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MICHELANGELO UND DIE FOLGEN , Ausstellungsansicht

MICHELANGELO UND DIE FOLGEN , Ausstellungsansicht

MICHELANGELO UND DIE FOLGEN Maßstab für den idealen Männerakt

Michelangelo Buonarroti Männlicher Rückenakt, um 1504, Albertina

Michelangelo Buonarroti Männlicher Rückenakt, um 1504, Albertina

Genau hinschauen! Auf die Bilder und Statuen mit vorwiegend männlicher Ästhetik.

Wo sonst als in der Albertina kann in einer einzigen Ausstellung die Entwicklung der Kunst so ausführlich dargestellt werden?! In „Michelangelo und die Folgen“ (bis 14. Jänner 2024) wird anhand einer Fülle von graphischen Werken, aus eigenem Bestand und etlichen Leihgebern, bewiesen, dass der Meister der Sixtinischen Kapelle über 300 Jahre Maßstab jeglicher Auseinandersetzung mit dem männlichen Aktes war. Seine Skulpturen sind bekannt. Ein monumentaler David in Florenz, eine berührende Pieta im Petersdom zu Rom und in derselben Stadt ein Moses, dem man einmal in sein erzürntes Gesicht geblickt haben muss. Dazu kommen die Studien, in denen vor allem die Lebendigkeit des Muskelspiels exakt der Natur des männlichen Körpers abgeschaut wurde. Die ihm folgenden Künstler waren davon ebenso fasziniert wie unsereins heute. Sie haben diese Darstellungsweise in ihre Arbeit übernommen, dort in ihrem Sinn und der zeitlichen Mode folgend abgeändert und sich in den männlichen Akten doch immer wieder auf Michelangelo bezogen.

MICHELANGELO UND DIE FOLGEN , Ausstellungsansicht

o.: MICHELANGELO UND DIE FOLGE , Ausstellungsansicht, Im Vordergrund: Massimiliano Soldani-Benzi, Die Ringer ca. 1710.

r.: Johann Peter Pichler Rückenakt, 1789, Albertina Wien

Johann Peter Pichler Rückenakt, 1789, Albertina Wien

Anhand erläuternder Saaltexte offenbaren sich in der riesigen Fülle oftmals ähnlicher Inhalte und Techniken die feinen Unterschiede jeweiliger Sichtweisen. So war Peter Paul Rubens ein Verehrer Michelangelos. Er übte sein Handwerk durch Kopieren der Fresken in der Sixtina und erwarb ein Konvolut von Zeichnungen seines Vorbilds, die übrigens heute im Besitz der Albertina sind. Auch Albrecht Dürer kam nicht daran vorbei, sich nach dem großen Vorbild dem Studium des Körpers zu widmen. Ihm hatten es die menschlichen Proportionen angetan, die er zu einem perfekten Regelwerk entwickelte. Anders reagierte Rembrandt auf die idealisierten Körper des Renaissancemeisters. Er setzte den Athleten des Florentiners schwächliche Jünglinge entgegen – und stieß mit dieser „wahren“ Sicht der Realität auf das Unverständnis seiner Zeitgenossen.

Gustav Klimt, Studie für die linke der „Drei Gorgonen“ im Beethovenfries, 1901 (Detail), Albertina W
Giovanni Francesco Susini, Kniende Badende im Spiegelkabinett

l.: Gustav Klimt, Studie für die linke der „Drei Gorgonen“ im Beethovenfries, 1901 (Detail), Albertina Wien

o.: Giovanni Francesco Susini, Kniende Badende im Spiegelkabinett

Man fragt sich, wo in dieser diffizilen Kopfarbeit einer Kunstbetrachtung die Frauen bleiben. Sie sind zugegen, beispielsweise in „Raub der Sabinerin“ von Giambologna, einem Vertreter des Manierismus. Der weibliche Körper wurde an den Idealen antiker Werke gemessen. War es die Angst vor der Verhängnis bringenden Hexe oder vor einer in ihrer Lust unersättlichen Venus, die trotz aller Virtuosität der Ausführung eine solche Distanzierung bewirkte? Denn beiden, ob Mann oder Frau, blieb die längste Zeit das erotische gewisse Etwas vorenthalten oder es wurde raffiniert in Mythologie und Religion versteckt; ein Mangel, der erst im späten 19. Jahrhundert nachhaltig beseitigt wurde. Gustav Klimt oder Egon Schiele überwanden das aus 1500 überkommene Ideal, im Falle Klimts mit dem secessionistischen Schönheitskult, bei Schiele mit einer radikalen Hässlichkeit der Selbstbildnisse und Akte, die jedoch voll prallem Leben sind, in beiden Fällen Sexualität ausstrahlen und nachvollziehbare Seelenzustände widerspiegeln.

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