BERNSTEIN Ein New Yorker, der Wien trotzdem geliebt hat
Musik überwand Nationalität und Religion
Wer je ein Konzert oder eine Opernaufführung mit Leonard Bernstein am Pult erlebt hat, wird diesen gewaltigen Eindruck nie vergessen. Dass man dazu auch in Wien Gelegenheit hatte, war seinerzeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bernstein lehnte es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ab, mit den Philharmonikern zu arbeiten. Die Shoa, die so vielen Juden Dasein und Leben gekostet hatte, ließ den in New York geborenen Leonard Bernstein vor dieser Stadt, in dem der Judenhass besonders gewütet hatte, Abneigung empfinden. Dennoch bestand eine Anziehung, die nicht zuletzt in der einzigartigen musikalischen Tradition Wiens wurzelte. 1966 arbeitete er erstmals in der Staatsoper und schrieb an seine Eltern, dass er Wien unbeschreiblich genieße, so sehr man das als Jude könne. Die Kluft, die zwischen seiner jüdischen Herkunft und dem mit Hakenkreuzschatten verdunkelten musikalischen Biotop Wien bestanden hatte, war einigermaßen überwunden. Die Menschen, die Jahrzehnte zuvor das Nazitum bestialisch exekutiert hatten, waren zum guten Teil noch dieselben.
Aber nun verehrten sie den Meister, der so populäre Bühnenwerke wie die West Side Story oder Candide geschaffen hatte und mit dem Dirigentenstab ein wahrer Hexenmeister war, um aus dem Orchester die unglaublichsten Facetten einer jeden Komposition zum Klingen zu bringen. Er ließ es sich lächelnd gefallen, als ihn der Komödiant Max Böhm zum Gaudium des TV-Publikums imitierte. Er hatte lediglich einzuwenden, dass er auf dem Podium nicht springe. Ein Blick auf eine Aufzeichnung eines seiner Konzerte ließ ihn diese Kritik aber sofort widerrufen. Wenn Bernstein dirigierte, dann mit vollem körperlichen Einsatz. Er spielte Haydn, und Mozart, aber auch einen in Wien beinahe vergessenen Komponisten, nämlich Gustav Mahler. Er stieß die Wiener Philharmoniker geradezu mit der Nase auf dessen Symphonien, die seither zum Pflichtrepertoire dieses Orchesters zählen. Dass Mahler ein zum Christentum konvertierte Jude war, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ebenso wenig wie Bernstein seinem Glauben und seiner Abstammung treu geblieben war.
Das Jüdische Museum Wien ehrt Leonard Bernstein anlässlich seines 100. Geburtstages auf dem Judenplatz mit der Ausstellung „Leonard Bernstein. Ein New Yorker in Wien“ (bis 28. April 2019). Man hat sich damit den in die Welt entkommenen Musiker wieder in die Mischpoche zurückgeholt. Wie in einem Wohnzimmer stehen auf dem Klavier liebvoll arrangierte Fotos, die sich an der Wand mit Zeitungsausschnitten abgemischt fortsetzen und die Schau zu einem familiären Erinnern machen.
Eines dieser Bilder zeigt Bernstein im Trachtenjanker, der derlei, wie er selbst sagte, als „Therapie gegen deutschen Nationalismus“ getragen hat und sein waches Interesse an österreichischer Politik bekundet. Es gibt neben Fernsehausschnitten auch die Covers der Langspielplatten mit den Aufnahmen Bernsteins, die für jeden Klassikfan damals ein Muss waren. Neben musikalischen Connections findet der Besucher persönliche Verbindungen wie einen aus Wien stammenden Schneider. Otto Perl hatte 1938 nach zehnmonatiger KZ-Haft in Dachau und Buchenwald in die USA emigrieren müssen. Gemeinsam mit seiner Frau saß Perl regelmäßig in der ersten Reihe bei Bernsteins Konzerten und beobachtete aufmerksam, ob der regelmäßig von ihm geschneiderte Frack dem temperamentvollen Dirigenten auch genügend Bewegungsfreiheit ließ.
Ob Perl auch in Wien bei Bernsteins Auftritten dabei war, ist nicht dokumentiert. Als köstliche Ergänzung für alle diese Erinnerungen stehen die Vanillekipferl, die ihm die Verehrerin Renate Wunderer nach den Konzerten regelmäßig geschenkt hat. Bernstein hat sich für diese Liebenswürdigkeit mit einem Gedicht bedankt. Zwei Stück dieses süßen Gebäcks erhält jeder Besucher, um beim späteren Studium des zur Ausstellung erschienen Katalogs genüsslich an das Gesehene erinnert zu werden.