Kultur und Wein

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 Strahlenschäden und Strahlennutzen / Rundgang, Narrenturm  © NHM Wien, Alice Schumacher

Strahlenschäden und Strahlennutzen / Rundgang, Narrenturm © NHM Wien, Alice Schumacher

STRAHLENSCHÄDEN aus „lebensrettender Todesgefahr“

 Versuch und Irrtum – und Erfolg / Raum 5, Narrenturm  © NHM Wien, Alice Schumacher

Versuch und Irrtum – und Erfolg © NHM Wien, Alice Schumacher

Von der verstrahlten Nobelpreisträgerin zur amputierten Hand des Röntgenologen

In einer von Gammastrahlen kontaminierten Welt, beispielsweise nach einem neuerlichen Supergau eines Atomkraftwerks oder dem mit teuflischer Absicht getätigten Einsatz „schmutziger“ Bomben im aktuellen Krieg, gäbe es in Europa kaum eine Überlebenschance für Millionen von Betroffenen. Zu tief haben sich Bilder von schwer geschädigten Körpern aus Hiroshima und Nagasaki in das Gedächtnis eingebrannt. Sehr nahe sind noch die Erinnerungen an Tschernobyl, als Tonnen von Gemüse eingeackert werden mussten und bis heute für Schwammerlsucher der Genuss von bestimmten Pilzen als bedenklich eingestuft ist. Die vielfältigen Erscheinungsformen von Strahlen sind jedoch nicht nur fruchtbar und tödlich, sie können auch heilen oder wie im Röntgenapparat im medizinischen Einsatz wertvolle Dienste leisten. Diesen extrem divergierenden Aspekten widmet sich die Sonderausstellung „Strahlenschäden“ im Narrenturm (bis 20. April 2024) mit eindrucksvollen Bildern, schwer geschädigten Körperteilen und entsprechenden Informationen.

 Die Hand des eigenen Körpers / Raum 4, Narrenturm  © NHM Wien, Alice Schumacher

Die Hand des eigenen Körpers © NHM Wien, Alice Schumacher

 Röntgenschädigung, Klinik Riehl 1911 / Raum 4, Narrenturm  © NHM Wien, Alice Schumacher

Röntgenschädigung, Klinik Riehl 1911 © NHM Wien, A. Schumacher

Wie bei jedem anderen Gift kommt es auch bei der Strahlung auf die Dosis an, ob sie tödliche Wirkung entfaltet oder als heilsame Therapie wirkt. Bis dazu aber die entsprechenden Erkenntnisse gewonnen waren, wurden die Pioniere dieser Forschung selbst zu deren Opfer. Das Forscherehepaar Marie und Pierre Curie hatte 1898 den Begriff Radioaktivität geprägt. Ausgehend von Erkenntnissen zu Uran hatte die Physikerin Marie weitere strahlende Elemente wie das nach ihrer Heimat Polen benannte Polonium und Radium, das Strahlende, entdeckt.

Was diese unsichtbaren und bei ihrem Auftreffen auf den Körper unbemerkten Beeinträchtigungen in ihren eigenen Zellen an irreversiblen Schäden anrichteten, nahm sie jedoch zu spät wahr. Die zweifache Nobelpreisträgerin verstarb 1934 an den Langzeitfolgen ihrer Arbeit. Wenn das nächste Mal die Assistentin des Zahnarztes in den Röntgenraum bittet, um ein Panorama des Gebisses anzufertigen, könnte man daran denken, dass die Röntgenologie vom Arzt Guido Holzknecht (*1872, +1931) in Wien eingeführt wurde. Neben der Durchleuchtung des Körpers setzte er auch auf therapeutische Zwecke in der Behandlung von Krebs. Dabei büßte er allerdings seine eigene Hand ein. Er hatte sie unvorsichtigerweise immer wieder durchleuchtet, um den Röntgenapparat auf scharfe Bilder einzustellen. Sie musste amputiert werden und wurde von ihm ausdrücklich als Anschauungsmaterial der Forschung zur Verfügung gestellt. So lautet auch der Untertitel in der Ausstellung in Raum 5 „Versuch und Irrtum“, der die Problematik des Einsatzes von Strahlen dieser Art in deutlicher Weise auf den Punkt bringt.

 Versuch und Irrtum – und Erfolg / Raum 5, Narrenturm  © NHM Wien, Alice Schumacher

Versuch und Irrtum – und Erfolg / Raum 5, Narrenturm © NHM Wien, Alice Schumacher

Narrenturm, Ausstellungsansicht © NHM Wien, Alice Schumacher

MUSEUM NARRENTURM Pathologisch-anatomische Sammlung

Narrenturm, Ausstellungsansicht © NHM Wien, Alice Schumacher

Eine Geschichte der Krankheitslehre für Ärzte, Studenten, aber auch für Laien

Es war die Aufklärung, von auch das Denken von Kaiser Joseph II. beeinflusst war, die zu einer neuen Sicht auf Geisteskrankheiten geführt hat. 1774 wurde die k.k. Irrenanstalt im Narrenthurm als Einrichtung des neu geschaffenen Allgemeinen Krankenhauses gebaut. Es war die erste Institution weltweit, die zu diesem Zweck eingerichtet wurde. Bis dahin hatte man psychisch beeinträchtigte Menschen einfach weggesperrt. Die Wiener hatten mit dieser Ansammlung von Verrückten im „Guglhupf“ allerdings auch eine Art von Belustigung erhalten. Man ging hin, um die Patienten zu necken, so lange, bis die Fugen zwischen den Steinen ausgefüllt wurden und ein Hochklettern zu den Fenstern nicht mehr möglich war. Außerdem wurden abgesperrte Außenbereiche geschaffen, um weitere Irritationen ohnehin gestörter Seelen hintan zu halten. Später stand das auffällige runde Gebäude lange Jahre leer oder wurde zu fremden Zwecken missbraucht – nicht weil niemand mehr „wahnwitzig“ gewesen wäre, sondern weil sich Behandlung solcher Krankheiten und die Unterbringung der Betroffenen geändert hatte. Anfang der 1970er-Jahre boten sich die Räume an, die pathologisch-anatomische Sammlung, die übrigens ebenfalls bereits 1796 gegründet wurde, eben dort unterzubringen.

Narrenturm bei Nacht © NHM Wien, Kurt Kracher

Narrenturm, Ausstellungsansicht © NHM Wien, Alice Schumacher

Seit 2012 ist das Naturhistorische Museum dafür verantwortlich. Der damit verbundene Auftrag, das denkmalgeschützte Gebäude zu sanieren, wurde getreulich erfüllt. Nunmehr war es so weit, auch die Sammlung, die als Dauerausstellung konzipiert ist, zu überarbeiten. Seit September 2021 können Ärzte, Studenten, aber auch Laien in einem Rundgang im Erdgeschoss durch helle Räume in zeitgemäßer Gestaltung von den Anfängen der Krankheitslehre bis zur Gegenwart der Medizin an einer Fülle von Objekten studieren oder je nach Wissensdrang mit sanftem Gruseln betrachten.

 

In erster Linie sind es Präparate, die zum Teil bereits von Ärzten der Universität Wien im 18. Jahrhundert gesammelt wurden. Der Begriff Pathologie, den bereits die Römer als „kundig im wissenschaftlichen Umgang mit Krankheiten“ kannten, erhielt Ende des 18. Jahrhunderts eine präzise Bedeutung. Es ging den Ärzten nunmehr um die Beziehung zwischen Organen und dem Verlauf der Krankheiten. Der Leibarzt Maria Theresias, Gerard van Swieten, führte die Reformation des veralteten Medizinalwesens durch. Zum Seziertisch, von dem ein beeindruckendes Exemplar zu sehen ist, kam um 1900 das Mikroskop. Die histologische Untersuchung (Entnahme von biologischen Geweben) hielt Einzug in der Wissenschaft. In jüngster Zeit ist bereits von Molekularpathologie die Rede, die Einblicke in krankhafte Veränderungen von DNA oder RNA gewährt. Wesentlich sind auch die Methoden des Präparierens.

 

Anhand von Beispielen und entsprechender Information wird man über die Herstellung von Feuchtpräparaten, Trockenpräparaten und Moulagen belehrt, an denen Entzündungen, Tumore und Infekte und deren Auswirkungen auf den Körper beobachtet werden können. Berührend sind das Glas mit zusammen gewachsenen Zwillingen, einst als siamesische Zwillinge bezeichnet, oder das Präparat eines Babys, dessen Haut mit roten Rissen überzogen ist – wegen des Aussehens „Harlekin-Krankheit“ genannt. Nachdenklich macht die Abteilung, in der es um die Atemwege geht. Von der Staublunge über Tuberkulose bis zum Kehlkopfkrebs sind hier alle die Krankheiten dokumentiert, die oft mit einem einfachen Husten beginnen. Wer daraus für sein eigenes Verhalten Schlüsse zieht und seine letzte Zigarette ausdämpft, hat möglicherweise bereits einen der mit dieser Ausstellung verbundenen Zwecke erreicht – was im einzigartig düsteren Ambiente des Narrenturms allerdings kein Wunder ist.

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