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das beschauliche Magazin


EGON SCHIELE Dem genialen Maler in die Seele schauen

Egon Schiele, Buch, Cover

Neuauflage der monumentalen Monografie 48 Jahre nach der ersten Erscheinung

Rudolf Leopold (1925-2010) darf ohne Übertreibung als der Spezialist für Egon Schiele (1890-1918) bezeichnet werden. Er hat dessen überragendes Können bereits früh entdeckt und zu Sammeln begonnen, zu einer Zeit, als der Name Schiele auf dem Kunstmarkt noch als Randnotiz betrachtet wurde, als auf internationalen Versteigerungen die radikale Strichführung, der emotionale Umgang mit den Farben und die komplexe Komposition seiner Werke noch kaum gewürdigt wurden.

Als man schließlich darauf aufmerksam wurde, hatte Rudolf Leopold längst die größte Sammlung von dessen Œuvre zusammengetragen. Damit war offenbar auch eine Verpflichtung entstanden, Ordnung und Übersicht in den noch wenig bearbeiteten Bestand zu bringen. 1972 erschien die monumentale Monografie „Egon Schiele. Gemälde – Aquarelle – Zeichnungen“, ein etliche Kilo schweres Buch, das jedoch in kürzester Zeit vergriffen war. Es dauerte beinahe in halbes Jahrhundert, bis auf Initiative seiner Witwe Elisabeth Leopold die zweite Auflage erschienen ist und von ihr Mitte Dezember 2020 im Leopold Museum präsentiert werden konnte. Dieses Buch enthält nun alles, was Rudolf Leopold selbst noch an Änderungen anbringen hatte wollen.

So wurden die von ihm gemachten handschriftlichen Aufzeichnungen zur Überarbeitung des Textes eingearbeitet, das Bildmaterial wurde aktualisiert, die Provenienzforschung auf den letzen Stand gebracht und die Standorte der Werke im Tafelteil ergänzt. Der Werkkatalog von Schieles Gemälden ist damit durchgängig mit Abbildungen versehen und macht die vom Autor erarbeitete Chronologie visuell erlebbar. Gleich geblieben ist das von Walter Pichler (1936-2012) gestaltete grafische Design des Bandes.

Das Sammlerehepaar Rudolf und Elisabeth Leopold, fotografiert von Walter Henisch
Egon Schiele, Selbstbildnis mit Lampionfrüchten, 1912, Tafel 103, S.235

Der Leser/Betrachter wird Gemälde für Gemälde, Aquarell für Aquarell, Zeichnung für Zeichnung in das Wunder Schiele eingeführt. Getragen wird das Buch von einer klaren Struktur. Leopold hat beim Studium der Werke fünf große Abschnitte in der Malweise Schieles festgestellt. So beginnt die kunstvolle Lesereise nach einer ausführlichen Einleitung mit den frühen Jahren. Gemeint ist damit die Zeit von 1906 bis 1909. Der später so radikale Expressionist war noch in Jugendstil und Secession verhaftet, aus denen er sich erst 1910 befreit hat. Dieser Abschnitt ist mit „Aufbruch und Provokation“ betitelt.

Er beschreibt den Weg zur Ausdruckskunst, zu einer Seelenmalerei, die Schieles Werken ihre unvergleichliche Faszination verleiht. Zwischen 1911 und 1912 entdeckte Rudolf Leopold einen Zug zu „Melancholie und Lyrik“, die von einer, wie er es bezeichnet, schlafwandlerischen Linienführung und einer nicht zu übersehenden Todesahnung begleitet ist. Für die Jahre 1913 bis 1916 wird Schiele die „Gefestigte Form“ zugestanden. In seinen Bildern dominieren Hoffnungslosigkeit und Schwermut, die z. B.in „Entschwebung“ oder „Tod und Mädchen“ spürbar zum Ausdruck kommen.

Die 1917 und 1918 angewendete „Weiche Linie und malerische Durchführung“ kommt nicht ohne kritische Bemerkungen aus. Es werden neben Manierismen auch Einflüsse von Ferdinand Hodler geortet und immer wieder schematisches Malen. Leopold formuliert es ungewöhnlich drastisch: Virtuosentum hat schöpferisches Ringen um die Bewältigung der bildnerischen Aufgaben ersetzt. Dennoch ist gerade damals eines der wohl am meisten berührenden Bilder entstanden, eine Zeichnung von seiner sterbenden Frau Edith, die wie er an der Spanischen Grippe erkrankt war und drei Tage vor ihm verschieden ist.

Egon Schiele, Haus mit Schindeldach, 1915, Tafel 182, S. 397
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