Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Beppo Binder, Ensemble © Christian Husar

Beppo Binder, Ensemble © Christian Husar

CHESS Schach-Leidenschaft in Musik ausgedrückt

Mark Seibert (Anatoly Sergievsky) © Christian Husar

Mark Seibert (Anatoly Sergievsky) © Christian Husar

Ein Musical erzählt, wie das Spiel der Könige im Kalten Krieg als strategische Waffe missbraucht wurde.

Inspiration für den Briten Tim Rice war wohl die Weltmeisterschaft im Schach anno 1972, als der exaltierte Amerikaner Bobby Fischer den Russen Boris Spassky in Reykjavík in einem Aufsehen erregenden Turnier besiegte. Erstmals hatte die Welt an diesem an sich ruhigen und unspektakulären Spiel derart intensiv Anteil genommen, dass die Menschen vor den Fernsehern gebannt die einzelnen Züge verfolgten und kommentierten. Aber nur wenige ahnten, was sich dabei im Hintergrund abspielte. Die Sowjetunion galt als Großmacht des Schachspiels und wollte seine Vormachtstellung nicht verlieren; zumal sie damit ihr politisches System gegen den in ihren Augen degenerierten kapitalistischen Westen verteidigte. Der Musicaltexter Rice drehte in den 1980er-Jahren die Geschichte um und ließ den Russen gegen einen verrückten Ami gewinnen. Dazu packte er eine Liebesgeschichte quer über die Ideologien in das Geschehen. Für die Komposition gewann er Benny Andersson und Björn Ulvaeus von ABBA, die damit nebenbei zwei Hits landeten. „One Night in Bankok“ und „I Know Him So Well“ sind bis heute Evergreens geblieben. Geschafft wurde damit scheinbar Unmögliches: Die Leidenschaft für Schach in adäquate Musik umzusetzen und das Interesse der Öffentlichkeit sowohl für das Bühnenstück als auch für gefinkelte Züge auf dem Schachbrett zu gewinnen.

Drew Sarich, Nicole Bonnet, Mark Seibert, Anetta Szabó, Reinwald Kranner © Christian Husar

Drew Sarich, Nicole Bonnet, Mark Seibert, Anetta Szabó, Reinwald Kranner © Christian Husar

Ann Mandrella, Femke Soetenga © Christian Husar

Ann Mandrella, Femke Soetenga © Christian Husar

Für die Bühne Baden ist „Chess“ zur Sensation dieses Sommers geworden. Andreas Gergen, designierter Intendant, hat mit der Regie einen vielversprechenden Vorgeschmack auf seine zukünftige Tätigkeit an diesem Haus gegeben. Die berühmten vierundsechzig Felder dominieren die Bühne (Momme Hinrichs), auf der die beiden Schauplätze von Schachweltmeisterschaften dazu projiziert werden. Dazwischen ist ein Ensemble am Werk, das seiner Zuhörerschaft streckenweise den Atem nimmt. Allein das Ballett ist vielseitig gefordert. Schachfiguren umtanzen die Protagonisten und eine knallige Volkstanzgruppe in Merano, wo der fidele Bürgermeister Beppo Binder das Sagen hat, übt sich in folkloristischem Schuhplatteln. Der Chor überrascht durch Auftritte aus dem Auditorium und vertritt eine von plötzlicher Schachmanie erfasste Gesellschaft. Am Pult des Orchesters der Bühne steht Victor Petrov, der Herrscher über einen mächtigen Sound, der nicht zuletzt für die von dieser Aufführung verursachte Begeisterung verantwortlich ist.

Mimi Reiter, Reinwald Kranner © Christian Husar

Mimi Reiter, Reinwald Kranner © Christian Husar

Mark Seibert, Michael Konicek, Marjeta Urch, Drew Sarich, Anettá Szabó, Ensemble © Christian Husar

Mark Seibert, Michael Konicek, Marjeta Urch, Drew Sarich, Anettá Szabó, Ensemble © Christian Husar

Es beginnt mit einem Prolog in Budapest, in dem die achtjährige Florence Vassy im Aufstand gegen die Sowjets 1956 ihren Vater verliert. Als Erwachsene ist sie US-Bürgerin und wird zu einer Art Managerin von Frederick Trumper, dem amerikanischen Schachgenie. Femke Soetenga verwandelt deren emotionalen Wechsel zum russischen Großmeister von anfänglichem Interesse glaubhaft in Liebe, die sich letztendlich jedoch als naives Gefühl herausstellen soll.

Sie verliert ihr persönliches Match nicht nur gegen die Ehefrau des Russen (Ann Mandrella als Svetlana Sergievskaya), sondern auch gegen die Machenschaften im Kampf der Systeme. Der wahrhaft russische Bass Georgij Makazaria betreut als Alexander Molokov seinen Schützling und lässt seinem Gegner Walter de Courcey (Boris Pfeifer) von der amerikanischen Delegation die Kälte eines sowjetischen Apparatschiks spüren. Für Ordnung auf und neben dem Schachbrett ist Reinwald Kranner in der Funktion des Schiedsrichters zuständig und lässt in einem Song stimmgewaltig keinen Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen. Mark Seibert ist der russische Hoffnungsträger Anatoly Sergievsky, der sich nach seinem Sieg allerdings für den Westen entscheidet. Die Gags, mit denen ihn Frederik Trumper zu irritieren versucht, prallen an ihm ab. Er gewinnt die WM in Merano. Drew Sarich ist der geschlagene Gegner, der erstmals aufgeben muss. Seine Stimme hat Urgewalt und vor allem unfassbare Höhen, mit denen er seine Verzweiflung hinausschreit und so das Premierenpublikum zu stürmischem Beifall von den Sitzen reißt.

Georgij Makazaria, Ann Mandrella, Reinwald Kranner © Christian Husar

Georgij Makazaria, Ann Mandrella, Reinwald Kranner © Christian Husar

Thomas Weinhappel, Ensemble © Christian Husar/Bühne Baden

Thomas Weinhappel, Ensemble © Christian Husar/Bühne Baden

TOSCA Ein Adieu mit großer italienischer Oper

Natalia Ushakova, Eric Reddet © Christian Husar/Bühne Baden

Natalia Ushakova, Eric Reddet © Christian Husar/Bühne Baden

Begeisterung für eine tiefe Verbeugung vor Giacomo Puccinis Meisterwerk

Es sind politisch höchst unsichere Zeiten. Der Versuch einer Republik war gewaltsam beendet worden und deren Protagonisten werden grausam verfolgt. In der Stadt herrscht Polizeiterror als Folge des Einmarsches der neapolitanischen Armee unter König Ferdinand IV. Er ist mit einer Tochter Maria Theresias verheiratet und steht noch im Eindruck der Hinrichtung von deren Schwester Marie-Antoinette im Zuge der französischen Revolution. Das Schicksal der Stadt Rom hängt nun vom Ausgang einer Schlacht zwischen Österreich und Napoleon ab (Marengo, 14. Juni 1800). Das Kriegsglück pendelt eine Weile zwischen den Heeren. Genau in diesem Hin und Her, beherrscht von Hoffen und Bangen auf Seiten der Republikaner, spielt das Drama La Tosca von Victorien Sardou, das Giuseppe Giacosa und Luigi Illica für den Komponisten Giacomo Puccini zu einem zutiefst italienischen Libretto geformt haben. Die Handlung selbst ist frei erfunden, bewegt aber bis heute die Menschen, da es um den zeitlosen Einsatz für Freiheit geht, verbunden mit Melodien, die das Herz ergreifen.

Beppo Binder, Gumpoldskirchner Spatzen © Christian Husar/Bühne Baden

Beppo Binder, Gumpoldskirchner Spatzen © Christian Husar/B. Baden

Eric Reddet © Christian Husar/Bühne Baden

Eric Reddet © Christian Husar/Bühne Baden

Es ist ein mutiges Unterfangen, eine Oper wie Tosca in einem für diese Verhältnisse doch kleinen Haus auf den Spielplan zu setzen. Michael Lakner, scheidender Intendant der Bühne Baden, hat selbst die Regie übernommen und seinem treuen Publikum ein Abschiedsgeschenk überreicht. Nach den ihm gebotenen Möglichkeiten hat er das absolute Optimum herausgeholt. Das betrifft zuerst einmal die Inszenierung. Lakner hat sich treu an das Original gehalten, sogar in der Sprache, wohl wissend, dass Italienisch zwar kaum verstanden wird, aber doch ein wesentlicher Teil der Musik ist. Eine kurze Inhaltsangabe aus dem Off vor jedem Akt genügt vollkommen, um die Handlung verfolgen zu können. Manfred Waba brauchte in der Ausstattung nicht zu sparen und hat ein bewundernswert authentisches Bühnenbild geschaffen, angefangen von der Kirche Sant´Andrea della Valle über den Palazzo Farnese bis zum Schwert schwingenden Erzengel Michael über der nach ihm benannten Engelsburg. Ebenso an die Zeit gehalten hat sich Alexia Redl, die vom Bischofsornat bis zu den Uniformen der Schweizer Garde bis ins Detail stimmige Kostüme entworfen hat.

Thomas Weinhappel, Beppo Binder © Christian Husar/Bühne Baden

Thomas Weinhappel, Beppo Binder © Christian Husar/Bühne Baden

Russi Nikoff © Christian Husar/Bühne Baden

Russi Nikoff als Caesare Angelotti © Christian Husar/Bühne Baden

Eine noch größere Herauforderung sind wohl die Solistinnen und Solisten. Opernfreunde haben bei Cavaradossi oder Tosca die größten Stimmen im Ohr. In Baden wurde für die ewig eifersüchtige und doch innig liebende Sängerin die Sopranistin Natalia Ushakova verpflichtet. Mit gewaltigem spielerischen Einsatz, (trotz angesagter Probleme) sicherer Stimme und einem zu Herzen gehenden „Vissi d´arte“ (Ich habe für die Kunst gelebt) hat sie sich den Jubel verdient, der ihren Auftritt belohnt hat. Mario Cavaradossi muss sich im ersten Akt mit dem Mesner herumschlagen.

Beppo Binder ist Komiker und lässt diese Stärke auch seinem hinkenden Kirchendiener im Kreise der Gumpoldskirchner Spatzen als Ministranten angedeihen. Er mag den Maler nicht, obgleich er ihm – höchst widerwillig – Palette und Farben reichen muss. Cavaradossi wird in der Folge gefoltert und erschossen. Doch ein paar Momente vor dem Tod seines Helden darf Eric Reddet noch „E lucevan le stelle“ (Und es blitzten die Sterne) beeindruckend in den dramatischen Nachthimmel über Rom schmettern. Schuld am allgemein letalen Ausgang ist der gewissenlose Polizeichef. Er geht über Leichen, nur um die schöne Tosca ins Bett zu bekommen. Thomas Weinhappel hat nicht nur die entsprechend imponierende Erscheinung, mit der Scarpia Angst und Schrecken verbreitet, er hat auch den kraftvollen Bariton, um sich sowohl gegen aufmüpfiges Volk (Chor der Bühne Baden) als auch gegen ein druckvolles Orchester unter der Leitung von Michael Zehetner durchzusetzen und sich damit einmal mehr für Engagements an großen Opernbühnen zu empfehlen.

Natalia Ushakova © Christian Husar/Bühne Baden

Natalia Ushakova © Christian Husar/Bühne Baden

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