Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Der Geiger (1895) Aquarell und Tusche

RUDOLF JETTMAR Die rätselhaften Körper eines Symbolisten

Morgendämmerung aus dem Zyklus Stunden der Nacht

Kupferstiche mit Stimmungen und Emotionen jenseits des rational Fassbaren

Allein das Bild „Der Dichter“ wirft bereits eine ganze Reihe von Fragen auf. Inventarisiert war die Radierung unter „Sonnenuntergang mit zwei Frauen“. Die Werkverzeichnisse von Rudolf Jettmar führen sie jedoch unter erstgenanntem Titel mit der Beifügung „Das Blatt mit dem Vollmond“. Das sanfte Licht der gleißenden Scheibe wird vom Körper einer nackten, schwebenden Frau reflektiert, die sich leicht zu einer vor ihr im Schatten sitzenden Figur beugt. Ein genauer Blick lässt einen kauernden Mann erkennen, der möglicherweise ein (unsichtbares) Blatt Papier auf seinem Schoß liegen hat. Die unterschiedlichen Bezeichnungen weisen bereits auf eine große Bandbreite von Interpretationsmöglichkeiten hin. Faszinierend sind die Abstufungen der Tonwerte, die eine gewaltige Stimmung erzeugen, mit der diese Szenerie den Betrachter fesselt. Was die beiden dargestellten Menschen verbindet, wird jedoch ewig ein Geheimnis bleiben. Es steht jedermann offen, sich seine eigene Geschichte dazu auszudenken. Anders verhält es sich mit Themen aus Bibel und Mythologie.

Sonnenaufgang aus dem Zyklus Stunden der Nacht

Wenn Herkules den Zerberus aus dem Hades holt, ist ein bestimmtes Geschehen der antiken Sagenwelt angesprochen. In vier Blättern mit jeweils fortgeschrittener Ausführung ist die Arbeitsweise von Rudolf Jettmar reizvoll nachzuvollziehen. Sind es am Anfang noch grobe Linien, die den Muskel bepackten Körper des Heros im Kampf mit dem dreiköpfigen infernalischen Ungeheuer sichtbar machen, sind es am Schluss dichte Striche, die eine nuancierte Abstufung der Grauwerte ergeben.

Ödipus und die Sphinx (Detail)

Dem Maler und Grafiker Rudolf Jettmar (1869-1939) ist die zehnte und letzte Ausstellung des Kupferstichkabinetts im Theatermuseum gewidmet (bis 24. Jänner 2021). Der Untertitel beschreibt ihn als einen Symbolisten an der Wiener Akademie. Jettmar ist dieser Institution zeitlebens treu geblieben. Von 1886 bis 1894 erhielt er hier seine künstlerische Ausbildung und war ebendort ab 1910 für 26 Jahre als Professor tätig. Nach seiner Emeritierung 1936 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt.

„Er ist nicht so sehr ein Maler und Kolorist, als er ein Schöpfer tiefempfundener, geistvoller Kompositionen ist“, streut ihm 1937 anlässlich einer Ausstellung in der Akademie ein nur mit den Initialen W. D. ausgewiesener Laudator (vermutlich Wilhelm Dessauer) Rosen. Damit wurde der Nagel auf den Kopf getroffen. Technisch ist jede Haltung, jede Geste perfekt bewältigt. Die Atmosphäre seiner Radierungen ist düster, belebt von allegorisch-sinnhaften Körpern in oft kargen, nächtlichen Räumen, die sich gerade dadurch als Archetypen auszeichnen und über jede der Mode unterworfene Strömung erhaben sind.

 

Kurator René Schober hatte das Vergnügen, aus einem umfangreichen Bestand an Radierungen, Zeichnungen und Gemälden, der sich in der Akademie befindet, eine feine Auswahl zu treffen. Die gezeigten Arbeiten schaffen nicht nur eine emotionale Begegnung mit Rudolf Jettmar.

Sie ermöglichen auch das Verständnis einer Kunstrichtung, die um 1950 von den Vertretern des Wiener Phantastischen Realismus neu interpretiert wurde. Der Symbolismus bedient sich an Sinnbildern, die bereits von Artefakten aus der Steinzeit und den Attributen der mittelalterlichen Heiligendarstellungen bekannt sind. Ab den 1880er-Jahren wurde das Symbol wieder Gegenstand der Kunst allgemein. So verwundert es nicht, dass ein Zyklus auf dem von George Gordon Byron, einem englischen Dichter der Romantik, 1821 verfassten Mysterienspiel „Kain“ basiert. Dem Mörder Abels versperren Felstrümmer den Weg zum Paradies, bis ihn der gefallene Engel Luzifer empor in den „unendlichen Raum“ trägt, um ihn dort seinem Schicksal zu überlassen. Man hat den zwingenden Eindruck, dass jedes Detail zu einem sprechen will, sich vor dem Erfassen aber zurückzieht und neue Wege der Verständnisses eröffnet, zu der allerdings eigene Vorstellungskraft als Schlüssel unerlässlich ist.

"Abendläuten", aus dem Zyklus "Stunden der Nacht" © Kupferstichkabinett der Akadem. der bild. Künste
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