Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Michael von Au (Willi), Anika Pages (Winnie) © Rita Newman

Michael von Au (Willi), Anika Pages (Winnie) © Rita Newman

BECKETT & FEYDEAU Einig über die Absurdität eines Ehebetts

Johanna Mahaffy, Tobias Reinthaller, Michael von Au, Anika Pages © Rita Newman

Ensemble © Rita Newman

Glückliche Tage & Herzliches Beileid zu einer „Traumgeschichte“ kombiniert

Die Theatergröße Dieter Dorn hat in zwei augenscheinlich so unterschiedlichen Dramen das versteckte Gemeinsame erkannt. Samuel Beckett, der Meister der irritierenden Sinnenthebung, hat in „Glückliche Tage“ eine Ehefrau im Ehebett gefangen genommen. Mit dem schrillem Ton einer Türglocke beginnt und endet jeweils das „Tagwerk“ von Winnie, die in wortreichen Selbstgesprächen voller Banalität allmählich bis zum Hals in den Matratzen versinkt. Ob der fallweise hörbare Gesprächspartner namens Willi tatsächlich oder nur in ihrer Fantasie existiert, bleibt offen. Aber sie scheint glücklich zu sein, schwärmt von „großen Gnaden, großen Gnaden“ und dem wunderbaren „alten Stil“. Das Klingeln weckt schließlich auch Yvonne, die Gattin von Lucien. Es wirkt wie die Erlösung aus einer absurden Traumsequenz, wenngleich in der Folge sehr reale zwischenmenschliche Probleme zur Sprache kommen. Georges Feydeau lässt in „Herzliches Beileid“ eine vernachlässigte Frau und deren vergnügungssüchtigen Gemahl aufeinander prallen. Die durch sein Verhalten angewachsenen Schulden wären mit einem Schlag getilgt, wenn seine betuchte Schwiegermutter tatsächlich das Zeitliche gesegnet hätte. Wieder ist der Schauplatz der Auseinandersetzung das Ehebett mit allen seinen Gefahren, die zwischen den Pfühlen lauern.

Anika Pages (Winnie) © Rita Newman

Anika Pages (Winnie) © Rita Newman

Tobias Reinthaller, Michael von Au © Rita Newman

Tobias Reinthaller, Michael von Au © Rita Newman

Dieter Dorn schickt die Frau, grandios und souverän von Anika Pages dargestellt, ins Bett, um sie dort als Winnie in seltsamer Seligkeit parlieren und von Lucien wecken zu lassen. Dabei handelt es sich um den bei Beckett hinter einem Bild versteckten Willi (Michael von Au), der nun im Kostüm des Sonnenkönigs von einem Künstlerball heimkehrt. Er hat sich überfressen und kann gerade noch verhindern, dass sich sein Magen auf offener Bühne entleert. Dank des vom Dienstmädchen Annette (Johanna Mahaffy) zubereiteten Kamillentees renkt sich sein Verdauungsapparat ein, wird aber bald darauf wieder auf eine harte Probe gestellt. Denn in selbiger Nacht läutet Tobias Reinthaller als Diener Joseph an der Tür Sturm. Seine Nachricht, dass die Mutter von Yvonne verstorben ist, hat die Ohnmacht der Tochter zur Folge. Beim Schwiegersohn weckt sie aber gesteigerte Aktivität, die sich schlussendlich als verhängnisvoller Unsinn herausstellt und das Publikum nach teils ratlosem Zuhören bei den absurden Monologen Becketts ob dieser menschlich allzu verständlichen Querelen mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht entlässt.

Johanna Maffay (Annette) © Rita Newman

Johanna Maffay (Annette) © Rita Newman

Michael vn Au, Anika Pages, Tobias Reinthaller © Rita Newman

Michael vn Au, Anika Pages, Tobias Reinthaller © Rita Newman

Ensemble © Philine Hofmann

Ensemble © Philine Hofmann

SOMMERGÄSTE vergeuden lustvoll Zeit und Leben

Martina Stilp, Alexandra Krismer © Philine Hofmann

Martina Stilp, Alexandra Krismer © Philine Hofmann

Ein russisches Gesellschaftsbild aus 1900 und die Frage nach dem Sinn des Daseins

Maxim Gorki entfachte 1904 mit seinem neuesten Stück einen Skandal. Das Publikum in St. Petersburg war erbost, weil es auf gnadenlose Weise darin vorgeführt wurde. Wer saß da in den Reihen des Theaters? Bestimmt keine Armen. Wer sich das Billett leisten konnte, hatte es schon zu was gebracht. Entweder war man von altem Adel oder hatte sich, die Gunst der Stunde nützend, auf der Gesellschaftsleiter hinaufgearbeitet. Vor allem die zweite dieser beiden Gruppen musste sich von der Bühne herab sagen lassen, wie sinnlos sie ihre Zeit verschluderte. Im Grund waren sie alle „Sommergäste“, die auf einer Datscha nichts anderes zuwege brachten, als aus Langeweile zu saufen, Sex zu suchen und miteinander zu streiten. Wie es 120 Jahre danach in Russland aussieht, ist schwer zu sagen. Oligarchen lassen sich nicht in ihr Privatleben blicken. In Österreich mag es eine Art Sommerfrische gegeben haben, die so ähnlich abgelaufen sein könnte. Sie ist aber längst verklärte Nostalgie unter dem Bild des alten Kaisers. Was in Gorkis Drama also anschaulich geschildert wird, ist Vergangenheit und beschränkt sich im besten Fall auf historisches Interesse.

Michael Dangl, Alexandra Krismer, Ensemble © Philine Hofmann

Michael Dangl, Alexandra Krismer, Ensemble © Philine Hofmann

Silvia Meisterle, Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Silvia Meisterle, Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Das Theater in der Josefstadt hat dennoch das Wagnis unternommen, „Sommergäste“ von Regisseur Elmar Goerden inszenieren und mit ziemlich viel Krampf aktualisieren zu lassen. So dürfen die Ärztin Marja Lwowona (Martina Stilp) ihrer Tochter Alex (Katharina Klar) ausführlich über diverse Geschlechterrollen und Feminismus diskutieren, die Allgemeinheit über heutige Allerweltsprobleme sinnieren oder die ganze Gesellschaft die Handlung immer wieder mit Gesangeinlagen à la Vaudeville mit U-Music-Begleitung auflockern. Dank des durchwegs grandiosen Ensembles wird dieser Rückblick auf einstiges Freizeitvergnügen dennoch zum feinen Erlebnis. Es beginnt damit, dass Michael Dangl als Rechtsanwalt Bassow der witzige Gastgeber ist, der auch verfahrene Beziehungskisten der Anwesenden mit lockerem Mundwerk zu entspannen versteht.

Seine Gattin Warwara (Alexandra Krismer) ist diesbezüglich wesentlich intoleranter und legt gegen Ende einen sehenswerten Nervenzusammenbruch hin. Grund dafür ist der berühmte Schriftsteller Jakow Schalimow, besetzt mit Ulrich Reinthaller. Der gute Mann erfüllt nicht die viel zu hoch gesteckten Erwartungen seiner ehemaligen Verehrerin und wird von ihr deswegen zur Schnecke gemacht. Günter Franzmeier ist der alternde Ingenieur Suslow, dessen Frau Julija (Silvia Meisterle) so richtig anlassig ist, aber keine Gelegenheit findet, dieses brodelnde Bedürfnis auszuleben. Erstaunlicherweise gelingt Roman Schmelzer als Arzt Dudakow mit der ihm angetrauten Olga (Susa Meyer) trotz bereits bestehender vier Kinder eine leidenschaftliche Nummer (hinter Baumstämmen), um gleich darauf wieder die ehelichen Fetzen fliegen zu lassen. Für das wirklich große Knistern sorgt Martina Stilp als reife Frau und Ärztin Marja mit Wlas (Claudius von Stolzmann), dem noch jugendlichen Bruder von Warwara, wenn beide den angeblich problematischen Altersunterschied voll Sinnlichkeit in scheuem Aufeinanderzugehen bis zum erlösenden Kuss überwinden.

Katharina Klar © Philine Hofmann

Katharina Klar © Philine Hofmann

Raphael von Bargen (Kommissar Escherich), Claudius von Stolzmann (Enno Kluge) © Roland Ferrigato

Raphael von Bargen (Kommissar Escherich), Claudius von Stolzmann (Enno Kluge) © Roland Ferrigato

JEDER STIRBT, wenn´s drauf ankommt, FÜR SICH ALLEIN

Nadine Zeintl (Eva Andrássy), Ensemble © Roland Ferrigato

Nadine Zeintl (Eva Andrássy), Ensemble © Roland Ferrigato

Ein Totentanz des Widerstandes gegen unfassbare Verblendung

Die Jazzcombo bleibt unsichtbar im Hintergrund. Aber ohne den Swing der fünf Musiker wäre dieser Stoff in seiner Düsternis noch schwerer zu ertragen als er ohnehin von Hans Fallada seinerzeit, 1947, als explodierende Reaktion auf den Nazi-Wahnsinn in Romanform aufgeschrieben wurde. Gleich geblieben ist der Titel „Jeder stirbt für sich allein“, wobei er nicht ganz korrekt ist, denn mit der tapferen Trudel (Paula Nocker) ist auch deren Kind im Mutterleib dem Tod geweiht. Ihr Verlobter Franz Quangel (Tobias Reinthaller) ist in Frankreich für Reich und Führer den Heldentod gestorben, kurz, er ist gefallen. Dessen Vater, ein biederer, wenngleich wortkarger Arbeiter in einer Tischlerei, erklärt auf seine stille Weise dem System den Krieg. Mit von ihm und seiner Frau Anna (Susa Meyer) vielerorts hinterlegten Postkarten, auf denen in kurzen Worten die Wahrheit steht, erregt er Unruhe bis in höchste Kreise. Otto Quangel (Michael Dangl) wird zum Klabautermann erklärt, dem die SS unter der Leitung von Obergruppenführer Prall (Robert Joseph Bartl) mithilfe des Kommissars Eschereich (Raphael von Bargen) auf den Fersen ist. Es entwickelt sich ein Spinnennetz aus Verdächtigungen, in dem sich der kleine Ganove Enno Kluge (Claudius von Stolzmann) verfängt und einem grausamen Verhör nur durch Selbstmord entgehen kann. Das freundliche jüdische Ehepaar Rosenthal (Siegfried Walther, Elfriede Schüsseleder) ist hier lediglich eine tragische Begleiterscheinung in diesem für uns Heutige nicht mehr nachvollziehbaren Reigen des Todes.

Michael Dangl (Otto Quangel), Susa Meyer (Anna Qunagel) © Roland Ferrigato

Michael Dangl (Otto Quangel), Susa Meyer (Anna Qunagel) © Roland Ferrigato

Oliver Rosskopf (Erwin Toll), Martin Niedermair (Max Harteisen) © Roland Ferrigato

Oliver Rosskopf (Erwin Toll), Martin Niedermair (Max Harteisen) © Roland Ferrigato

Die Besetzungsliste für diese Bühnenbearbeitung, im Programmheft als Libretto (von Susanne Lütje und Anne X. Weber) bezeichnet, ist lang und bis in die Nebenrollen prominent besetzt. Damit entsteht unter der Regie von Josef E. Köpplinger ein packender Abend, der mit seiner Spannung bis zum letzten Moment den Atem anhalten lässt. Das Publikum wird mit exakten Ansagen des jeweiligen Datums in der Zeit gehalten und darf sich an pointierten Texten wacker gesungener Lieder dieses „musikalischen Schauspiels“ entspannen. Die Ausstattung entspricht mit dem dunklen Grau von Betonblöcken dem Inhalt und wird mit ein paar Änderung der Requisiten zum Innenhof, zur Küche, der Bar Paprika oder zum Büro. An diesen an sich banalen Schauplätzen tragen sich die entscheidenden Ereignisse zu. Dort werden die Postkarten geschrieben, es wird unerlaubt Baccara gespielt, dort finden Treffen der Widerstandszelle statt, der Freund wird vernadert, der Schwangeren die Leben aus dem Bauch getreten und der Kommissar von seinem Vorgesetzten unter Druck gesetzt, ein falsches Geständnis vorzulegen. Den einzigen Ausweg aus diesem komplexen Dilemma schien damals tatsächlich nur der Tod gewiesen haben, nicht nur für alle diejenigen, die nicht mit der Meute geheult haben. Er war als eine Art Gerechtigkeit schlussendlich auch für viele der Schuldigen die letzte Ausflucht, als 1945 mit einem Schlag für sie das böse Erwachen eingesetzt hat.

Ritter, Dene, Voss, Ensemble © Moritz Schell

Johannes Krisch, Sandra Cervik, Maria Köstlinger © Moritz Schell

RITTER, DENE, VOSS Brillante Formulierungen statt Handlung

Ritter, Dene, Voss, Ensemble © Moritz Schell

Ritter, Dene, Voss, Ensemble © Moritz Schell

Neuauflage von Thomas Bernhards Hommage vor den Porträts der übergroßen Ahnen

Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss waren in den aufgewühlten Burgtheaterzeiten unter Claus Peymann nicht nur dessen drei wichtigsten Schauspieler, sondern gleichzeitig für seinen Lieblingsautor Thomas Bernhard die Gelegenheit, den von ihm erregten Volkszorn mit diesen drei Namen als Titel eines Stückes lächerlich zu schreiben und sich damit von der Frustration erregter Bühnenskandale zu befreien. Im Programmheft zur Produktion im Theater in der Josefstadt (Premiere war am 17. November 2022) liest man zu diesem Geniestreich eines Misanthropen, dass Bernhard damit „eine Unumstößlichkeit des Theaters ignoriert und untergraben hat: die wesenhafte Vergänglichkeit einer Aufführung bei gleichzeitiger Beständigkeit eines Werkes.“ Also allseits Versöhnliches! Was absolut seine Berechtigung hat, wenn drei Persönlichkeiten dieses Hauses quasi in Doppelrollen schlüpfen und zwischen Ahnenkult und Spielfreude beinahe nostalgische Gefühle an die Tage erwecken, als eine Uraufführung zum Tagesgespräch avancierte.

Maria Köstlinger © Moritz Schell

Maria Köstlinger © Moritz Schell

Sandra Cervik © Moritz Schell

Sandra Cervik © Moritz Schell

Vor den großformatigen Gemälden von Ritter, Dene und Voss hat Florian Parbs das Bild einer in Scherben zerbrochenen Porzellanära aufgebaut, samt altmodischer Standuhr aus der Originalinszenierung vom Burgtheater. Regisseur Peter Wittenberg lässt darin dem hochklassigen Trio genau die Freiheit, mit der ein auf faszinierend pointierte Texte aufgebautes Drama knapp drei Stunden die Zuschauer bei der Stange hält. DENE, die ältere der drei Geschwister ist Sandra Cervik, eine schwarz gewandete ernsthafte Kümmerin, wie man in Wien sagt.

Sie versucht stets mit zuviel des guten Willens den kargen Rest der einst großen Industriellenfamilie Worringer an einen Tisch zu bringen. Als jüngere Schwester RITTER brilliert Maria Köstlinger. Obwohl beide Frauen alte Jungfern geworden sind, kämpft sie dennoch mit lasziver Erotik um das Interesse ihres älteren Bruders. VOSS hat einen Vornamen: Ludwig. Er wurde von DENE von Steinhof nach Hause geholt, um sich vom verhassten Dr. Freger behandeln zu lassen. Es liegt nun an Johannes Krisch, mit allem und jedem zu hadern und die (nur) vordergründig bösartigen Ausbrüche gegen die Malerei an sich, gegen Brandteigkrapferln, die köstliche Gruft des Wohnzimmers oder zerstörerische Schwestern abzufeuern. Er lässt offen, ob er der Philosoph Ludwig Wittgenstein ist oder dessen exzentrischer Bruder Paul, der tatsächlich an einer Gemütsstörung litt. Ebenso bleibt ungeklärt, wie die zwei Frauen als Schauspielerinnen mit 51% ins Theater eingekauft werden konnten. Es ist eben Thomas Bernhard, der Wahrheiten zu formulieren verstand, die kaum jemanden kalt lassen und trotz der Irritation des Titels nicht oft genug vernommen werden können.

Johannes Krisch © Moritz Schell

Johannes Krisch © Moritz Schell

Der Wald, Ensemble © Moritz Schell

Der Wald, Ensemble © Moritz Schell

DER WALD Adelig und reich contra arm und schlau

Andrea Jonasson, Claudius von Stolzmann © Moritz Schell

Andrea Jonasson, Claudius von Stolzmann © Moritz Schell

Eine Komödie für die Doppelconférence zwischen Komiker und Tragöden

Kann man irgend wem trauen? Nicht einmal im Wald darf man sich auf die Bäume verlassen. Zu leicht kann ein Ast herunter- und einen direkt auf den Kopf fallen. Auch als Vermögensanlage ist er unsicher, obwohl die in die Jahre gekommene Witwe Raissa Pawlowna Gurmyschskaja (Andrea Jonasson) sehr viel davon besitzt. Um zu Bargeld zu kommen, muss sie jedoch laufend verkaufen und wird damit das Opfer des gierigen und durchtriebenen Holzhändlers Iwan Petrow Wosmibratow (Marcello De Nardo). Seinen Tricks, mit denen er die zwar adeligen, aber dümmlichen Gutsbesitzer hereinlegt, ist sie nicht gewachsen. Die Umstände bringen es aber mit sich, dass ihre Nichte Axinja Danilowna, kurz Axjuschka (Johanna Mahaffy), in Pjotr (Tobias Reinthaller), den Sohn dieses Beutelschneiders verliebt ist. Den ihr gedachten standesgemäßen Bräutigam Alexej Sergejewitsch Bulanow (Claudius von Stolzmann), einen Schulabbrecher und auch sonst recht naiven Jüngling, krallt sich die Tante in einer überraschenden Aufwallung sinnlicher Leidenschaft. Um ihn als Gatten präsentieren zu können, braucht es noble Besucher wie Jewgenij Apollonytsch Milonow (Michael König) und den Kavallerieoffizier a.D. Uar Kirilytsch Bodajew (Robert Joseph Bartl), dazu einen bärtigen Diener namens Karp (Einspringer Till Firit) und die servile Hausdame Ulita (Einspringerin Alexandra Krismer).

Andrea Jonasson, Ensemble © Moritz Schell

Andrea Jonasson, Ensemble © Moritz Schell

Robet Meyer, Herbert Föttinger, Johanna Mahaffy © Moritz Schell

Robet Meyer, Herbert Föttinger, Johanna Mahaffy © Moritz Schell

Die Komödie „Der Wald“ von Alexander Ostrowskij wäre aber nichts als eine aus der Zeit gefallene Abrechnung mit dem russischen Gesellschaftssystem des 19. Jahrhunderts und eine Reihe unaussprechlicher Namen, gäbe es nicht die beiden Provinzschauspieler.

Der eine, Gennadij Nestschastliwzew (auf Deutsch: der Unglückliche), ist Tragöde und nebenbei Neffe von Raissa, von der Tante auserkoren, deren Universalerbe zu werden. Sein Kumpan Arkadij Stschastliwzew (der Glückliche) ist Komiker, im Moment ebenfalls ohne Engagement. Herbert Föttinger und Robert Meyer werden zum unvergleichlichen Duo, das dieses Stück neben den durchwegs großartigen Leistungen des übrigen Ensembles trägt. Anspielungen auf bestehende und abgelaufene Direktorenschaft sind nur Gags am Rande, sie werfen einander Pointen zu wie die anderen die Rubelscheine. Was Föttinger der verlogenen Partie mit mächtigem Pathos ins Stammbuch schreibt, haben bereits Shakespeare oder Schiller formuliert. Meyer genießt hingegen lieber Rahm mit u (Rum) und die erotische Bereitschaft der Haushälterin. Regisseur Stephan Müller hat den geistreichen Spaß in eine praktisch wandelbare Ausstattung (Sophie Lux) gesetzt, die Darsteller dürfen frisch und fröhlich die Hetz übertreiben und das Publikum mit begeistertem Applaus und Bravorufen diesem kurzweiligen Theater im Theater danken.

Herbet Föttinger, Robert Meyer © Moritz Schell

Herbet Föttinger, Robert Meyer © Moritz Schell

Ensemble © Philine Hofmann

Roman Schmelzer, René Pohl, Jakob Eisenwenger, Günter Franzmeier © Philine Hofmann

EIN VOLSKFEIND „Skandalös“ spannend, weil ehrlich aktuell

Martina Ebm, Roman Schmelzer © Philine Hofmann

Martina Ebm, Roman Schmelzer © Philine Hofmann

Was nützt dir die Wahrheit, wenn du die Macht nicht an deiner Seite hast

Die neue Therme steht kurz vor der Eröffnung. Massen von Badegästen werden erwartet, das Kleingewerbe sieht einem ungeahnten Aufschwung entgegen, die Bewohnerschaft ist euphorisiert und überzeugt, diesen Segen ihrem Bürgermeister zu verdanken. Wie ein Hieb trifft diesen jedoch die Entdeckung seines Bruders, dem Kurarzt, dass „something in the water“ ist, nämlich eine weit über die Zulassungsgrenze hinausgehende Belastung mit Schwermetallen und Bakterien. Die Ursache ist bald entdeckt. Das Gift kommt aus der Fabrik von Morten Kiil, dem Schwiegervater des Arztes, und ist nur deswegen in das sogenannte Heilwasser gelangt, weil dessen Zuleitung einst viel zu tief angelegt wurde. Es kommt zum Bruderkrieg: ein von seiner Verantwortung überzeugter Mediziner gegen einen mit allen Wassern der Rhetorik gewaschenen Politiker, befeuert von einer Lokalpresse in den Händen eines Mäßigungsfanatikers.

Roman Schmelzer, Paul Eilenberger © Philine Hofmann

Roman Schmelzer, Paul Eilenberger © Philine Hofmann

Roman Schmelzer, Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Roman Schmelzer, Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Der Gesellschaftskritiker Henryk Ibsen, gewohnt an Skandale, die seine Stücke auslösen, lässt die Handlung in einer norwegischen Kleinstadt am Ende des 19. Jahrhunderts passieren – und wird seltsamerweise von seinen Landsleuten verstanden. Regisseur David Bösch belässt den Schauplatz zwar an Ort und Stelle, versetzt den dramatischen Rest aber in die Gegenwart und macht ihn so zu einem Paradebeispiel für ein Treiben, das sich genauso gut in der österreichischen Thermenlinie ereignen kann. Auf riesigen Projektionen (Bühnenbild und Video: Patrick Bannwart) wird für die neue Therme geworben, es werden darauf die sehr heutig hohl klingenden Reden des Bürgermeisters übertragen, per Lauftext breaking News aus der Redaktion des Volksboten verkündet und mittels entstellter Gesichter ein mögliches Szenar der verseuchten Zukunft angedeutet.

 

Die Auseinandersetzung beginnt auf einer Baustelle, ausgestattet mit Mischmaschine, Scheinwerfern und Staub. Die hochschwangere Kathrin (Martina Ebm), sie erwartet ihre Tochter Lisbeth, und als ihr Gatte Dr. Thomas Stockmann ein hochemotional agierender Roman Schmelzer kümmern sich noch sehr familiär um ihren Vater, den Fabrikanten Morten Kiil (Johannes Seilern). Die Eintracht zerfällt jedoch in dem Moment, als Thomas auf seine schreckliche Entdeckung zu sprechen kommt. Er konfrontiert per Mail seinen Bruder Peter Stockmann mit hieb- und stichfesten wissenschaftlichen Gutachten, laut denen eine Verwendung des Wassers lebensgefährlich ist.

Günter Franzmeier ist ein faszinierend geschliffener Lokalpolitiker, dem Investoren und Geld näher sind als unsichtbare Kolibakterien. Bald hat er die Presse auf seiner Seite, auch den jungen Redakteur Hovstad (Oliver Rosskopf), der für die Veröffentlichung seiner Artikel das OK des Herausgebers braucht. André Pohl pfeift als bestens vernetzter Aslaksen den Heißsporn auf der Stelle zurück und fordert Mäßigung, die sich angesichts der drohenden Katastrophe mehr und mehr lächerlich ausnimmt. Der Redaktionsgehilfe Billing (Jakob Elsenwenger) läuft zudem in den Magistrat über. Das entscheidende Duell, einen Vortrag, verliert Dr. Stockmann gegen seinen Bruder. Es bleibt ihm nur die resignierende Feststellung, dass die Mehrheit selten im Recht ist, jedoch über die Durchsetzungskraft des Unrechts verfügt. Am Ende bleibt er allein auf der Bühne zurück, verlassen auch von seiner Frau und Sohn Morten (alternierend Theodor Machacek/Theo Kapun/Paul Eilenberger) mit dem Resümee: „Was nützt dir die Wahrheit, wenn du die Macht nicht an deiner Seite hast.

Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Günter Franzmeier © Philine Hofmann

Anna Karenina, Ensemble © Moritz Schell

Alexandra Krismer, Alexander Absenger, Alma Hasun, Claudius von Stolzmann, Silvia Meisterle © Moritz Schell

ANNA KARENINA Liebesg´schichten auf dem Eislaufplatz

Claudius von Stolzmann, Silvia Meisterle © Moritz Schell

Claudius von Stolzmann, Silvia Meisterle © Moritz Schell

Über das Unglück derjenigen, deren Dasein sich nur um die wichtigste Nebensache dreht

Amélie Niermeyer gibt in einem Gespräch für das Programmheft zu: „Uns war und ist bewusst, dass man der Fülle an Themen und Philosophien dieses Romans (Anna Karenina von Leo Tolstoi) niemals gerecht werden kann. Im besten Fall jedoch gehen die Zuschauenden nach Hause und lesen lustvoll nächtelang den Roman, um den großen Themen, die uns Menschen beschäftigen, weiter nachzuspüren.“ Sie setzt in ihrer Bühnenversion, gestützt auf eine Fassung von Armin Petras, auf die Liebe, gewiss in der Hoffnung, damit ein ewig attraktives Thema erwischt zu haben, und reduziert das mächtige Werk auf eine Romanze, der es im Endeffekt an wahrer Tiefe fehlt und die wohl deswegen stattliche Längen aufweist. Durch lockere, gewollt pointierte Dialoge, in denen die Betroffenen zwischen Erzähler und eigenen Worten pendeln, entsteht dennoch ein durchwegs heiteres Bild aus einer Zeit, in der russische Großfürsten, Grafen und Gutsbesitzer ihre erotischen und standesbedingten Händel ausgetragen haben. Aus dem Ende des 19. Jahrhunderts springt die Handlung immer wieder in spätere Epochen, teils in die wilden Zwanzigerjahre und stellenweise sogar in die Gegenwart. Um dem Ganzen Schwung zu verleihen, werden die Akteure auf das Eis geschickt, das nach der Pause jedoch geschmolzen sein dürfte. Wie denn auch? In einem an Piet Mondrian-Werke (Bühnenbild: Stefanie Seitz) erinnernden venezianischen Palazzo haben Schlittschuhe wirklich nichts verloren.

Alexander Absenger, Alma Hasun © Moritz Schell

Alexander Absenger, Alma Hasun © Moritz Schell

Alma Hasun, Alexander Absenger, Alexandra Krismer, Robert Joseph Bartl © Moritz Schell

Alma Hasun, Alexander Absenger, Alexandra Krismer, Robert Joseph Bartl © Moritz Schell

Robert Joseph Bartl im schlichten braunen Anzug als Fürst Stepan ist ganz der freundliche Zeitgenosse, der sich dem Eislauf versagt und den Krawall, den seine Schwägerin Kitty (Alma Hasun) als ambitionierte Komponistin auf einem Keyboard produziert, gnädig abdreht. Dass er neben luxusbedingter Geldknappheit außereheliche Amouren pflegt, ist eine Angelegenheit, an der sich naturgemäß seine Gattin Dascha (Alexandra Krismer) reibt. Sie sucht ausgerechnet bei der Schwester ihres Mannes Rat und Hilfe für die angeknackste Ehe.

Deren Auftreten, mit dem Silvia Meisterle als Anna Karenina ein emotionales Beben verursacht, lässt diverse Beziehungen ordentlich ins Wanken geraten. Die junge Kitty ist in den feschen Wronski (Claudius von Stolzmann) verliebt und gibt dem notorischen Grübler Lewin (Alexander Absenger) vorläufig einen veritabeln Korb. Wronski hingegen verknallt sich hoffnungslos in Anna. Er kümmert sich einen Schmarren um die Befindlichkeiten von deren Gatten (Raphael von Bargen als Karenin, der zwischen Ironie und Verzweiflung einen Ausweg aus der verfahrenen Situation sucht) und der bereits bestehenden Familie. Es gibt den Sohn Serjoscha (alternierend Florian Brenner, Cornelius Bruckmann, Christoph Löblich), den wie bei jeder Scheidung keiner der Ex-Partner verlieren will. Was aus Annie, dem Kind der Liebe aus der Verbindung Anna und Wronski, geworden ist, geht unter. So kann alles dem Selbstmord der Titelheldin zustreben, der trotz beeindruckender Videos überraschend und damit wie vieles andere in dieser doch oberflächlichen Version einer „Anna Karenina“ letztlich unverständlich bleibt.

Claudius von STolzmann, Silvia Meisterle © Moritz Schell

Claudius von STolzmann, Silvia Meisterle © Moritz Schell

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Foto © Theater in der Josefstadt

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