Kultur und Weindas beschauliche MagazinChristoph Luser, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Itay Tiran, Mavie Hörbiger, Lili Winderlich © Matthias Horn DER MENSCHENFEIND Ein weinerlich verliebter Rechthaber Marie und Alexander Urban von URBAN SCENTS haben für Martin Kušejs Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind“ einen exklusiven Duft kreiert. Ihr olfaktorischer Beitrag trägt die geheimnisvolle Bezeichnung „LE MISANTHROPE À LA FERME“ und soll wohl über die Nase einen Eindruck von den Parfums der oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft vermitteln, gegen die Alceste so energisch ankämpft. Also, Geruchsbelästigung ist es keinesfalls, eher erinnert es an eine ins Schwitzen gekommene Dame, die sich für den Besuch des Burgtheaters fein gemacht hat. Es handelt sich dabei um eine der Regieideen, mit denen die Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger bereichert wurde. Deren kurze Zweizeiler nach dem Motto „Reim dich, oder ich fress´ dich!“ stellen das Ensemble vor das Problem, nicht in lächerliches Leiern zu verfallen. Die Bühne ist schwarz, mit durchscheinenden Kunststoffwänden unterteilt und vorne mit einem seichten Wasserbecken für unmotiviertes Plantschen ausgerüstet. Dahinter weben Scharen von Komparsen in düsterer Partystimmung. Davor arbeiten die Hauptpersonen in „halbszenischer“ Weise mit bescheidenen Anklängen an die Gegenwart ihren Molière ab. Die Damen Èliante (Lili Winderlich) und Arisnoé (Alexandra Henkel) müssen sich von Marvie Hörbiger als Célimène in treffendem Zynismus verarschen lassen. Sie steht im Gegensatz zu den anderen Frauen zu ihrer selbstbewusst lasziven Lebensweise, mit der sie die Männerwelt auf den Kopf stellt. In einem Rundbrief an ihre Verehrer Clitandre (Lukas Vogelsang), Acaste (Tilman Tuppy) und den Möchtergern Poeten Oronte (Markus Meyer) verspottet sie die Herren, einschließlich ihr Herzblatt Alceste, der aber der einzige ist, der sich nicht von ihr abwendet. Sein Credo ist die brutale Wahrheit, das rücksichtslose Urteil über die anderen, ohne sich um Beliebtheitswerte zu kümmern. Sogar Philinte (Christoph Luser) scheitert mit dem Versuch, seinem Freund Vernunft und Diplomatie beizubringen. Die einzige, die unter Umständen die Möglichkeit dazu hätte, ist Célimène. Alceste ist ihr verfallen, bis zur Verzweiflung und Weinerlichkeit über diese Schwäche. Als sie sich im Finale weigert, mit ihm in eine menschenleere Einsamkeit zu ziehen, bleibt Alceste nur mehr das Klavierspiel, das Itay Tiran grandios beherrscht und diesem Stück damit einen beeindruckend musikalischen Rahmen von Präludium und Ausklang verleiht. Maximilian Pulst © Matthias Horn DIE NEBENWIRKUNGEN einer selbstauferlegten Sprachlosigkeit
Jonathan Spector, ein US-amerikanischer Autor, dürfte über eine gewaltige prophetische Ader verfügen, oder war es das Theater in Berkely, Kalifornien, das ihn 2016 zu diesem Stück beauftragt hat. Jedenfalls hat er einige Jahre vor dem Auftreten des „China-Virus“ (© Donald Trump) die Hilflosigkeit vorausgesehen, die mit einer solchen Infektionswelle die Spalten in der Gesellschaft noch tiefer auswäscht, als sie ohnehin schon zwischen den Menschen klaffen. „Die Nebenwirkungen“ einer Mumpsepidemie bringen eine Privatschule ordentlich in die Bredouille. Soll man schließen, wenn ja, wie lange, und dürfen Kinder, die nicht MMR (Masern, Mumps, Röteln) geimpft sind, vom Erscheinen in der Klasse ausgeschlossen werden? Da sich das Lehrpersonal und die Verantwortlichen einem rigiden Kodex in korrekter, bzw. woker Ausdrucksweise unterworfen haben, fallen die Diskussionen entsprechend umständlich aus, besser gesagt, es ist unmöglich, irgend eine Meinung darzulegen, ohne den Auftrag des Genderns, der ethnisch unbelasteten Beschreibung der jeweiligen Herkunft oder weltanschauliche Gefühle zu verletzen; und machen „Entschuldigung!“ zum wichtigsten Wort des Abends.
So besehen stehen sich in der Übersetzung von Frank Heibert die fünf Protagonisten sprachlich selbst auf den Zehen. Regisseur Jan Philipp Gloger verortet das verbale Geschehen in ein Klassenzimmer, besser gesagt, in einen Kreis von Sesseln vor einer Tafel, auf der Markus Hering als Don den Oberlehrer mit der Kreide mimen darf. Als Vorsitzenden dieses auf Konsens basierenden Gremiums bleibt ihm nicht mehr als die sanfte Moderation zwischen diversen Ansichten, die sich, so kristallisiert sich immer deutlicher heraus, um den Impfzwang drehen.
Meike Droste, Marie-Luise Stockinger, Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Langston Uibel, Gunther Eckes © Matthias Horn EIN SOMMERNACHTSTRAUM Irre Verwirrungen auf dem Autofriedhof
Der Wald von Athen hat zwar für Liebespaare einen speziellen Zauber. Regisseurin Barbara Frey missbraucht ihn dennoch kaltherzig als Lagerstätte ausgedienter Autowracks und schafft damit eine illegale Deponie von Altlasten, die sich gleichermaßen auf Sperrmüll, Geister und Sterbliche bezieht. William Shakespeare selbst hat das dunkle Reich zwischen den Bäumen zu einer Begegnungsstätte von Elfen und Menschen reduziert. Dessen einzige, sehr unzuverlässige Beleuchtung ist der Mond, ein Himmelskörper, der an sich im Verdacht steht, für allgemeine Verrücktheiten zu sorgen. So wird es möglich, dass Oberon und ein Kobold namens Puck mit magischen Liebestropfen ihre Späße treiben können. Und die haben es in sich. Die edle Feenkönigin Titania verliebt sich unsterblich in einen Esel und zwei problematische Paare werden abwechselnd heiß und kalt durcheinander gewürfelt. Um dieses Tohuwabohu zu lösen, hilft nur mehr der Traum, über den die Betroffenen am Ende irritiert sinnieren. Es ist eben nichts als „A Midsommer nights dreame“, den keiner wahrhaben muss, aber dennoch nicht einfach vergessen kann.
Wenn das Burgtheater sich eines derart oft gespielten Stücks annimmt, ist zur Recht Besonderes zu erwarten. Aus einer stringent ruhigen Personenführung und extrem abgekühlter Spielweise erwächst eine Komik, die jeden Gag, jede Pointe auf erstaunliche Weise unterstreicht.
Norman Hacker, Barbara Petritsch, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç, Daniel Jesch, Branko Samarovski, Sofi Gavril, Regina Fritsch © M. Horn DREI WINTER Dramatische Zeitreise durch Kroatien
Die 1977 geborene Tena Štivičić macht in ihrem Theaterstück „Drei Winter“ vieles verständlich, das uns als beinahe Nachbarn trotz vieler persönlicher Bekanntschaften mit in Wien lebenden Kroaten und beliebter Urlaube an deren Stränden nicht wirklich bewusst ist. Man könnte sagen, geht mich nichts an! Doch sobald sich der Vorhang des Burgtheaters hebt, hat sich anfängliches Desinteresse in Neugier verwandelt, bis zur Anteilnahme am Leben dieser Menschen, deren Schicksale sich trotz geographischer Nähe zu Österreich doch gründlich von den unseren unterscheiden. Grund für diese Wandlung im Publikum ist weniger der Text als die Inszenierung. Hausherr Martin Kušej hat selbst Regie geführt. Er gehört von seiner Herkunft der Minderheit der Kärntner Slowenen an und hat damit den entsprechend tiefen emotionalen Zugang zu dieser Geschichte. Aus den dreien macht er mit der ersten Projektion vier Winter, wenn er in erschütternden Aufnahmen den aktuellen Krieg in der Ukraine erschreckend spürbar werden lässt.
Tena Štivičić selbst hat diese Rückschau auf die Geschichte ihrer Heimat in der kalten Jahreszeit von drei für Kroatien entscheidende Jahre angelegt. Zagreb, 1945: Die Partisanin Ruža zieht mit Mutter Monika, Ehemann Aleksandar und dem Baby Mascha in ein Haus, das verstaatlicht und aufgeteilt wurde. Dort trifft die kleine Familie auf eine Daheimgebliebene, die Tochter eines aristokratischen Nazikollaborateurs. Karolina Amruš darf bleiben und dem Mann, einem Schneider, bei der Arbeit helfen. Schauplatz bleibt das ganze Stück hindurch diese Wohnung.
Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn DIE GEFESSELTE PHANTASIE Harfenist Nachtigall rockt die Burg Wenn Poeten unter einer Schreibblockade leiden, wer ist daran schuld? Ferdinand Raimund hat eine Antwort darauf gegeben. Jedoch, diese ist in einem Reich außerhalb unserer Vernunft angesiedelt, auf einer Blumeninsel, auf der dank einer ausschließlich dichtenden Bevölkerung eitel Wonne und Waschtrog herrschen. Dort gibt es Geister wie die beiden bösen Zauberschwestern, Lichtgestalten wie den Gott Apollo und die allseits allein seligmachende Phantasie. Die finsteren Kräfte sind glatt imstande, diese positive Kraft zu bannen und das Reich an den Rand des Untergangs zu führen. Gerettet wird das Eiland nur durch die Heirat der Königin, so sagt es das Orakel. Deren Auge ist auf den armen Hirten gefallen, der beim Aufpassen auf die Schafe zu Herzen gehende Gedichte schreibt. So mir nichts dir nichts will sie sich aber doch nicht binden und schreibt eine Art Song Contest aus. Das beste Poem wird ihre Hand, ihr Herz und die Krone gewinnen. Wie das Original-Zauberspiel ausgeht, ist kein Geheimnis, aber vor dem letzten Votum wird es noch einmal spannend. Die bösen Schwestern haben den versoffenen Nachtigall, seines Zeichens Harfenist in einem Wiener Wirtshaus, als Bräutigam engagiert. Nachdem sich die Phantasie in ihrer Gewalt befindet, ist er der einzige Kandidat und somit müsste es heißen: And the winner is...
Herbert Fritsch ist zwar Deutscher, hat aber genügend österreichischen Humor, um in diesem Feen- und Zauberreich über zwei Stunden und 15 Minuten eine virtuose Spaßgesellschaft ihre ausgelassenen Schwänke treiben zu lassen. Der Regisseur, Bühnengestalter und Musikchef kann sich auf ein Ensemble verlassen, das sich für keine Blödelei zu gut ist und über ein wahnwitziges Repertoire an verrückten Bewegungen verfügt. Was irgendwie zum Lachen reizt, wird angewendet. Tim Werths macht nicht nur als poetische Phantasie bella figura, er beherrscht zudem die ans Artistische grenzenden Silly Walks, wie man sie in der Qualität zum letzten Mal bei John Cleese gesehen hat. Jeweils eine Solonummer mit Sonderaplaus haben Markus Scheumann als Hofnarr Muh, wenn er eine ganze verrückte Rede auch von hinten aufsagt, und Sebastian Wendelin.
Statistik |