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Der Narrenturrm

Der Narrenturm beherbergt die pathologisch-anatomische Sammlung

KUNST DER MOULAGEN Raum für verewigte Krankheitsbilder

Ein Hands On mit beschrifteten Platten

Ein Hands On mit beschrifteten Platten zur Information

Dr. Carl Henning gilt als der Erfinder einer zu ihrer Zeit bedeutenden medizinischen Technik.

Die pathologisch-anatomische Sammlung des NHM beherbergt über 3.000 denkmalgeschützte Exemplare. Dazu zählen auch die sogenannten Moulagen, mit denen Krankheitsbilder, wie es im Untertitel heißt, „verewigt“ wurden. Es handelt sich dabei um Abformungen aus Wachsbasis, die möglichst naturalistisch bemalt wurden und so einzelne Körperteile visualisierten. Die frühe Kriminalistik machte davon Gebrauch, indem sie verstümmelten oder teils verwesten unbekannten Leichen ein lebensnahes Aussehen verlieh, um so ihre Identifizierung zu ermöglichen. Vom 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie aber hauptsächlich im medizinischen Unterricht eingesetzt, um Studierenden reale Krankheitsbilder abseits von Patienten zeigen zu können. Im Narrenturm im alten AKH, dem idealen Ort für Präsentationen mit Gänsehautfaktor, wurde nun der „Kunst der Moulagen“ ein eigener Themenraum gewidmet. Aufbauend auf eine Sonderausstellung 2024 können nun mehr dieser beeindruckenden Objekte gezeigt und auch dem medizinischen Laien nahegebracht werden – inklusive jeweiliger Diagnosen aus dem erschreckend weiten Feld der Dermatologie.

Gernot Henning, Enkel von Dr. Carl Henning

Gernot Henning, Enkel von Dr. Carl Henning

Farben und Pinsel zur Bemalung der Moulagen

Farben und Pinsel zur Bemalung der Moulagen

Nach ersten, eher unbeachteten Versuchen mit der Moulage um 1856 durch Anton Elfinger (1821-1864) war es der Arzt Dr. Carl Henning (1860-1917), der dieser medizinischen Technik zum Durchbruch verhalf. Vorgestellt wurde sie auf dem ersten internationalen „Congress für Dermatologie und Sypholographie“ 1889 in Paris. Mit einem Schlag war die Moulage aus etlichen Sparten der Medizin nicht mehr wegzudenken. 1892 begann Henning in einem eigenen Institut für Moulagen Abformungen besonderer Krankheitsbilder für den Unterricht herzustellen. Auftraggeberin war die Medizinische Fakultät, die 1.000 Stück pro Jahr bei ihm bestellte.

Seine Arbeiten dürfen jedoch nicht nur als Lehrmittel betrachtet werden, sie gelten als kunsthandwerkliche Meisterstücke, die bildhauerisches Geschick bei der Formung und das Können eines Malers bei der farblichen Gestaltung erfordern. Verwendet wurden dafür ausgeklügelte Mischungen aus Wachs und Harz, um die Anschauungsstücke dauerhaft haltbar zu machen. 1913 präsentierte Henning seine Gesichtsprothesen, hergestellt aus dem von ihm erfundenen elastisch-hautähnlichen Dermon, das bald darauf im Ersten Weltkrieg den von schweren Verletzungen entstellten Soldaten wieder ein menschliches Aussehen ermöglichte. Der auch sozial engagierte Arzt ignorierte dabei offenbar die Gefahr der Ansteckung. 1917 infizierte sich Henning an einem Patienten und erlitt eine schwere Sepsis, die zur Amputation des linken Armes führte. In seinem geschwächten Zustand genügte ein Insektenstich, der mit einer damit einhergehenden Blutvergiftung zu seinem Tod führte. In Wien führte nun dessen Sohn Theodor das väterliche Erbe weiter, bis in die 1930er-Jahre, als die Farbfotografie diese Technik schließlich ablöste.

Moulage als Beispiel für einen schweren Fall von Lepra

Moulage als Beispiel für einen schweren Fall von Lepra

SAFE SEX Warnung vor den Big Five im Narrenturm

Ausstellungsansicht © NHM Wien, W. Bauer-Thell

Safe Sex, Ausstellungsansicht © NHM Wien, W. Bauer-Thell

Ein „Comeback der Geschlechtskrankheiten“ wird geortet. Was dahinter steckt und wie man sich schützt.

Eine Sonderausstellung in der pathologisch-anatomischen Sammlung Narrenturm ist per se unerfreulich zum Anschauen. In den ehedem düsteren Zellen des Erdgeschosses warten je nach Thema Fotos mit erkrankten Körperteilen, bleiche Wachsmodelle (Moulagen) von ehemaligen Patienten und Wandtexte, verfasst von Medizinern und Wissenschaftlern, denen die Vermittlung schockierenden Wissens wichtiger ist als das Befinden eines sich gruselnden Publikums. Wenn es nun um die Geschlechtskrankheiten geht, sollten sich alle betroffen fühlen, unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Status in der Gesellschaft. So weist der Titel „Safe Sex“ auf die Möglichkeit hin, sich vor einer Ansteckung zu schützen. Aber er warnt auch vor einem Comeback der Geschlechtskrankheiten, denen aktuelle Untersuchungen einen bedenklichen Anstieg sexuell übertragbarer Infektionen (STIs) bescheinigen.

 Comiczeichnung zu Syphilis © NHM Wien, L. Lick

o.: Comiczeichnung zu Syphilis © NHM Wien, L. Lick

r.: Syphillis, Schädelknochen © NHM Wien, C. Potter

 Syphillis, Schädelknochen © NHM Wien, C. Potter

Als die „Big Five“ dieser Geißeln einer sich liebenden Menschheit firmieren Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien, Hepatitis und HIV. Das gilt zumindest für Europa, wo das ECDC (European Center of Disease Control) über die neusten Zahlen bezüglich STIs verfügt. Schätzungen der WHO zufolge kommt es europaweit täglich zu ca. 1 Million(!) Übertragungen. Allein diese Zahl sollte aufrüttelnd sein, um ernsthaft darüber zu reden und auch im Moment größter Verlockung entsprechend Vorsicht walten zu lassen. Gegliedert ist die Ausstellung (kuratiert von Eduard Winkler & Laura Lick) nach den einzelnen Krankheiten, zu denen auch die Filzlaus oder Scabies (Krätze) zählen.

So wird beispielsweise bei der Syphilis sogar das Jahr ihres ersten Auftretens (1495 bei französischen Soldaten, deswegen auch „Französische Krankheit“) angegeben. Der Erreger ist ein Bakterium mit dem Namen Treponema pallidum subspecies pallidum, das Knochen und Gewebe zersetzt und schließlich zum Verlust des Verstandes führt. Bekämpft wird es heute mehr oder weniger erfolgreich mit Penicillin.

 

Ähnliche Schreckensnachrichten finden sich zum Humanen Immundefizienz-Virus (HIV). Das durch die Zerstörung des Immunsystems ausgelöste AIDS, die sogenannte „Schwulenpest“, kann zwar medikamentös behandelt werden, ist aber noch nicht heilbar. Wenn in Ländern wie Malawi allerdings die Medikamente fehlen, ist AIDS Todesursache Nr. 1. Jede einzelne dieser Infektionen ist eine böse Laune der Natur, der man mit größtem Respekt begegnen muss, um nicht beispielsweise durch einen unüberlegten One-Night-Stand deren beklagenswertes Opfer zu werden.

 Herpes, Moulage © NHM Wien, C. Potter

Herpes, Moulage © NHM Wien, C. Potter

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