Kultur und Wein

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Chanukka-Leuchter mit Fußballmotiv. Israel Giftware Designs, Jerusalem, 2006  © JMMün

Chanukka-Leuchter mit Fußballmotiv. Israel Giftware Designs, Jerusalem, 2006 © Jüdisches Museum München

SUPERJUDEN auf und am Rand des Fußballplatzes

Fan-Schals von „Partisan*Rothschild“, „Yid Army“, „F-Side“. 21. Jh. © JMW / Tobias de St. Julien

Fan-Schals von „Partisan*Rothschild“, „Yid Army“, „F-Side“. 21. Jh. © JMW / Tobias de St. Julien

Jüdische Elemente in der Geschichte österreichischer und internationaler Clubs

Für manche ist es abstoßendes Gebrüll, das von den Rängen eines Fußballstadions dröhnt, insbesondere aus der Fankurve. Für die Anhänger einer Mannschaft ist es hingegen Musik, eine von Einigkeit komponierte Symphonie, die aus tausenden Kehlen ihren Helden gesungen wird, um diese zum Sieg über die Gegner auf dem Feld zwischen den beiden Toren anzufeuern. Dass sich just in diesem Wirbel ungezügelter Emotionen jüdische Identität bewahrt haben soll, ist schwer zu glauben, und doch ist es wahr. Im Jüdischen Museum Wien, namentlich Agnes Meisinger und Barbara Staudinger, hat man genau hingehorcht und ist diesbezüglich zu den Wurzeln einiger prominenter Clubs vorgedrungen. Die berühmte Hakoah, die in den 1920er- und 1030er-Jahren das österreichische Fußballgeschehen entscheidend mitbestimmte, wird in dieser Ausstellung lediglich als Einstieg erwähnt. Es geht viel mehr um fünf Vereine, die nach wie vor aktiv um ihren Platz in den jeweiligen Ligen und Cupbewerben kämpfen.

Superjuden, Ausstellungsansicht © David Bohmann

Superjuden, Ausstellungsansicht © David Bohmann

Superjuden, Ausstellungsansicht © David Bohmann

Superjuden, Ausstellungsansicht © David Bohmann

Der älteste österreichische Klub ist der First Vienna FC 1894. Seine Farben Blau-Gelb weisen auf die Verbindung mit einem jüdischen „Sponsor“ hin. Nathaniel Mayer Freiherr von Rothschild unterstützte die Gründung und damit wohl auch die Anlage des einst weltweit größten Stadions auf der Hohen Warte. Nach Erfolgen in der Zwischenkriegszeit wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg eher still um den Verein, lediglich das unverbrüchlich zuversichtliche Fankollektiv „Partisan Rothschild“ erinnert an dessen jüdisches Erbe. Ähnlich verlief es bei der Austria, den Veilchen. Sie galt als der Fußballclub des assimilierten jüdischen Bürgertums und handelte sich damit die fragwürdige Bezeichnung „Judenclub“ ein. Einen wesentlichen Anteil an den Erfolgen hatte vor und nach der Nazizeit Präsident Emanuel Schwarz. Dessen Andenken wird jedoch keineswegs so hoch geehrt wie das von Kurt Landauer beim FC Bayern München.

Auch er hatte seine Funktion 1933 niederlegen müssen und sie 1947, aus KZ und Exil zurückgekehrt, wieder aufgenommen. Ein nach ihm benannter Weg und ein Platz vor dem Stadion erinnern an ihn. Zudem gibt es in Israel eine beachtliche Fangemeinde und Landauer gewidmete Choreographien der Ultra-Gruppe „Schickeria München“. Auch der niederländische Spitzenclub Ajax Amsterdam wird als jüdisch wahrgenommen, genauso wie auf der Insel der Tottenham Hotspur FC. Dessen Gegner diffamierten seine Fans als „Yids“ oder „Yiddos“, um sich darob nach dem Match mit der „Yid Army“ in rüden Auseinandersetzungen konfrontiert zu sehen. Zu sehen ist die Ausstellung „Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion“ bis 14. Jänner 2024 in der Dorotheergasse. Zum Mitnehmen gibt es den dazu erschienenen Katalog voller jüdischer Fußballgeschichte und Abbildungen von Fanartikeln wie einem violetten Schal mit der Aufschrift „Tempelfront Seitenstetten Boyz“, einer Kippa mit dem Logo des FC Bayern München oder sogar einen Chanukka-Leuchter mit Fußbällen statt den Kerzen.

Nachbildung des Mitropacup-Pokals von 1933 © JMW / Tobias de St. Julien

Nachbildung des Mitropacup-Pokals von 1933, als Vorlage für einen auszutragenden „Ostmärkischen Befreiungspokal“. 1938, nachträglich graviert © JMW / Tobias de St. Julien

Neujahrskarte für 1965 © Helly Oestreicher

Neujahrskarte für 1965 © Helly Oestreicher

MARIA AUSTRIA Im Fokus steht eine Fotografin im Exil

Mickery Theater, Amsterdam, 1972 © Helly Oestreicher

Mickery Theater, Amsterdam, 1972 © Helly Oestreicher

Fotografien als radikal schwarz-weiße Dokumente des 20. Jahrhunderts

Zwischen Häuser hindurch fällt der Blick auf eine Straßenkreuzung. Darauf marschiert ein Zug Wehrmachtsoldaten. Zwei Personen an einer Straßenlaterne sehen zu. Abgespielt hat sich diese Szene in der Vondelstraat in Amsterdam. Aufgenommen wurde sie aus einem Versteck. Obwohl die Entfernung zu den Landsern gute 100 Meter beträgt, war es dennoch ein mutiges Unterfangen der jungen Maria Oestreicher, dabei beobachtet und entdeckt zu werden. Sie war aus Wien vor den Nazis geflohen und hatte bei ihrer Schwester Lisbeth in den Niederlanden Sicherheit gesucht; musste aber feststellen, dass ihre Verfolger auch im vermeintlichen Asyl auftauchten. Als Jüdin hatte sie nun die Wahl, dem Reichsbefehl zu folgen und sich im Durchgangslager Westerbork zu melden oder unterzutauchen. Sie zog Möglichkeit zwei vor. Gemeinsam mit Freunden wurde sie unter ihrem neuen Namen Maria Austria im Widerstand aktiv. Der versöhnliche Zug des Schicksals: Im Versteck verliebte sich Maria in Henk Jonker. Nach dem Krieg wurde geheiratet, sie war ihre Staatenlosigkeit los und konnte gemeinsam mit ihrem Mann ein Geschäft führen: die Fotoagentur mit dem bezeichnenden Namen „Particam“, zusammengesetzt aus Partisanen und Camera.

Tänzerin Yvonne Georgi wirft Fotos in die Luft. 1950 © Maria Austria / Maria Austria Institute

Tänzerin Yvonne Georgi wirft Fotos in die Luft. 1950 © Maria Austria / Maria Austria Institute, Amsterdam

Henry Moore Ausstellung. Stedelijk Museum, Amsterdam, 1950 © Maria Austria

Henry Moore Ausstellung. Stedelijk Museum, Amsterdam, 1950 © Maria Austria / Maria Austria Institute, Amsterdam

Maria war im damals zu Österreich gehörigen Karlsbad 1915 in einer künstlerisch affinen jüdischen Familie zur Welt gekommen. Sie beschloss früh, Fotografin zu werden und war schon als Schulmädchen mit einer Kamera unterwegs. 1933 übersiedelte sie nach Wien, kaufte sich eine Leica und eine Rolleiflex und begann ein Studium an der graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. An ihren frühen Porträts merkt man bereits den Willen zur spannenden Lichtsetzung und zu einer eigenen unverwechselbaren Handschrift, die ihre Arbeiten durch alle Stationen ihres Lebens auszeichnen. In der Ausstellung „Fokus! Jetzt! Maria Austria – Fotografin im Exil“ bis 14. Jänner 2024 im Jüdischen Museum Wien wird ihr verblasstes Andenken wieder ansehnlich aufgefrischt. Ein Schwerpunkt ist zweifellos die fotografische Aufarbeitung des Verstecks von Anne Frank 1954. Die Fotoserie „Het Achterhuis“ wurde u. a. für das Bühnenbild einer Broadway-Produktion verwendet.

Maria Austria liebte das Reisen und schuf im Zuge dessen Kontakte zu und Bilder von bedeutenden Kulturschaffenden. Mehr als ein Brotberuf war auch ihre Tätigkeit als Hausfotografin des avantgardistischen Mickery Theaters (NL). Mit einem radikalen Schwarz-Weiß-Stil prägte sie Szenenaufnahmen und für private Zwecke von ihr gestaltete Neujahrskarten. Völlig unerwartet verstarb am 10. Jänner 1975 diese Fotokünstlerin, die mit ihrer Kamera bildgewaltige Erzählungen geschaffen hat.

Ellen Edinoff in Cantos. Mickery Theater, Amsterdam, 1972 © Helly Oestreicher

Ellen Edinoff in Cantos. Mickery Theater, Amsterdam, 1972 © Helly Oestreicher

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