Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Die Wildnis im Wandel der Jahreszeiten

HAUS DER WILDNIS Ein Fenster in unberührte Natur

Das Haus der Wildnis im Zentrum von Lunz am See

Wie der Habichtskauz durch den Urwald fliegen

Ja, es gibt sie noch, die Baumriesen, die seit der letzten Eiszeit keinen Menschen gesehen haben, keine Sägen und Hacken kennen, die einfach umfallen, wenn ihre Tage gezählt sind. Junge Fichten sprießen auf ihren vermodernden Stämmen, holen sich auf diesem erhöhnten Platz das notwendige Sonnenlicht, um sich gegen den anderen Nachwuchs durchzusetzen. Käfer sind dort keine Schädlinge, denn sie bekommen gerade so viel Lebensraum, um selbst in diesem Dschungel zu überleben. Die Bäume sind gegen derlei Überfälle bestens gewappnet, verbunden mit Myzelien, einem gewaltigen Netz der Kommunikation, das ihnen mitteilt, wenn sie gegen diese Insekten mehr Harz zu ihrem Schutz produzieren müssen. Moospolster halten verlässlich genügend Wasser der schmelzenden Schneemassen, um den heißen, trockenen Sommer in diesen felsigen Gegenden überstehen zu lassen. Tierische Waldbewohner brauchen keine Angst vor Jägern zu haben. Denn der gefährlichste Schädling, der Mensch, hat zu diesem einmaligen Biotop einen nur sehr eingeschränkten Zugang.

Der Luchs wäre als Gast in der Wildnis grn gesehen

Eine nahezu paradiesische Situation! Sie garantiert eine faszinierende Artenvielfalt an Flora und Fauna. Bei diesem Stück unberührter Natur handelt es sich um den Rothwald, 400 Hektar Baumbestand am Dürrenstein im südlichen Mostviertel, der dem unersättlichen Holzbedarf der vergangenen Jahrhunderte nicht zum Opfer gefallen ist. Rund um den zentralen Urwald wurde im Laufe der Jahre ein stetig wachsendes „Wildnisgebiet“ mit mittlerweile ansehnlichen 7000 Hektar angelegt. Es soll in Zukunft von Forstwirtschaft und Tourismus verschont bleiben. Einzig die Forschung hat Zutritt, denn hier wie nirgendwo anders kann man so tief in die Zeiten eintauchen, die Entwicklung des Waldes und die Möglichkeiten wirksamen Schutzes studieren. Nach der Anerkennung als Schutzgebiet der Kategorie 1a (strenges Naturreservat) und 1b (Wildnisgebiet) von der IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) anno 2003 wurde das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal als größter Fichten-Tannen-Buchen-Urwald des Alpenbogens 2017 zum UNESCO-Welterbe ernannt, als Österreichs einziges Weltnaturerbe.

Wie der Habichtskauz durch den Urtwald fliegen © Theo Kust©

Die Besucher, also die von unberührter Natur faszinierten Menschen, haben seit dem Frühling dieses Jahres dennoch eine Möglichkeit, den Urwald intensiv zu erleben. Im Zentrum von Lunz am See bietet das Haus der Wildnis mit raffinierter Technik, verbunden mit spielerischer Wissensvermittlung ein solches Abenteuer. Man gleitet (dank einer filmenden Drohne) mit dem Habichtskauz, dem scheuen Wappentier des Hauses, auf dessen Beutesuche über felsige Schluchten durch die Baumwipfel.

Auf Breitwandprojektion wird der Wandel der Jahreszeiten verfolgt und auf einer Glaswand können dem wie magisch erscheinenden Wildnisführer DI Stefan Schörgruber Fragen gestellt werden. Die Werkzeuge sind unter anderem VR-Brillen, die einen 360 Grad Rundblick ermöglichen und mittels 6D sogar Regen, Wind und Sonne spüren lassen. Dazu kommen Hands-on Stationen, um beispielsweise Buchenrinde von der einer Fichte durch den Tastsinn der Handfläche zu unterscheiden. Ein Kino lädt ein zum Filmschauen und an einem morschen Baumstamm dringt man vor bis zum mikroskopischen Pilzgeflecht in dessen Inneren.

DI Stefan Schörgruber beantwortet via Bildschirm Fragen der Besucher

Die Leiterin im Haus der Wildnis, die Wildtierökologin Ramona Schmidt MSc, beginnt ihre Einführung im Erdgeschoss mit der Geschichte dieses Hauses. Es handelt sich um die ehemalige Baustelle eines geplanten Wellnesshotels. Nach dessen Konkurs war der Keller verblieben, der nun als Tor zur Wildnis eingerichtet wurde. Dort unten lässt sich am Modell des Gebietes eine Zeitreise antreten. Gletscher bedeckten einst diese Höhen, die nach deren Rückzug von Pflanzen erobert wurden.

Pioniere waren Birken und Latschen, denen Fichten, Tannen und die Buche folgten. Man erfährt von Bewohnern wie Wisent, Elch und Lux, die allerdings durch Überjagung schon vor Tausenden von Jahren in unseren Breiten ausgerottet wurden. Lediglich zwei Grad Unterschied in der jährlichen Durchschnittstemperatur haben beispielsweise zum Verschwinden des Lunzer Seesaiblings geführt, der sich in einem über vier bis fünf Monate zugefrorenen See wohl gefühlt hat.

Mit der Erwärmung ist er nicht mehr zurecht gekommen. Zuletzt ist das Modell rot bedeckt, als Zeichen für den Einfluss des Menschen, der mit dem Schutz als Wildnisgebiet wieder in seine Schranken gewiesen werden soll. Ramona Schmidt ist sich bewusst, dass ein Projekt wie das Wildnisgebiet einstige Unberührtheit nur andeuten kann. Aber es macht Sinn, eine solche Region unter eine Glasglocke zu stellen, um den Verlust einer unschätzbar wertvollen Vergangenheit zumindest zu verzögern.

Ramona Schmidt, Leiterin im Haus der Wildnis © Theo Kust
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