Kultur und Wein

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Tartuffe, Ensemble © Sabine Hauswirth

Tartuffe im Wiener Lustspielhaus, Ensemble © Sabine Hauswirth

TARTUFFE Charakterloser Impfgegner und Abzocker

Hemma Clementi, Martin Bermoser © Sabine Hauswirth

Hemma Clementi, Martin Bermoser © Sabine Hauswirth

Franzobels Molière im Wien des 17. Jh. und ein bisschen in der Gegenwart

Auch die letzte Premiere ging erfolgreich über die Bühne des Wiener Lustspielhauses. Was mit dem stimmungsvollen, handbemalten „Theaterzelt“ nach der Dernière von „Tartuffe“ Anfang September passieren wird, steht noch in den Sternen. Bis dahin darf jedoch gelacht werden, wenn Prinzipal Adi Hirschal als Umbert Umbeleckt dem Schmarotzer und Betrüger Tartuffe (Martin Bermoser) sein gesamtes Vermögen vermacht und diesem blasierten Ekel partout seine liebreizende Stieftochter Alibertina (Maddalena Hirschal) andrehen will. An den Namen der Beteiligten merkt man bereits, dass es sich um eine Überschreibung von Molières Komödie handelt. Der – nach eigenen Angaben – Querdenker und vielfach ausgezeichnete österreichische Schriftsteller Franzobel hat für seinen Adi französischen Esprit ins Wienerische zu übertragen versucht, um seinen Landsleuten eine Idee davon zu vermitteln, worüber man sich im 17. Jahrhundert in Paris unterhalten und gleichzeitig der Gesellschaft mit ihren gepuderten Perücken einen Zerrspiegel vors bleich geschminkte Gesicht gehalten hat.

Michael Reitinger, Martin Bermoser © Sabine Hauswirth

Michael Reitinger, Martin Bermoser © Sabine Hauswirth

Maddalena Hirschal, Erika Deutinger © Sabine Hauswirth

Maddalena Hirschal, Erika Deutinger © Sabine Hauswirth

„Tartuffe“ brauchte seinerzeit drei Anläufe, um von König Ludwig XIV. gnädig genehmigt zu werden. Am 6. Juli 2022, am Abend der Wiener Premiere, war von solchen Einschränkungen keine Spur. Franzobel hat aus dem bigotten Heuchler einen hintertriebenen Impfgegner gemacht und damit ein Türchen zum Gegenwartskabarett geöffnet, angefangen vom Klopapier über das Entwurmungsmittel bis zur Unfruchtbarkeit, die sich auf die Nachkommen überträgt. Der Rest spielt in der noblen Einrichtung eines einstig feudalen Bürgerhauses, in dem die Damen üppige Kleider und auch die Herren Perücken tragen. Trotz energischen Einsatzes des goscherten „Dienstmädchens“ Milena (eine resolute Erika Deutinger) bleibt Umbert Umbeleckt dem Eindringling Tartuffe hörig. Wie im Untertitel angedeutet, lautet sein Credo: „Ich glaub´ was ich will!!!“, was im Paradoxon „den Ehrlichen ist nicht zu trauen“ gipfelt. Er verschließt Ohren und Vaterherz, wenn Sohn Anselm (Thomas Höfner) in Sorge um seine Geliebte Alibertina offene Umtriebe des Parasiten aufzeigt. Sogar die charmante Gattin Edmee (Hemma Clementi) scheitert mit ihrer List, mit der sie ihrem Mann Tartuffes Zudringlichkeit beweisen will. Bleibt nur mehr die Frage offen, ob und wie es die Familienangehörigen schaffen, ihren verblendeten Haushaltsvorstand zu bekehren. Wenn ja, dann leistet zweifelsfrei Michal Reitinger einen nicht unwesentlichen Anteil, wenn der die Songs mit großartigem Gitarrenspiel begleitet und es dabei so richtig grooven lässt.

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