Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Roland Goeschl, Getulio Alviani, Bridget Riley) Foto: Klaus Pichler / mumok

MAPPING THE 60s Über den Einzug der Gegenwartskunst

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s.  Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Foto: Klaus Pichler / mumok

Künstlerische Anliegen eines bewegten Jahrzehnts werden auf ihre Dauerhaftigkeit hin befragt.

Am Anfang stand das 20er Haus, p. t. Museum des 20. Jahrhunderts, das 1962 nach einem Ausflug zur Weltausstellung in Brüssel 1958 im Schweizergarten beim Südbahnhof errichtet wurde. Die lichtvolle Architektur von Karl Schwanzer in ihrer sachlich-modernistischen Form war eigens für die Gegenwartskunst geschaffen worden. Um Konfrontationen brauchte man sich nicht zu sorgen. Gründungsdirektor Werner Hofmann zeigte den Wienern, was unter moderner Kunst zu verstehen war und stieß erwartungsgemäß auf Widerstand. Das soll Kunst sein? Die Frage wurde von ihm rigoros mit durchaus gut besuchten Ausstellungen beantwortet, während im Hintergrund Ankäufe im großen Stil getätigt wurden. In den 1970er-Jahren wurde der Bestand immens erweitert, indem die Sammlungen von Peter & Irene Ludwig und Wolfgang Hahn mit Schlüsselwerken der Gegenwartskunst aufgenommen werden konnten.

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Jann Haworth,  Sine Hansen) Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Jann Haworth, Sine Hansen) Foto: Klaus Pichler / mumok

George Segal Woman in a Restaurant Booth, 1961 © The George and Helen Segal Foundation / Bildrecht,

George Segal Woman in a Restaurant Booth, 1961 © The George and Helen Segal Foundation / Bildrecht, Wien 2024

Mit der Ausstellung „Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok“ verbeugt sich das Museum moderner Kunst, kurz mumok, vor seiner Vorgängerinstitution. Ein Teil widmet sich dem „20er Haus“ mit Bauplänen, Plakaten und Katalogen aus dem ersten Jahrzehnt, in dem Gegenwartskunst in Österreich eine derart prominente Plattform erhalten hatte. Gleichzeitig gibt es aber auch leise Kritik an damaligen Gebräuchen. Die gezeigten Einkaufslisten enthalten nahezu ausschließlich Werke von Männern. Warum man auf die Kunst der Frauen vergessen hat, kann zwar nicht mehr ergründet werden, aber es gibt nun zumindest den Versuch, diese Schieflage zu korrigieren. Der letzte Raum ist den wenigen weiblichen Positionen, die sich aus dieser Ära in der Sammlung befinden, gewidmet und holt dazu Künstlerinnen, u. a. Germaine Richier, Bridget Riley oder Teresa Rudowicz, vor den Vorhang.

Peter Brüning NY, NY, NY, NY Nr. 22/67, 1967 © Bildrecht, Wien 2024

Peter Brüning NY, NY, NY, NY Nr. 22/67, 1967, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1981 © Bildrecht, Wien 2024

Das eigentliche Anliegen sind aber die 60er selbst. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der radikalen Umbrüche, die sich in aufmüpfigen Studenten, Befreiungskämpfen in den Kolonien, Emanzipation im Zuge sexueller Befreiung und dem Siegeszug der Popkultur manifestierten. Dort liegen die Wurzeln für heutige Bewegungen wie Black Lives Matter oder #metoo und der Möglichkeit, offene Diskussionen über aktuelle Probleme führen zu können. Das englische Wort mapping ist hier als Kartieren oder Vermessen zu verstehen. Damals waren es Kunstrichtungen wie Pop Art, Fluxus oder Happening, die Kunstfreunden ein extremes Umdenken abforderten.

Letztendlich öffneten sich aber doch die Köpfe. Mittlerweile sind viele der damals umstrittenen Werke Ikonen. Das von Robert Indiana Martin Luther King gewidmete „Love Rising“ oder die beeindruckende Figurengruppe „Football Vignette“ von Duane Hanson sind ebenso bekannt wie die Reihen von Siebdrucken eines Andy Warhol oder die farbenfrohen „Comics“ von Roy Lichtenstein. Im Zusammenhang mit der Ausstellung sind es Schlaglichter auf die damalige Zeit, die ein Nachdenken über gegenwärtige Anliegen anregen sollten. Derer gibt es schließlich mehr als genug, angefangen von einem Krieg in spürbarer Nähe über eine ungebremste Klimakatastrophe bis zum Rechtsruck eines ganzen Kontinents, der in seiner fehlgeleiteten Gesinnung zu tatsächlichen Problemen wie das gewalttätige Aufeinanderprallen verschiedenster Kulturen eine unserer humanistisch geprägten Grundeinstellung diametral zuwiderlaufende Lösung zu erkennen glaubt.

Corita Kent let the sun shine, 1968  mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Corita Kent let the sun shine, 1968 mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben in 2020 © Bildrecht, Wien 2024

Omar Ba Clin d‘oeil à Cheikh Anta Diop – Un continent à la recherche de son histoire, 2017

Omar Ba Clin d‘oeil à Cheikh Anta Diop 2017 © Adagp, Paris, 2024 / Photo: Galerie Templon, New York / Paris / Brussels

AVANT-GARDE AND LIBERATION Aufstand einer „dekolonialen“ Moderne

Ausstellungsansicht: Avant-Garde and Liberation © Photo: Georg Petermichl / mumok

Avant-Garde and Liberation © Photo: Georg Petermichl / mumok

Neueröffnung mit „globaler“ Gegenwartskunst aus Afrika, Asien und „Black Atlantik“

In den Werken steckt durchwegs ein gewaltiges Protestpotential. Der Widerstand richtet sich, wie kaum anders zu erwarten, konkret gegen die einstigen Herren in ihren Kolonien, aber auch gegen eine dominante westliche Moderne und nicht zuletzt gegen einen scheinbar unausrottbaren Rassismus. Christian Kravagna ist Professor für Postcolonial Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien. Unter dem Titel „Avant-Garde and Liberation“ (bis 22. September 2024) rückt er in 24 Positionen deren Schöpfer in der ersten Ausstellung nach einer kurzen Schließzeit des MUMOK in unser Bewusstsein. Es ist eine Untersuchung der Bedeutung einer globalen Moderne für die zeitgenössische Kunst. So gesagt, klingt das Vorhaben nicht gerade prickelnd. Man muss sich den Werken jedoch aussetzen, um die darin ausgedrückten Anliegen zu erspüren.

Fahamu Pecou, A.W.N. (Artist with Negritude), 2012 © Backslash, Paris

Fahamu Pecou, A.W.N. (Artist with Negritude), 2012 © Backslash, Paris

Serge Attukwei Clottey James Baldwin, 2020–2021 © Bildrecht, Wien 2024

Serge Attukwei Clottey James Baldwin © Bildrecht, Wien 2024

Zuerst geht es um die Definition der Avantgarde. Es ist ein in Europa entstandener Ausdruck für neue Kunst. Diese Wandlungen haben jedoch auch außerhalb der westlichen Welt oder, wie in den USA, in Gesellschaftsgruppen stattgefunden, denen die Wahrnehmung des Marktes versagt geblieben ist. Der nächste Ausdruck mit Erklärungsbedarf ist die „Dekolonisation“, einhergehend mit der Befreiung aus der historischen Sicht der einstigen Herren mit einer klaren Hinwendung zum kulturellen Erbe der Vorfahren.

Vivan Sundaram, One and the Many, 2024 Photo: Georg Petermichl / mumok

Vivan Sundaram, One and the Many, Photo: Georg Petermichl / mumok

Ausstellungsansicht: Avant-Garde and Liberation © Photo: Georg Petermichl / mumok

Ausstellungsansicht: Avant-Garde and Liberation © Photo: Georg Petermichl / mumok

Eines der Schlüsselwerke stammt von Fahamu Pecou, seines Zeichens A.W.N. (Artist with Negritude). In „La Revue du Monde noir“ (2012) wendet sich ein Farbiger im eleganten Business Outfit von einer afrikanischen Maske in seiner Linken ab. 1975 in New York mit Wurzeln in Panama geboren, musste er als Kind mit ansehen, wie sein Vater in einem Anfall von Schizophrenie die Mutter ermordete. Aufgrund dieses traumatischen Erlebnisses begann er Comics mit dem Superhelden „Black Man“ zu zeichnen. Er wurde anerkannter Künstler, der in seinen Malereien schwarze Männlichkeit und deren Identität zum Thema machte. Auf den Punkt bringt auch Moffat Takadiwa das Anliegen der Schau. Er ist ein Bildhauer aus Zimbabwe, der mit „The Occupation of Land“ (2019) gegen jede Form des Landraubes protestiert. Aus Indien kommt die beeindruckende Schar von Terrakotta Figuren, mit denen Vivan Sundaram „One and the Many“ in einer Installation aufgebaut hat. Ein Besuch dieser kritischen Ausstellung braucht auch Zeit für Beschaulichkeit. An etlichen Stationen werden Videos gezeigt, wie der 17 Minuten lange Film von Patricia Kaersenhout, einer holländischen Künstlerin. In ihr stecken das Erbe von Surinam und der Wille zum Aufbegehren gegen in ihren Augen unerträgliche Zustände. „Le retour des femmes colibris“ ist eine Botschaft an schwarze Frauen, „dass sie ihre Geschichte kennen und dass ihre Vergangenheit nicht nur Unterdrückung und Leiden ist, sondern dass sie auch voller Widerstand war.

patricia kaersenhout, Le retour des femmes colibris, 2022  Film, 17 minutes  © the artist

patricia kaersenhout, Le retour des femmes colibris, 2022 Film, 17 minutes © the artist

Mit dieser Ausstellung hat sich das MUMOK auf internationales Terroir begeben, jedoch abseits des Mainstreams. Die Botschaften, ob sie uns nun betreffen, da wir mit einer neuen Gesellschaft zwangsläufig auch deren Vertretern im Alltag begegnen, oder gleichgültig lassen, da unsere Ahnen schließlich keine Kolonien auszuplündern pflegten, stoßen jedenfalls Gedanken an, teils in direktem Zuruf des Vorwurfs, aber zum guten Teil auch in subtiler Ästhetik einer unbekannten Avantgarde, die es wert ist, aus ihrer vordergründigen Fremdheit zu einer Bekannten der jüngsten Kunstgeschichte gewandelt zu werden.

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