Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Impression Probebühne MRS © Anna Blau

ANATOL als vielseitiger Sucher nach so etwas wie Liebe

Noah Perktold, Christoph Kohlbacher, Lisa-Maria Sommerfeld © Andrea Klem

Mutig respektlose Interpretation eines „Klassikers“ aus dem Fin de siécle

Anatol kann eines am wenigsten: Nein sagen, wenn ihm eine Frau schöne Augen macht. Warum sollte er auch?! Schöne Frauen bringen Abwechslung ins Leben, machen einen zum beneideten Womanizer, der über dem Grau der anderen männlichen Wesen seiner Umgebung wie ein schillernder Falter von einer Blüte zur anderen flattert. Dass dennoch im Inneren eine Leere übrig bleibt, weiß nur er, aber das am besten von allen, die mit Bewunderung zu diesem Mordskerl aufschauen, oder wie das Neutrum Max, Anatols Freund, die Kommentare dazu abgeben. Arthur Schnitzler hat diesem Typen mit einer Reihe von Einaktern, die später unter dem Titel „Anatol“ zusammengefasst wurden, ein Denkmal gesetzt. Die Zeit der Handlungen bewegt sich um 1900. Diejenigen, die es sich leisten können, haben ihre Verhältnisse, egal ob Mann oder Frau, schließlich gehören meistens beide Geschlechter dazu, um einem Partner, einer Partnerin untreu zu werden. Sexuelle Anziehungskraft ist das eine, Liebe das andere. Selten, dass beide zueinander finden, ist die klare Botschaft Schnitzlers.

Emilia Rupperti,  Christoph Kohlbacher © Andrea Klem

Sie hat bis heute Gültigkeit. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Menschheit mit diesem Problem nicht zu leben gelernt, obwohl es so einfach wäre, wenn man Anatol glaubt, der diesen Tanz der emotionalen Unabhängigkeit scheinbar virtuos beherrscht. Dass daraus ein Totentanz werden kann, hat Schnitzler seltsamer Weise nicht bedacht. Bei ihm verlaufen sich die einzelnen Affären durchwegs in enttäuschter Stille, anders als bei der Diplominszenierung von Stefan Schweigert, der es gewagt hat, die Ikone Schnitzler auf seine Weise zu interpretieren.

Paula Kroth © Andrea Klem

Ein mächtiger Kronleuchter liegt behäbig auf der Bühne und wird zu dröhnenden Basstönen langsam hoch gezogen. Er bleibt, abgesehen von verstreuten Memorabilien in Briefform und ausgesoffenen Flaschen, die einzige Ausstattung der Probebühne des Max Reinhardt Seminars im 14. Wiener Gemeindebezirk. Aber er genügt vollkommen, um die richtige Stimmung zu erzeugen, wenn er selbst mit seinen Kerzen flackert oder seine Kristallketten in grellen stroposkopartigen Blitzen aufglänzen.

Unter diesem Versatzstück der eleganten Salons trifft Anatol seine Geliebten. Christoph Kohlbacher lässt sich als ein ewig nach so etwas wie nach Liebe Suchender durch die Handlungen treiben.

Animiert wird er dazu von den Damen, die von ihm hypnotisiert werden (Eva Dorlass als willige Cora), ihn nicht mehr erkennen (Emilia Rupperti als selbstbewusste Binaca), endlich einmal gebumst werden (Paula Kroh als süßes Mädel Fritzi) oder mit ihm Schluss machen wollen (Lisa-Maria Sommerfeld als brutalerotische Annie). Mit Jean (Lukas Haas) beweist Anatol am Hochzeitsmorgen wahre Vielseitigkeit. Aus den diversen Zwickmühlen befreit ihn jedoch verlässlich sein Freund Max, der mit Noah Perktold einen idealen Darsteller gefunden hat.

Christoph Kohlbacher © Andrea Klem
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