Kultur und Weindas beschauliche MagazinCarmen, Thomas Weinhappel, Ivana Zdravkova, Ensemble © Christian Husar CARMEN Eine Corrida von Liebe, Freiheit und Tod
Georges Bizet hat mit „Carmen“ große Oper komponiert. Den „revolutionären Bruch“ hat man ihm längst verziehen. Das Publikum aller Welt liebt diese Schilderung eines „wahren“ Milieus, die dem Stück innewohnende Dramatik und erwartet fieberhaft das tragische Ende, das den beiden Protagonisten im Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy beschieden ist. Daran ändert auch die von Michael Lakner bearbeitete deutsche Fassung mit Rezitativen nichts. Zu erleben ist eine Widmung an den spanischen Filmregisseur Carlos Saura (1932-2023), der in einem seiner Streifen (Carmen 1983) Anregungen für künftige Inszenierungen dieser Oper gegeben hat. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf beginnt man die Suche nach der idealen Carmen zu verstehen, die auch den künstlerischen Leiter der Bühne Baden bei der Besetzung dieser zentralen Rolle bewegt haben dürfte. Fündig wurde er mit Natalia Ushakova, einer russisch-österreichischen Sopranistin, die seit 1999 in einer langen Reihe von bedeutenden Produktionen gefeiert wurde. In Baden hat sie Kostümbildnerin Mareile von Stritzky in ein seltsam nuttiges Kostüm verpackt, das sie in Verbindung mit entsprechender Lebenserfahrung vor den anderen Arbeiterinnen der Tabakfabrik Anspruch auf den feschen Don José erheben lässt. Bei der Premiere am 25. Februar 2023 durfte sie mit charmant zarter Habanera ein vom Publikum durchaus bejubeltes Rollendebüt feiern.
Der bedauernswert von ihr verführte Sergeant ist niemand Geringerer als Kammersänger Vincent Schirrmacher. Der Tenor verzichtet auf das bei anderen Größen seines Fachs beliebte Schluchzen und singt einfach nur grandios strahlend. Nicht, dass damit Emotionen unterdrückt würden, er ist traurig, verzweifelt und wird am Schluss zum lästigen Stalker, zum unangenehmen Macho, der nicht einsehen will, dass das Nein einer Frau einfach nein bedeutet. Dabei hätte er eine so freundliche Alternative zu diesem problematisch gefühllosen Weib, das nur seine Freiheit, bzw. den gefeierten Matador will. Ivana Zdravkova ist die hübsche und bezaubernd unschuldige Micaëla, die Don José von Herzen liebt und außerdem über eine frische, jugendliche Stimme verfügt.
Funny Girl, Ensemble © Christian Husar FUNNY GIRL Bühnenstar liebt Spielernatur
Das Mädchen heißt Funny Brice, stammt aus dem jüdischen Viertel der New Yorker Lower East Side und entspricht so gar nicht dem Schönheitsideal, dem Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Showbiz unterworfen waren. Allein, sie ist von sich und ihrem Talent und dem Zeug zu einem Star überzeugt und setzt sich gegen alle Widerstände durch. Ihren Aufstieg zu den legendären Ziegfeld Follies verdankt sie dem Charmeur und Spieler Nick Arnstein. Sie verliebt sich ausgerechnet in diese unsichere Aktie, die einmal ganz oben, gleich darauf aber wieder am Boden notiert. Funny heiratet den Mann und glaubt, dessen fallweise Geldnöte mit ihrem eigenen mittlerweile eingespielten Vermögen kompensieren zu können. Aber auch windige Typen wie Nick haben ihren Stolz. Er fühlt sich von ihr als Mann überrollt und beendet nach einem Gefängnisaufenthalt die Beziehung. Das ist in aller Kürze der Inhalt von „Funny Girl“, das mit der Musik von Jule Styne und Liedtexten von Bob Merrill nach dem Buch von Isobel Lennart den Aufstieg einer selbstbewussten Frau in den 1960er-Jahren erfolgreich auf die Musical Bühnen gebracht hat. Wesentlich daran ist, dass es sich dabei um die wahre Biographie der Hauptperson handelt, die für ihre Zeit zu den Pionierinnen weiblicher Selbstbestimmtheit gezählt hat.
Die Inszenierung für die Bühne Baden hat selbstverständlich eine Frau übernommen. Isabella Gregor hat eine mitreißende Revue geschaffen, der es trotz aufwändiger Showeinlagen in keiner Sekunde an nötiger Tiefe fehlt. Unter Begleitung durch das hauseigene Orchester (am Pult: Anđelko Igrec) trägt Johanna Arrouas als Fanny Brice den Hauptpart des Gesanges. Sie pendelt virtuos zwischen burschikosem Charme, dem innigen Gefühl der Liebe, und subtiler Komik. Sie ist die Frau, die ganz genau weiß, was sie will und mit ungeschminkter Direktheit nahezu Unmögliches verwirklicht. Nick Arnstein ist mit Thomas Weissengruber ein etwas in die Jahre gekommener Bonvivant.
Loes Cools, Ensemble © Christian Husar DIE FLEDERMAUS flattert fröhlich ins Heute von Baden
Es geht um die Rache, die der kompromittierte Dr. Falke an seinem Freund Eisenstein vollzieht, nur eben nicht im 19. Jahrhundert, als Richard Genée das Libretto für Johann Strauß verfasst hat, sondern gut 150 Jahre später, im Jahr 2022, das an gesellschaftlichen Unebenheiten der Zeit des Fin de Siècle in keiner Weise nachsteht. Michael Lakner hat dieses einzigartige Werk zwischen Opera buffa und Operette als Höhepunkt seines Wirkens an der Bühne Baden inszeniert und auf witzige Weise aktualisiert. Gesetzt wird dabei auf inhaltliche Klarheit, die in beinahe schon übertrieben deutlichen Dialogen vermittelt wird. Nachdem sich die Kurstadt Baden in ihrem Äußeren und Inneren wenig verändert hat, konnte ihm Manfred Waba ein ungemein authentisch wirkendes Bühnenbild mit noblem Ambiente einer Villa und dem goldenen Prunk des Casinos schaffen, das über jeden Zeitsprung erhaben ist. Und das Gefängnis? Und der Frosch? Das soll eine Überraschung bleiben. Nur so viel: Es ist anders als man es bisher gesehen hat.
Das Orchester unter der Leitung von Michael Zehetner schafft bei aller geforderten Virtuosität einen erstaunlich vollen Klang und lässt am Tempo nichts anbrennen. Ballett und Chor sind der lebhaft bunte Rahmen für die Solisten, die durchwegs eine tolle Performance abliefern. Der letztlich zum Trottel gemachte Gabriel Eisenstein war bei der Premiere ein überzeugender Paul Armin Edelmann, dessen notorischer Aufreißer bekanntlich bei der eigenen Frau Rosalinde seine Uhr verliert.
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