Kultur und Wein

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Gregory Crewdson, Retrospektive, Ausstellungsansicht

Gregory Crewdson, Retrospektive, Ausstellungsansicht

GREGORY CREWDSON Regisseur der „Single-Frame-Movies“

Gregory Crewdson, Die Kellerwohnung, 2014, Ausschnitt

Gregory Crewdson, Die Kellerwohung, Ausschnitt

Eine Schenkung beklemmend inszenierter Fotografien als vielsagende Bereicherung der Sammlung

Schauplatz ist Massachusetts, ein Bundesstaat der USA im Nordosten, in Neu England, benannt nach einer Nation, der dieses Land einst abgenommen wurde. Die Bewohner sind freundlich, zuvorkommend, um nicht zu sagen bieder, eben ganz im Sinne der Pilgrim Fathers, die 1620 ihre streng enthaltsame Lebensweise auf der Mayflower mitgebracht haben. Gregory Crewdson wurde zwar 1962 in Brooklyn geboren, hat sich aber nach Mass, wie der lange Name gern abgekürzt wird, zurückgezogen. Auf diese Umgebung aus lockeren Siedlungen und endlos viel Wald hat er sich später beschränkt, wenn er mit der Kamera sein Bild von Amerika entwickelt hat.

Gregory Crewdson Untitled, From the series: Early Work, 1986-1988

Gregory Crewdson Untitled, From the series: Early Work, 1986-1988 The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson Untitled, From the series: Beneath the Roses, 2003-2008, The ALBERTINA Museum

Gregory Crewdson Untitled, From the series: Beneath the Roses, 2003-2008, The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Begonnen hat er nach seiner Masterarbeit an der Yale School of Art in Connecticut mit Aufnahmen in New Haven und in seiner Geburtsstadt New York, bis es ihn in die Kleinstadt Lee verschlagen hat. In dieser Zeit entstand „Early Work“, mit der die Ausstellung „Gregory Crewdson, Retrospektive“ (bis 8. September 2024) eingeleitet wird. Seine Motive waren gemütlich eingerichtete Wohnzimmer, typische Holzhäuser entlang der Straße und Menschen, die darin ihr Leben verbringen. Crewdson war aber auch zur Stelle, wenn es irgendwo brannte und ihm die lodernden Flammen ein faszinierendes Schauspiel boten. In den Jahren 1991 bis 1997 zog ihn die Tierwelt an. Unter dem Motto „Natural Wonder“ machte er Insekten, Vögel und Würmer sichtbar. Als Kontrapunkt zur „hyperrealen“ Farbigkeit der Fauna begann Crewdson in dieser Zeit zu schweben. Unter „Hover“ sind schwarz-weiße Fotos zusammengefasst, die mithilfe von Kränen eine Sicht auf die immer gleichen Siedlungen seiner Mitbewohner liefern. Die nächste entscheidende Wandlung seiner Darstellungen erfolgte 1998 bis 2002. „Twilight“ (Blaue Stunde der Dämmerung) ist eine Konfrontation der Realität mit dem Unerklärbaren. Movies wie „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ oder „E.T.“ von Steven Spielberg wurden zur Inspiration, mit Beleuchtung, Atmosphäre und einem entsprechenden Mitarbeiterstab wie auf dem Filmset zu inszenieren. Traumähnliche Szenen entstanden, die an die Grenzen der vernünftigen Wahrnehmung führen und nicht nur zu cineastischen Zitaten, sondern zu eigenständigen Erzählungen wurden.

Gregory Crewdson Madeline's Beauty Salon, From the series: Eveningside, 2021-2022, ALBERTINA

Gregory Crewdson Madeline's Beauty Salon, From the series: Eveningside, 2021-2022, The ALBERTINA Museum, Vienna – Courtesy of the Artist © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson The Mattress, From the series: Cathedral of the Pines, 2013-2014, ALBERTINA

Gregory Crewdson The Mattress, From the series: Cathedral of the Pines, 2013-2014, The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Noch mehr Aufwand verursachten die Arbeiten zu „Beneath the Roses“. Man sieht den Bildern nicht an, dass die ihnen immanente Tiefenschärfe aus der digitalen Kombination von vierzig bis fünfzig Einzelaufnahmen resultiert. Es sind sogenannte „Singel-Frame-Movies“, die in ihren mysteriösen Inhalten menschliche Einsamkeit und Entfremdung von der Umwelt deutlich machen. Für „Sanctuary“ „drehte“ Crewdson 2009 ausnahmsweise in Italien, und zwar im größten Filmstudio Europas, um die Tristesse von Ruinen für seine Fotos zu arrangieren. Wieder in Massachusetts zurück entstanden Serien wie „Cathedral of the Pines“ (2013/14) oder „An Eclipse of Moth“ (2018/19) bis zu „Eveningside“ (2021/22), immer als Spiegel einer deprimierend kleinbürgerlichen Welt, die uns fremd scheint und doch ihren bizarren Reiz hat. Denn trotz der Distanz zu den Sujets kann man sich der Faszination der Fotos von Gregory Crewdson nicht so leicht entziehen. Ein Teil davon wird bei uns bleiben. Als großzügige Geste des Künstlers zu werten ist die bedeutende Schenkung, mit der Crewdson die Fotosammlung der Albertina und damit den Schwerpunkt an zeitgenössischer Fotografie bereichert hat.

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