Kultur und Weindas beschauliche MagazinNUR RUHE! Böser Bruch biedermeierlichen Phlegmas
Vier Mal wurde die Posse mit Gesang in Drey Acten nur gespielt. Schon bei der Premiere gab es einen gewaltigen Aufruhr. Das Publikum wollte sich von Johann Nestroy nicht beleidigen lassen; nicht die Tagediebe, die mit ererbtem Geld die Zeit totschlagen, auch nicht die armen Tröpfe aus den Manufakturen, die sich im Theater in der Leopoldstadt gerade noch einen billigen Platz leisten konnten, schon gar nicht die Frauen, die in diesem Stück entweder dümmlich, reich und alt oder anlassig auftreten, nicht der Firmenchef, der satt, bequem und ungestört seinen Lebensabend verbringen will, und am wenigsten der Opportunist, der zwar bis zur Bösartigkeit aufmüpfig ist, aber dennoch nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat. Dazu muss gesagt werden, dass Wien anno 1843 im Banne der Metternichschen Überwachung stand, im Vormärz, der ein Treibhaus für derartige Typen war. Wenn sie wieder zum Leben erweckt werden, dann drängt sich die erschreckende Erkenntnis auf, dass sich seit damals kaum etwas verändert hat. Gewandelt hat sich lediglich die Bereitschaft, Nestroysche Kritik lustvoll zu beklatschen, bis zu Standing Ovations für Peter Gruber, der heuer das unglaubliche 50-Jahr-Jubiläum „seiner“ Nestroy-Spiele feiern durfte und einmal mehr eine Rarität bis ins kleinste Detail stimmig und prall voll Gags auf die Bühne im Schloss Rothmühle in Schwechat inszeniert hat. Nur Ruhe! Ensemble © Nestroyspiele Schwechat Die Namen der einzelnen Figuren sagen ja bereits einiges über die jeweiligen Charaktere aus. Anton Schafgeist (Rainer Doppler mit allgemein nachvollziehbarem Ruhebedürfnis) ist Lederfabrikant. Er will seine Firma an den Neffen Heinrich Splittinger (Eric Lingens) weitergeben. Ausgerechnet an seinem 55. Geburtstag muss er sich mit der Invasion des streitsüchtigen Herrn von Hornissl (Michael Scheidl), dessen kapriziöser Gattin Ivana (eine charmante Aktualisierung der ursprünglichen Barbara), authentisch gezickt von Ines Cihal, deren angeblicher Tochter Peppi (mit einem Augenaufschlag zum Abbusseln: Sophie Hörlezeder) und dessen Neffen Hans Laffberger (Oida! Unguat bis zum Abwinken: Florian Haslinger) abfinden.
In dem darob ausbrechenden Chaos versucht Christian Graf als aggressiver Geselle Rochus Dickfell seine Schaferln ins Trockene zu bringen. Laut eigener Aussage trägt er „das Herz auf der Zungen“, die aber in einem Schandmaul sitzt, sofern Rochus nicht gerade eines der nachdenklich stimmenden, von Otmar Binder am Klavier begleiteten Couplets singt. Hemmungslos dient er Ziehtochter Leocadia (Michelle Haydn als reizvolle Schlampe) seinem Haberer Splittinger an. Diesem ist als Ehepartnerin jedoch die an Geld und Jahren reiche Forstmeisterswitwe Frau von Groning (Bella Rössler) zugedacht. Ohne diese Dame und einige wenige Aufrechte (Marc Illich als verklemmter, aber korrekter Werkführer Walkauer und der Deus ex machina, Syndikus Werthner, in personam Franz Steiner) wäre es sogar einem Nestroy unmöglich gewesen, hinter das vor Bösartigkeit strotzende Kuddelmuddel aus Niedertracht, Blödheit und Geldgier ein Happy End zu zaubern. Statistik |