Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Marina Abramović , Sleeping Under the Banyan Tree, 2010, © Courtesy of the Marina Abramović Archives

Marina Abramović , Sleeping Under the Banyan Tree, 2010, © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

MARINA ABRAMOVIĆ Was alles ein weiblicher Körper erträgt

Marina Abramović, Ausstellungsansicht

Marina Abramović, Ausstellungsansicht

Eine Performerin geht in ihrer Kunst an die Grenzen emotionaler, physischer und spiritueller Erfahrungen.

Geboren wurde Marina Abramović 1946 in Belgrad in einem von Tito regierten Jugoslawien. Ihre Eltern wurden aufgrund ihres Einsatzes im Partisanenkrieg gegen die deutsche Wehrmacht als Helden gefeiert und mit Staatsämtern belohnt. Marina erlebte damit als Kind hautnah die Zwänge der kommunistischen Ideologie, die einerseits körperliche Disziplin und andererseits ein Aufgaben eigner Meinungen forderte. Umso erstaunlicher ist, dass die heranwachsende Frau sich der Kunst des freien Westens zuwandte. Sie suchte nach der Nische, die in diesen Jahren noch nicht von meist männlichen Malern und Bildhauern besetzt war. Es war die Performance, der Einsatz des eigenen, vor allem weiblichen Körpers, der ihr die Aufmerksamkeit der Kunstwelt ermöglichte. Ähnlich wie im Wiener Aktionismus war damit eine extreme Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst verbunden, mit Schmerz, totaler Erschöpfung und realer Lebensgefahr.

Marina Abramović The Hero, 2001 © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Marina Abramović The Hero, 2001 © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Mit „Balkan Baroque“ war Abramović 1997 auf der Biennale in Venedig vertreten. Vier Tage lang je sechs Stunden saß sie auf einem Berg aus 1.500 blutigen Rinderknochen und reinigte diese mit Wasser und Bürste von Fleischresten. Dabei sang sie jugoslawische Volkslieder und Totenlieder. Alles zusammen ist eine schwer beeindruckende Metapher für den damals in ihrer Heimat herrschenden Krieg, der vom Zerfall Jugoslawiens ausgelöst worden war. Ihr Resümee: „Auch wenn ich versuche, die Knochen zu reinigen, ist es unmöglich, das Blut von den Händen zu waschen.“ Mit „The Hero“ hat die Künstlerin 2001 eine Hommage an ihren im Jahr davor verstorbenen Vater geschaffen. In einem Video sitzt sie, in die Ferne starrend, auf einem weißen Pferd und hält eine weiße, im Wind flatternde Flagge.

Weiß ist hier die Farbe des Todes. Im Kopfhörer ist die von einer Frau gesungene, später verbotene Nationalhymne aus der Zeit Titos zu hören. Vor der Projektion finden sich in einer Vitrine persönliche Erinnerungsstücke und Fotografien, von denen eine ihren Vater bei einer Siegesparade in stolzer Reiterpose zeigt.

Marina Abramović, Ausstellungsansicht

Marina Abramović, Ausstellungsansicht

Marina Abramović Lips of Thomas, 1975 © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien

Marina Abramović Lips of Thomas, 1975 © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Dieses emotional hoch aufgeladene Statement ist das Plakatmotiv einer gewaltigen Retrospektive für Marina Abramović, die in der Albertina Modern in Kooperation mit dem Bank Austria Kunstforum bis 1. März 2026 deren teils bereits legendäre Auftritte intensiv erleben lässt. Einige der historischen Performances werden live nachgestellt. So stehen ein Mann und eine Frau (trainiert in der mental und körperlich anspruchsvollen „Abramović Method“) in einem Türrahmen einander nackt gegenüber. Will man auf die andere Seite gelangen, muss man sich, die natürliche Scheu vor unwillkürlichen Berührungen unterdrückend, dazwischen durchzwängen.

Ursprünglich war es der Eingang eines Museums in Bologna, wo sie mit ihrem langjährigen Partner und Lebensmenschen Ulay (Frank Uwe Laysiepen) als „Grundpfeiler des Museums“ agierte und die Erfahrung des Eintritts in eine neue Welt, in die der Kunst, vermitteln wollte. Der Titel „Imponderabilia“ (nicht einschätzbar) spielt auf das individuell unterschiedliche Erlebnispotential angesichts der ausgestellten Werke an. Dazu kommt die Idee der Verschmelzung von männlich und weiblich zur symbolischen Entstehung eines Hermaphroditen, der jedoch mit der Trennung 1988 begraben wurde. 2002/2005 übernahm den männlichen Part ein Skelett, das mit Abramović intimen Kontakt pflegt. „Nude with Skeleton“ ist eine der zahlreichen Stationen, die von Kuratorin Bettina M. Busse im Künstlerhaus als Mutproben vor unerwarteten Begegnungen aufgebaut wurden. Sie alle sind irritierend und fesselnd, zugleich aber ein umfassender Überblick über ein mehr als fünf Jahrzehnte umspannendes Werk einer Pionierin der Perfomance, die nicht zuletzt dank ihr zu einer anerkannten Ausdrucksform innerhalb der bildenden Kunst aufgestiegen ist.

Portal, 2022 Selenit, Stahl, Aluminium, LED, 274 × 152 cm

Portal, 2022 Selenit, Stahl, Aluminium, LED, 274 × 152 cm

Two Similar Swimming Forms in Endless Flight/Motion, 1993

Damien Hirst, Two Similar Swimming Forms in Endless Flight/Motion, 1993

DAMIEN HIRST DRAWINGS Gedankenskizzen über das Papier hinaus

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

Sensationell: weltweit erste Museumsausstellung zu den Zeichnungen des Künstlers

Bekannt geworden ist der Brite mit präparierten Tieren. Damien Hirst ließ einen toten Tigerhai in Formaldehyd schwimmen und verpasste dem Werk den tief philosophisch anmutenden Titel „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“, auf Deutsch in etwa „Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden“. Den internationalen Durchbruch brachte das von der Herde getrennte Schaf (Away from the Flock), nicht zuletzt weil es von einem Besucher sabotiert wurde. Mit „For the Love of God“ wurden auch kunstferne Menschen erreicht, denn der mit 8601 Diamanten besetzte Totenschädel aus Platin lässt kaum jemanden unberührt. Kein Wunder, dass es sich dabei, allein schon vom Materialwert her, um eines der teuersten Objekte zeitgenössischer Kunst handelt.

Damien Hirst, Kali Confronts Hydra, 2015 © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved

Damien Hirst, Kali Confronts Hydra, 2015 © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved / Bildrecht, Wien 2025

Damien Hirst, Away from the Flock, 1994 © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved

Damien Hirst, Away from the Flock, 1994 © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved / Bildrecht, Wien 2025

Der Künstler sprüht vor unkonventionellen Ideen, die allesamt in einer „Gedankenskizze“ ihren Ausgang genommen haben. Es sind Zeichnungen, die er selbst als wichtigen Teil seiner künstlerischen Praxis betrachtet, mehr noch: Sie sind der Urgrund seiner Kreativität, da sie ihn schon von Klein auf begleitet haben. Er bedauert, dass Kinder irgendwann die Farbstifte weglegen und Bankmanager, Polizisten oder etwas anderes werden. Mit der von ihm 1994 entwickelten Spin-Machine verleitet Hirst nun die Erwachsenen, ihre eigenen Zeichnungen zu erstellen. Aus Beobachtern der Kunst werden damit selbst Kunstschaffende, die am eigenen Leib die Faszination des kreativen Prozesses erleben. Auch in der Ausstellung „Damien Hirst Drawings“ (bis 12. Oktober 2025) darf man an der Zeichenmaschine Hand anlegen und sein eigenes Werk schaffen. Große Vorbilder hängen an den Wänden. Zum Teil handelt es sich um Zeichnungen, die das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der zeitliche Bogen spannt sich von frühen Arbeiten ab den 1980er-Jahren bis herauf zu aktuellen Werken.

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

Damien Hirst Drawings, Ausstellungsansicht

In der Weite der Räume finden sich zudem dreidimensionale Ikonen wie das Schaf, zwei Haie, das rote Kaninchen mit Farbpalette als Selbstporträt und ein beeindruckendes Schiffsmodell. Bei entsprechender Nähe sind im offenen Bauch des Seglers allerhand antike Artefakte zu erkennen. Erzählt wird damit die Geschichte des legendären Schiffs Apistos (altgriechisch: unglaublich, ungläubig), das vor rund 2000 Jahren mit den Schätzen seines Besitzers Cif Amotan II. gesunken ist.

Angeblich wurde dieses Wrack samt wertvoller Fracht in unserer Zeit entdeckt und geborgen, finanziert von Damien Hirst persönlich. Dazu gibt es aufwändig künstlich gealterte Zeichnungen, die auf Augenzeugenberichten und Erinnerungen von Menschen basieren, die von dieser Mär gewusst haben. Es bleibt damit offen, was museale Inszenierung, historische Wahrheit oder künstlerische Fiktion ist und lässt deren Grenzen wundersam verschwimmen. Nachdem Hirst und sein Team rund zehn Jahre an diesem monumentalen Projekt gearbeitet haben, ist „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ neben den Zeichnungen eine der wesentlichen Positionen, mit denen Damien Hirst die Menschheit genüsslich und unterhaltsam verunsichert und so zu seinem Ruf beiträgt, ein großer Künstler zu sein, aber auch ein Mahner, der uns erinnert, stets die Augen offen zu halten, um klar feststellen zu können, wie Geschichte konstruiert wird, und uns nicht leichtgläubig von irgendwelchen Fake News leiten zu lassen.

Damien Hirst, Crucified Cow, 2003

Damien Hirst, Crucified Cow, 2003, Ausstellungsansicht

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