Kultur und Weindas beschauliche MagazinAusstellungsansicht "Tilla Durieux" © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl TILLA DURIEUX Eine Schauspielerin als Jahrhundert-Ikone
Die Biographie von Ottilie Helene Angela Godeffroy erinnert an das Märchen vom hässlichen Entlein, das sich zum prächtigen Schwan entwickelt und später mit dem Künstlernamen Tilla Durieux weltweit bekannt wird. Maler und Fotografen waren in ihr apartes Gesicht vernarrt und machten die Frau zu einem der meist porträtierten Modelle ihrer Zeit. Die gutbürgerlichen Eltern in der nobeln Währinger Cottage waren ob des Aussehens ihrer Tochter traurig. Wer sollte dieses hässliche Mädchen einmal heiraten. Also lernte sie Klavierspielen und Hausarbeit. Mit 16 beschloss Ottilie dennoch, Schauspielerin zu werden. Sie absolvierte bravourös die Ausbildung und arbeitete sich über die klassische Provinz (Olmütz und Breslau) in Kürze zu Max Reinhardt ans Deutsche Theater in Berlin hinauf. Was jeder Star befürchtet, wurde ihr zum Nutzen. Die gefeierte Darstellerin von Oscar Wildes Salome erkrankte, Tilla sprang ein und brillierte. Der große Regisseur versuchte es mit einer salomonischen Lösung zwischen den Damen, konnte dennoch eine gewiss erbitterte Konkurrenz nicht verhindern. Tilla Durieux wurde ab da mit Handkuss von den wichtigsten Häusern engagiert. Ausflüge in den Stummfilm brachten ihr erst nach 1945 den Durchbruch als dem breiten Publikum bekannte Filmschauspielerin.
Der erste Ehemann Eugen Spiro war Maler und Grafiker. Der Meisterschüler von Franz Stuck hielt seine attraktive Gattin zumeist in deren privatem Glück auf der Leinwand fest. Die Verbindung hielt aber nur knapp drei Jahre (1902-1905). Tilla lernte Paul Cassirer kennen. 1910 wurde geheiratet. Die Künstlerschar um den Kunsthändler und Verleger wurde auf die erfolgreiche Schauspielerin an seiner Seite aufmerksam (gemacht). Maler wie Max Liebermann, Lovis Corinth oder der Bildhauer Ernst Barlach erhielten von Cassirer den Auftrag, seine Frau zu malen, wie es heißt, nicht immer zur Freude der Beteiligten, wie Kuratorin Daniela Gregori festhält. Trotzdem versammelte sich um Tilla Durieux ein Kreis von bedeutenden Kulturschaffenden, mit prominenten Musikern, Schriftstellern und Journalisten. Ein Highlight der Ausstellung „Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin ihre Rollen“ (bis 27. Februar 2023) ist ein Werk des bereits kranken Auguste Renoir, eine Leihgabe des Metropolitan Museum in New York. Es erzählt von den Gesprächen zwischen Modell und Künstler, die Tilla zutiefst bewegten.
Der Rundgang im untersten Geschoss des Leopold Museums bietet darüber hinaus Rollenporträts und Theaterfotografien mit Tilla Durieux, Überlegungen zur erfolgreichen Inszenierung in der Presse und den Schattenseiten medialer Aufmerksamkeit, den Star als Paradebeispiel für die „Neue Frau“, deren Vorreiterin Tilla war, und als unvermeidliches Kapitel deren soziales und politisches Engagement aus dem Exil während des Zweiten Weltkriegs, die auch vor Aktivitäten in der Widerstandsbewegung nicht zurückscheuten. Unterwegs war sie dabei mit ihrem dritten Ehemann Ludwig Katzenellenbogen, wie ihre ersten beiden Männer jüdischer Abstammung. Er wurde 1941 von der Gestapo verhaftet und ins KZ verschleppt. Er starb1944 in Berlin. Den Abschluss der Schau machen beeindruckende Bilder von Tilla Durieux, die ohne Scheu ihr Alter nicht verleugnet und dennoch den Stolz der Grand Dame eines Jahrhunderts ausstrahlt. Einblick in die Ausstellung HAGENBUND © Leopold Museum, Wien, Foto: Leni Deinhardstein HAGENBUND Von gemäßigter zu radikaler Moderne
Der nun von etlichen der als Stammgäste anwesenden Künstlern gegründete „Hagenbund“ eliminierte zwar das zweite A aus dem Namen, hatte jedoch nichts mit Siegfrieds Mörder am Hut. Man wollte ausstellen, ohne dem Diktat einer innovationsfeindlichen Institution ausgeliefert zu sein. Vielleicht war die Wiener Secession manchen von ihnen zu avantgardistisch, dennoch waren sie fortschrittlicher als das traditionsbehaftete Künstlerhaus.
Wenn sich das Leopold Museum einer solchen Gemeinschaft annimmt, darf getrost erwartet werden, dass ein guter Teil der gezeigten Werke aus eigenem Bestand stammen. Direktor Hans-Peter Wipplinger schätzt den Beitrag seines Hauses auf ein Viertel bis ein Drittel. Die von ihm, Dominik Papst und Stefan Üner kuratierte Ausstellung „HAGENBUND Von der gemäßigten zur radikalen Moderne“ (bis 6. Februar 2023) versammelt, so Wipplinger, eine spezifische Auswahl jener herausragenden österreichischen Positionen, welche gleichsam die Höhepunkte der Vereinigung markieren. Dazu gehören zweifellos die auf den ersten Blick als solche erkennbaren Tierskulpturen von Franz Barwig, das ergreifende Selbstporträt von Fritz Schwarz-Waldegg oder der Rausch von Farben und Formen im abstrakt anmutenden Gemälde „Der Irrtum“ (1920/21) von Georg Jung.
Dessen Hauptmerkmal ist aber Schritt für Schritt durch die Säle des Museums unübersehbar. Es herrschte eine unglaubliche Offenheit gegenüber Stilen und Gattungen, weder das Religionsbekenntnis noch die politische Ausrichtung waren maßgeblich für eine Mitgliedschaft. Davon kann man sich an eine Reihe von Themen überzeugen. Es beginnt mit der Landschaftsmalerei, geht weiter zum Schwerpunkt Joseph Urban und die Kaiser-Huldigungs-Ausstellung 1908, der Plattform der Avantgarde, den Künstlerinnen im Hagenbund als essentielle Konstante, über arkadische Sehnsuchtsorte, sich auflösende Formen und sozialkritische Ansätze über das titelgebende Anliegen „von der gemäßigten zur radikalen Moderne“ bis zum schicksalhaft anmutenden Finale dieser in ihrer Vielfalt einmaligen künstlerischen Vereinigung. Statistik |