Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Renate Bertlmann, Urvagina (1978), Courtesy Renate Bertlmann

Renate Bertlmann, Urvagina (1978), Courtesy Renate Bertlmann

RENATE BERTLMANN Fragile Obsessionen in zärtlichem Latex

RENATE BERTLMANN Fragile Obsessionen, Ausstellungsansicht

RENATE BERTLMANN Fragile Obsessionen, Ausstellungsansicht

Die umfassende Retrospektive einer spät entdeckten Künstlerin zum 80. Geburtstag

„Amo ergo sum“ ist das in drei Worte gefasste Programm von Renate Bertlmann. Der Philosoph René Descartes war ihr mit „cogito ergo sum“ nicht weit genug gegangen. Zuviel Kopf, zu wenig Körper, von der Seele gar keine Rede. Bertlmann versuchte diese drei Parameter unseres Daseins in ihrer Kunst unter einen Hut zu bringen und verortete dafür ihr gesamtes Œuvre in der Trinitatis von Pornografie, Ironie und Utopie. Was sonst als patriarchalische Wertvorstellungen sollen damit bloßgestellt werden?! Bertlmann ist also eine Feministin vom alten Schlag, die ihren Widerstand gegen praktische Gegner wie Männer, Kirche und deren immanenter Lieblosigkeit mit mutiger Ironie richtet und hergekommene klassische weibliche Rollenbilder zertrümmert. Schon früh erkannte sie den Unterhaltungswert von Dildos, Präservativen und Vaginen aus Latex. Wenn diese Artikel aus dem Sexshop mit einem Letzen Abendmahl, Altären und Bischofsmützen kombiniert werden, wäre moralische Entrüstung zu erwarten. Die Empörung hält sich allerdings in Grenzen. Der erotische Kunstfaktor ist mit einer gehörigen Portion Spaß verbunden und würde auf der Stelle jeden sittlich aufgebrachten Kritiker als humorlosen Philister bloßstellen.

RENATE BERTLMANN Fragile Obsessionen, Ausstellungsansicht

RENATE BERTLMANN Fragile Obsessionen, Ausstellungsansicht

Desert, 1999, Godemichés, Plastik, Holz, Plexiglas

Desert, 1999, Godemichés, Plastik, Holz, Plexiglas

Ihren großen Durchbruch hatte die 1943 in Wien geborene Künstlerin 2019. Sie war die erste Frau, die den österreichischen Pavillon der 58. Biennale di Venezia im Alleingang bespielte. Den nächsten Meilenstein ihrer Karriere stellt nun die bislang umfassendste Retrospektive im Belvedere 21 dar. Unter dem Titel “RENATE BERTLMANN. FRAGILE OBESSIONEN“ (bis 3. März 2024) wird ein guter Teil der im Lauf ihres Lebens entstandenen 5.000 Werke vorgestellt.

Das Plakat zieren die „Messerschnullerhände“ (1981). Auf den Fingern stecken Kondome mit eingearbeiteten Klingen, die als Experiment in weiblicher Wehrhaftigkeit schon beim Hinschauen männliche Avancen zu einem absurden Angehen erklären, ebenso wie die Metallspitze im linken Busen von „Ex Voto“ (1985) mit der klaren Botschaft: Finger weg von den Brüsten! Im Tableau „Zärtliche Berührungen“ (1976/2009) schmusen deshalb aufgeblasene Präservative miteinander und die Reliquie des Hl. Erectus ist nichts anderes als ein Glied aus Kunststoff in einem frommen Rahmen. Der Klerus, angesprochen als Theologen, wird in einem ihrer Schlüsselwerke aufgefordert, endlich etwas von Zärtlichkeit zu erzählen. Wir warten bis heute vergeblich darauf. Bertlmann selbst hat keine Berührungsängste mit Kitsch und feiert ihn als lustvollen Tabubruch, nicht ohne die Ironie als subtile Erklärung mitzuliefern. Damit wird diese Schau zur späten Begegnung mit einer Frau, die mit den ihr zugeschriebenen Obsessionen über Jahrzehnte Botschaften geschaffen hat, die auf höchst ungewöhnliche Weise irritierendes Schauvergnügen bereiten.

 Renate Bertlmann, Zärtliche Pantomime 4, 1976  Courtesy Renate Bertlmann  © Renate Bertlmann

Renate Bertlmann, Zärtliche Pantomime 4, 1976 Courtesy Renate Bertlmann © Renate Bertlmann / Bildrecht, Wien 2023

Belvedere 21 Logo 250

Statistik