Kultur und Weindas beschauliche MagazinCranach der Wilde, Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband DER WILDE CRANACH Sturm und Drang-Malerei der Wiener Jahre
In Lebensbeschreibungen von Lucas Cranach d. Ä. (1472 bis 1553) wird man meist vergeblich nach Hinweisen auf seinen Aufenthalt in Wien suchen. Es ist auch in keiner zeitgenössischen Quelle vermerkt, dass Cranach um 1500 einige Jahre in Wien gewirkt hat, bevor er Hofmaler der sächsischen Kurfürsten und zum berühmtesten Porträtisten von Martin Luther geworden ist. Erst die Namen der Dargestellten, also seiner hiesigen Auftraggeber, und einige spätere Äußerungen aus seinem Umfeld haben diesen Schluss zugelassen und haben erst um 1900 zu dieser Entdeckung geführt. Kurator Guido Messling ist den Spuren mit teils detektivischer Akribie nachgegangen und konnte gemeinsam mit der Sammlung Reinhart „Am Römerholz“ in Winterthur Werke aus diesen Anfängen nach Wien ins Kunsthistorische Museum bringen. Erstmals sind nahezu alle der zehn bekannten Gemälde und Grafiken dieser Zeit, so die „Cuspinian-Bildnisse“ (Winterthur) und „Der Büßende heilige Hieronymus“ (KHM), vereint in der Stadt ihrer Entstehung zu bewundern.
Dass der junge Cranach nach Wien gekommen ist, ist nicht zuletzt seinem Lehrer Albrecht Dürer zu verdanken, mit dem er in Nürnberg in Kontakt gekommen ist. Dürer stand mit Konrad Celtis, dem „Erzhumanisten“ von Maximilian I., in Verbindung. Aus diesem Umfeld dürfte auch der Auftrag stammen, Dr. Johannes Cuspinian und dessen Gattin Anna Cuspinian-Putsch in einem Diptychon zu malen. Allein bei diesen beiden Porträts hat sich der Künstler einen neuen und für damals ungewöhnlichen Zugang gewählt. Die beiden Eheleute befinden sich im Freien, in einer wildromantischen Landschaft, und sind von einer Reihe von Symbolen umgeben, die sich für den Kenner dieser Materie dem christlich-humanistischen Umfeld zuordnen lassen. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt „Die Kreuzigung Christi“ (Schottenkreuzigung), das als das älteste bekannte Werk Cranachs gilt. Ein grausam gequälter, mit Wunden übersäter Christus vor einem aufziehenden Gewitter erweckt im Betrachter Emotionen, die seltsamerweise von den nach fränkischer Tafelmalerei dargestellten Trauernden nicht reflektiert werden. Ein deutliches Manifest sind jedoch die Gewänder der Feinde Jesu, die an osmanische, polnische und ungarische Trachten gemahnen.
Extremer als die Malereien zeigen der Holzschnitt „Kalvarienberg“ und die Kohlezeichnungen vom guten und dem bösen Schächer am Kreuz einen frühen und in dieser Stärke unerwarteten Expressionismus. Die Körper sind so extrem verbogen, dass allein das Hinschauen schmerzt. Cranach hat sich auch wenig um Längenverhältnisse der Körperteile gekümmert. Er hat sich offensichtlich die Freiheit genommen, seine Gedanken und Empfindungen zu den jeweiligen Themen ohne Rücksicht auf damals herrschende Konventionen des höfischen Stils auszudrücken. So lassen die Bestien, die den „Büßenden Hieronymus“ mit unheimlichen Blicken mustern, sogar einen Schluss auf einen aufgeschlossenen Kunden des jungen Malers zu. In Wien lebte in diesen Tagen der Diplomat und Humanist Johannes Fuchsmagen, der den dargestellten Kirchenvater zu seinem Schutzheiligen erwählt und für dessen Darstellung einen unangepassten Künstler engagiert hatte. Für seine folgenden Herren hat Lucas Cranach d. Ä. jedoch diese faszinierenden Attitüden abgelegt – und wurde damit zu einem der bedeutendsten deutschen Maler der Renaissance. Statistik |