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AUSSTELLUNGSANSICHTEN "GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

Ausstellungsansicht "GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

GLANZ UND ELEND Deutsche Kunst zwischen den Kriegen

Ausstellungsansicht "GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

"GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

Bilder im Namen einer „Neuen Sachlichkeit“ als Spiegel eines heterogenen Lebensgefühls

Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe! Das wusste in den 1920er-Jahren natürlich niemand, aber sensible Gemüter mit offenem Geist konnten sich einer schrecklichen Ahnung nicht verschließen. 1918 war der große Krieg beendet worden, mit tausenden Toten auf allen Seiten. Doch die Sieger waren der verhängnisvollen Meinung, Verlierer wie Deutschland in den sogenannten Friedensverträgen zutiefst erniedrigen zu müssen. Die Saat für den Zweiten Weltkrieg wurde gelegt. Das damit einhergehende wirtschaftliche Desaster schwappte gesellschaftliche Richtungen nach oben, die blind einem Führer und dessen Ideen für unvorstellbare Grausamkeiten folgten. Künstler dieser Jahre standen den sich mehr und mehr abzeichnenden Tendenzen lediglich mit Kreativität gerüstet gegenüber, wenngleich sie ihre dunklen Ahnungen in einer deutlichen Bildsprache umsetzten, in der „Neuen Sachlichkeit“, die Stilrichtungen wie Expressionismus, Dadaismus oder den aufkommenden Surrealismus als artifizielle Spielereien erscheinen ließ.

Gleich zu Beginn der Ausstellung „GLANZ UND ELEND. Neue Sachlichkeit in Deutschland“ (bis 29. September 2024) hängen Werke des 1891 in Karlsruhe geborenen Karl Hubbuch. Sie scheinen aus den späten 1930er-Jahren zu stammen. So zeigt „Die Mörderzentrale“ deutlich Nazi-Uniformen und die von deren Trägern ausgeübten Gräuel. Die Zeit der Entstehung ist jedoch mit 1922 angegeben, dem Jahr des niedergeschlagenen Putsches der NSDAP. Nicht überraschend: Hubbuchs prophetische Arbeiten wurden später zu „entarteter Kunst“ erklärt. Ignoriert wurde auch eine unermüdliche Mahnerin. Käthe Kollwitz versuchte mit dem Plakat „Die Überlebenden“ oder mit einer erschütternden Pieta (Skulptur) ein „Nie mehr wieder!“ zu erwirken, scheiterte aber ebenso wie Heinrich Hoerle, der mit einer Prothese und „Drei Invaliden“ die verheerenden Auswirkungen eines Krieges aufzeigte.

CHRISTIAN SCHAD, Selbstbildnis mit Modell, 1927 © Tate: Leihgabe einer Privatsammlung 1994,

CHRISTIAN SCHAD, Selbstbildnis mit Modell, 1927 © Tate: Leihgabe einer Privatsammlung 1994, Foto: Benjamin Hasenclever, München © Christian-Schad-Stiftung Aschaffenburg/Bildrecht, Wien 2024

Anhand von circa 150 Exponaten aus internationalen Museen und Privatsammlungen wird dieses eindrucksvolle künstlerische Phänomen zu einem teils bedrückenden Schauerlebnis. 13 Themenbereiche führen zu auf den ersten Blick unterschiedlichen Positionen. So folgt auf „das Gesicht des Krieges“ „der Tanz auf dem Vulkan“. Die vordergründige Ekstase der „Goldenen Zwanziger“ ist von einer düsteren Grundstimmung unterlegt, egal ob es sich um „Takka-Takka tanzt“ (Ernst Neuschul), „Miss Mary“ (Hanns Ludwig Katz) oder der bizarren „Zusammenkunft von Fetischisten und manischen Flagellanten“ von Rudolf Schlichter handelt. Dem gegenüber stehen die „Schattenseiten des Lebens“ mit ausgemergelten Gesichtern, genauso aber auch die selbstbewussten Bubiköpfe „der emanzipierten Frau“ und „Menschenbilder“ als eine Sammlung von Porträts damaliger Protagonisten.

KÄTHE KOLLWITZ, Die Überlebenden. Plakat Gegen den Krieg im Auftrag des Internationalen Gewerkschaft

o.: KÄTHE KOLLWITZ, Die Überlebenden. 1923 © Privatbesitz Wien, Foto: Leopold Museum, Wien

r.:EBERHARD VIEGENER, Stillleben mit Kakteen, um 1927 © Privatsammlung, Foto: Benjamin Hasenclever, München © Bildrecht, Wien 2024

EBERHARD VIEGENER, Stillleben mit Kakteen, um 1927 © Privatsammlung, Foto: Benjamin Hasenclever

Zwischen den Gegensätzen einer „heroisierenden Idylle“ als fluchtartiger Rückzug in die „Wahrheit und Schönheit“ von „Kakteenzüchtern“ wie Josef Mangold oder Eberhard Viegener und dem Motto „Mensch – Industrie – Technik“ mit den Fabriksschloten eines Frank Lenk hindurch führt der Weg in eine „Parodie zwischen Idylle und Apokalypse“. Dort haben gespenstische Clowns und Narren das Sagen. Deren Unvernunft brachte schließlich „den Anfang vom Ende“. Niemand hörte auf den „Rufer“ von Karl Hofer und der Künstler Felix Nussbaum, der 1940 im Exil eine Vorzeichnung für das Gemälde „Lagersynagoge“ fertigte, konnte trotz einer Odyssee durch Europa seinen Schergen nicht entkommen. 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau wurde er „ein Opfer von vielen“. Bleibt nur zu hoffen, dass unsere Zeit ein ergreifendes Gemälde wie „Der Stahlhelm im Niemandsland“ von Franz Radziwill entsprechend deutet und hinter aktuellen Kriegsberichten mehr als eine lästige Information zu erkennen bereit ist.

Ausstellungsansicht "GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

Ausstellungsansicht "GLANZ UND ELEND" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl

Begleitend zu Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, herausgegeben von Hans-Peter Wipplinger, mit Beiträgen von Daniela Gregori, Rainer Metzger, Aline Marion Steinwender, Hans-Peter Wipplinger und Thomas Zaunschirm sowie einem Überblick zur Kultur, Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik 1918–1933.

Unknown Familiars, Ausstellungsansicht

Unknown Familiars, Ausstellungsansicht

UNKNOWN FAMILIARS Begegnungen aus sechs Kollektionen

Ana Bešlić, Zweifarbige Skulptur 38

Ana Bešlić, Zweifarbige Skulptur 38

Mehr als 200 Werke aus den Sammlungen der Vienna Insurance Group

200 Jahre gibt es den Wiener Städtischen Versicherungsverein bereits, eine für solche Institutionen sensationell lange Zeit. 1824 sprach man noch von einer Assekuranz, in der mittels einer kollektiven Risikoübernahme Gefahren „zur See, auf Flüssen und bei Versendung zu Lande, auf Hafen-, Revier- und Feuer-Gefahr“ (Quelle: Satzung einer 1779 gegründeten Hamburger Kompagnie) begegnet wurde. Waren die Versicherten seinerzeit große Unternehmen, hat sich der Kundenkreis längst auf die breite Bevölkerung erweitert. Jeder von uns ist mehrfach versichert und hat bestimmt auch schon davon profitiert, als er unter Umständen mehr herausbekommen, als er laut seiner Polizze eingezahlt hat. Dass die Versicherungen trotzdem über genügend Geld verfügen, ist eines der großen Geheimnisse, das jedoch jeder Finanzexperte mit links erklären könnte.

Antonín Procházka, Dame mit Strohhut, 1922 © Kooperativa pojišťovna

Antonín Procházka, Dame mit Strohhut, 1922 © Kooperativa pojišťovna, a.s – Vienna Insurance Group, Prague, Foto: Kooperativa pojišťovna, a.s – Vienna Insurance Group, Prague

Kris Lemsalu, Phantom Camp VIII, 2014 © BTA Baltic Insurance Company AAS

Kris Lemsalu, Phantom Camp VIII, 2014 © BTA Baltic Insurance Company AAS – Vienna Insurance Group, Riga, Foto: Jorit Aust

Was aber tun mit dem Vermögen? Eine der segensreichsten Anlagen ist die Kunst. Die mittlerweile „Vienna Insurance Group“ genannte Anstalt hat sich in einer Reihe europäischer Länder etabliert und dort das Kulturleben eifrig gefördert. Beachtliche Sammlungen sind entstanden, mit Arbeiten aus unterschiedlichen Epochen und immer wieder, aber nicht nur, auf die nationale Herkunft bezogen. Unter dem Titel „Unknown Familiars“ (bis 6. Oktober 2024) wurden nun 200 Werke aus Österreich, Tschechien, Serbien und Lettland in einer umfangreichen Ausstellung vereinigt. Bis zu einem gewissen Grad gehören die Artefakte, so unterschiedlich sie auch sein mögen, tatsächlich einer großen Familie an. Es liegt im Auge der Besucher, das Verbindende zu finden, das Überraschende zu genießen und über die mediale Vielfalt zu staunen. Die Architektur der Schau betont mit Inseln, in denen Gemälde, Fotographien und Skulpturen losgelöst von den Wänden präsentiert werden, das Vorübergehende, nicht zuletzt, da es sich um eine Gastveranstaltung im Leopold Museum handelt.

František Kupka, Norwegische Vision, vor 1900 © Kooperativa pojišťovna

František Kupka, Norwegische Vision, vor 1900 © Kooperativa pojišťovna, a.s – Vienna Insurance Group, Prague, Foto: Kooperativa pojišťovna

Ein Tipp: Der umfangreiche Katalog zeigt in seltener Vollständigkeit die einzelnen Objekte und bietet dazu ausführliche Kommentare des Kuratorenpaars Philippe Batka und Vanessa Joan Müller. Deren Texte ersparen es dem Betrachter, die winzigen, in Bodennähe angebrachten Informationstafeln mühsam entziffern zu müssen. Mit dem Buch in der Hand hat man also genügend Freiheit, sich dem „Jüngling im Wasser“ von Jan Preisler, der „Map“ von Luiza Margan, „Anschluss – Alice im Wunderland“ (Oskar Kokoschka) oder den bedeutungsvollen Händen, wie sie Neša Paripović in „Verhältnis Hand Kopf 3“ fotografiert hat, und vielen mehr beschaulich zu widmen.

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