Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Blumenschmuck im Geymüllerschlössel anlässlich Showcase

Blumenschmuck im Geymüllerschlössel anlässlich (Con)temporary Fashion Showcase

MODE & BIEDERMEIER (Con)temporary Fashion Showcase???

Objekte von Julia Koerner in (Con)temporary Fashion Showcase

Objekte von Julia Koerner in (Con)temporary Fashion Showcase

Der 3D-Drucker, die neue Nähstube und seine Künstlerin

Eine Fahrt mit dem 41er nach Pötzleinsdorf ist fast schon eine Zeitreise, eine Landpartie, um dem Gedränge der Großstadt zu entfliehen. Erklimmt man den kurzen Aufstieg von der Endstation bis knapp vor der Kirche, muss man schon Glück haben, um einem Auto zu begegnen. An der Kreuzung rechts geht´s hinein in einen Park mit einem wundersamen Dornröschenschloss. So wenig sich äußerlich verändert hat – abgesehen vom armseligen Stumpf eines einst mächtigen und Schatten spendenden Baumes –, so gut hat sich auch das Interieur erhalten. Das Ambiente mit Wandmalereien, Leuchtern und Originalmöbeln lässt die Gegenwart vergessen. Man verbeugt sich vor Herrn Johann Jakob Geymüller, einem stinkreichen Bankier, und seinem Nachfolger, dem nicht weniger betuchten Großindustriellen Isidor Mautner, denen wir dieses biedermeierliche Kleinod zu verdanken haben. Dass es so aussieht, wie man es heute antrifft, ist jedoch das Verdienst von Franz Sobek, der die Beinaheruine für seine Uhrensammlung wieder auf Hochglanz gebracht hat. Seit geraumer Zeit ist es Spielort des MAK, das mit behutsamen Ausstellungen Besucher in die Vorstadt herauslockt.

Lulia Koerner an einem ihrer Objekte

Lulia Koerner an einem ihrer Objekte

HY Clutch im biedermeierlichen Ambiente

HY Clutch im biedermeierlichen Ambiente

Mit MAK-Generaldirektorin Lilli Hollein haben die Frauen das Kommando übernommen. Gekommen um zu bleiben ist die Mode, der man mit dem geheimnisvollen Titel „(Con)temporary Fashion Showcase“ künstlerischen Tiefgang verleihen will. Es geht um aktuelles Design, das zu einem Diskurs über zeitgenössische Strömungen führen soll. Für dieses Jahr sind zwei Damen vorgesehen, Modeschöpferinnen, die ihre Ideen präsentieren, und – man lese und staune – ein Mann.

Jojo Gronostay wird eine Videoinstallation zeigen, die sich mit „Sapeurs“, den Designerklamotten tragenden Männern und Frauen von Brazzaville (Republik Kongo) beschäftigt und Mode damit auch zu einem Ethnothema macht.

 

Am Beginn steht jedoch Julia Koerner, die unter anderem Handtaschen auf dem 3D-Drucker herstellt. Die Linien heißen HY Clutch und HY Mini. Sie sehen ganz bewusst aus wie Badeschwämme, hinter deren Lamellen sich angeblich genügend Raum für den unentbehrlichen Inhalt des berühmten Taschls befindet. Zu bewundern sind die vom Hymenium, dem Fruchtlager eines Pilzes, inspirierten Kreationen auf Objekten der Lamella Series. Dabei handelt es sich um verschieden hohe Podeste, die wie auch die Handtaschen aus Pflanzen basierenden Polymeren bestehen und biologisch abbaubar sind. Komplettiert wird die organische Modeschau mit Entwürfen für Kleidung wie „Venus lower Basket Sponge“, dem „Setae Jacket“ und der aus 38 Teilen bestehenden „Arid Collection“, die von ihrer Trägerin in unterschiedlichsten Kombinationen arrangiert werden kann.

Julia Koerner, ARID Collection © Ger Ger

Julia Koerner, ARID Collection © Ger Ger

Geymüllerschlössel mit Arbeiten von Erwin Wurm im Vordergrund

DISSOLUTION Wurm-Monster im Geymüllerschlössel gelandet!

MAK-Ausstellungsansicht, 2021 ERWIN WURM. Dissolution © Bildrecht, Wien 2021 Foto: Aslan Kudrnofsky/

Performative Gesten und anthropomorphe Skulpturen im feudalen Ambiente

Erwin Wurm hat es mittlerweile so weit gebracht, dass man ihm alles das als große Kunst abnimmt, was seinem konzeptuellen Schalk entspringt. Er darf sich über die Kirche lustig machen und dem Stephansdom eine Wärmeflasche vor die Tür stellen und zur Fastenzeit ein rosa Leiberl vor den Hochaltar hängen. Mit verstecktem Grinsen genießt er die fromme Interpretation seitens der Geistlichkeit, die beim Thermophor unbedarft von menschlicher Wärme spricht, ohne auf die im Wienerischen weithin bekannte Metapher für Ehschonwissen zu verfallen, obwohl dasselbe ohnehin im Pink des Fastentuchs mit dem Holzhammer vorgeschlagen wird. Man will Wurm auch nicht verstehen, wenn er sich als Gurke selbst porträtiert. Kaum jemand ist es bis jetzt aufgefallen, dass es sich dabei um genau dieses Gemüse handelt, das den vor ihm auf den Bauch gefallenen Bewunderern gnadenlos in den dabei oben liegenden Körperteil geschoben wird. Die Szene liebt es anscheinend, mit masochistischer Unterwürfigkeit in beleidigenden Blödeleien zu baden.

Ausstellungsansicht, 2021 ERWIN WURM. Dissolution © Bildrecht, Wien 2021 Foto: Aslan Kudrnofsky/MAK

Im Geymüllerschlössel wird der Künstler noch um einen Schritt deutlicher. Versteckt im englischen Wort „Dissolution“ ergeht er sich in Auflösung, Verfall, Zerstörung oder Entgrenzung, wenn er amorphe Tongebilde als anthropomorph bezeichnen lässt. Dank der Formulierungskraft wortgewaltiger Kuratoren eröffnet Erwin Wurm in dieser Serie einen „Dialog zwischen einem fragilen, soziopolitisch konnotierten Material, zeitgenössischer Skulpturensprache und der Neuinterpretation des Malerischen durch oszillierende keramische Lasuren.“ Die diesen seltsamen Gestalten entspringenden Finger, Hände, Lippen, Münder, Busen, Bäuche, Nabel, Nasen oder Ohren werden, so betrachtet, zu „experimentellen, surrealen Gebilden aus isolierten Körperteilen und Sinnesorganen“, die ein Eigenleben gewinnen und deren Volumina eine expressive Präsenz entwickeln.

Ausstellungsansicht, 2021 ERWIN WURM. Dissolution © Bildrecht, Wien 2021 Foto: Aslan Kudrnofsky/MAK

Die Genius loci dieses Schlössels in Pötzleinsdorf nimmt ihm derlei Anzüglichkeiten keineswegs übel. Er ignoriert sie einfach. Immerhin hat dieses ansprechende Sammelsurium an Baustilen und nobler Meubelage schon ganz andere Tage erlebt. Das vom wohlhabenden Johann Jakob Geymüller 1808 in einer Mischung aus gotischen und orientalischen Elementen errichtete „Lustgebäude“ ging durch etliche Besitzerhände. So wird von einem gewissen Johann Heinrich von Falkner-Geymüller erzählt.

Er hätte sein Vermögen verprasst und damit in Ferdinand Raimunds „Verschwender“ literarische Unsterblichkeit erlangt. Da Tuchhandel nicht immer mit betucht gleichzusetzen ist, musste der Textilindustrielle Isidor Mautner sein Refugium 1929 an die Österreichische Nationalbank verpfänden. Es gab im Laufe der Geschichte Hypotheken, Arisierung und einen Baumbewuchs auf dem ramponierten Dach, bis der Direktor der Staatsdruckerei Franz Sobek der Republik Österreich den Kaufpreis in Devisen vorschoss. Er erhielt dafür ein lebenslanges Wohnrecht. Von ihm stammt auch die grandiose Uhrensammlung, über die sich das MAK als derzeitige Verwalterin freuen darf. Als dessen Außenstelle kann das Geymüllerschlössel nun bis 5. Dezember 2021 jeweils Samstag & Sonntag von 11:00 bis 18:00 Uhr besucht werden – im Zuge eines empfehlenswerten Ausflugs in schönstes Biedermeier, dem heuer mit Erwin Wurm ein nicht unbeachtlicher Kontrapunkt entgegengesetzt wurde.

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