © Robert Ritter

Géza Terner, Markus Tavakoli, Leopold Dallinger © Robert Ritter

In der Freien Bühne Wieden gab es die österreichische Erstaufführung von „Chaim und Adolf“ unter der Regie von Reinhard Hauser. Géza Terner ist der Historiker Chaim und Markus Tavakoli ein uriger Tiroler Landwirt. Im Fenster hinter den Schachspielern türmen sich Schnee bedeckte Bergesgipfel (Bühne: Siegbert Zivny), beinahe so bedrohlich wie die allmählich sickernden Erkenntnisse auf Seiten von Adolf. Martin (Leopold Dallinger) erweist sich als unparteiischer Schiedsrichter und sorgt als Moderator für Entspannung, wenn die Wogen zwischen Chaim und Adolf allzu wild hochzugehen drohen. Chaim ist der Enkelsohn eines Großvaters, der in Dachau über Jahre gelitten hat. Adolfs Großvater hingegen hat mit Zwangsarbeitern, zu denen auch die nichtjüdische Großmutter von Chaim gezählt hat, ein Vermögen gemacht. Es ist die dritte Generation seit dem Holokaust, die an diesem Wirtshaustisch Zug um Zug zu einer gemeinsamen Wahrheit findet. Genaueres wird nicht verraten, nur so viel: Was unterscheidet einen Goi von einem Juden? Stefan Vögel gibt darauf eine Antwort – überraschend und versöhnlich – in einem Pflichtstück in unserer zerstrittenen Zeit.

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