Kultur und Weindas beschauliche MagazinHerbert Föttinger (Dr. Werner Hahn), Erwin Steinhauer (Richard Nowak) © Rita Newman BIS NÄCHSTEN FREITAG Von der Gegenwart abgeworfene Freunde
Die beiden Herren kennen einander schon seit der Zeit im Gymnasium. Der eine wurde Buchhändler, der andere Dozent für Romanistik an der Universität. Nach Jahren kommt es zu einem Treffen der beiden mehr als unterschiedlichen Charaktere. Richard Nowak hat seinen Freund Dr. Werner Hahn in sein Stammlokal eingeladen, in das böhmische Beisl „Zur tschechischen Botschaft“. Schon in den ersten Sätzen wird die alte Rangordnung deutlich. Richard war schon damals der gute Kerl, den die Mädchen zum Ausweinen missbrauchten, während Werner sie gevögelt hat. Jana Zelníčková (Silvia Meisterle) ist die Kellnerin, die ihren Richi mag, weil er brav die Suppe aufisst. Dieser Werner ist ihr nicht recht sympathisch. Er will in einem Wiener Lokal österreichisches Bier und lässt sich erst nach gutem Zureden herbei, eine Leberknödelsuppe zu bestellen. Die vierte Person in diesem Lokal ist der geistig zurückgebliebene, taubstumme Petříčku (Marcello De Nardo), der sonderbarer Weise doch Musik hört und leidenschaftlich gerne tanzt. Den Burschen und die Kellnerin verbindet ein Geheimnis. „Wir wissen etwas Schönes“, sagt sie, verrät aber um keinen Preis, worum es sich dabei handelt.
„Ich mag keine Zwerge, schon gar keine glücklichen Zwerge!“ ist noch das Harmloseste, das Werner von sich gibt. Derart aufgebracht hat ihn ein kleinwüchsiges Brautpaar, das in diesem Lokal seine Hochzeit feiert. Andrea Mühlbacher und Sascha Schicht spielen diese beiden ausnehmend reizenden Leutchen, die für sich die große Liebe gefunden haben. Gegen sie nimmt sich der normal gewachsene Intellektuelle wie ein ungezogener Rüpel aus. Er wirft mit Sprüchen um sich, die hier nicht zitiert werden könnten, ohne einen Shitstorm auszulösen. Herbert Föttinger lässt als Dozent Hahn lustvoll überzeugend jede Political Correctness missen.
Raphael von Bargen als Karsten Bernick © Rita Newman DIE STÜTZEN DER GESELLSCHAFT Die finstere Wahrheit hinter dem Erfolg
Karsten Bernick betreibt eine gut gehende Werft. Allein das Erbe seines Vaters weiter zu führen, bringt ihm keine Befriedigung. Er will selbst den Samen zu etwas Großen, Neuen legen. Eine ideale Stadt schwebt ihm vor, die Social City, die absolut nachhaltig und ohne jeden Ausstoß von CO2 ihren Bewohnern eine glückliche Zukunft ermöglichen soll. Mit den Tricks des gewieften Geschäftsmannes ist es für ihn das geringste Problem, eventuelle Auflagen seitens des Naturschutzes und Ähnliches zu bügeln, ebenso seinen Vorstand davon zu überzeugen, dass das Geld der Firma dort bestens angelegt sei. Aber es gibt eine Leiche im Keller. Eine „Jugendsünde“ wird schlagend. Seinetwegen hat sich eine Schauspielerin das Leben genommen. Das Kind wird von Karstens Familie aufgenommen, die näheren Umstände werden aber verschwiegen, zumal der Bruder seiner Gattin die Schuld auf sich nimmt. Erschwerend dazu kommt ein Termingeschäft. Ein Wrack von Schiff soll in kürzester Zeit in repariertem Zustand auslaufen, andernfalls das Bernick´sche Unternehmen mit fatalen Forderungen seitens amerikanischer Rechtsanwälte fertig gemacht würde.
Schon für Henrik Ibsen bot dieses Lavieren zwischen Lüge und gewissenslosem Geschäftssinn genügend Stoff, um derlei Umtriebe im Drama „Stützen der Gesellschaft“ zu entlarven. Nachdem bald 150 Jahre seit der Entstehung ins Land gezogen sind, war eine Neufassung notwendig geworden, die von Regisseur David Bösch dem Publikum des Theaters in der Josefstadt vorgelegt wurde. Die Werft „Bernick“ wird zu einer heutigen Firma, mit einem Boss, wie es ihn zu allen Zeiten gegeben hat und geben wird. Ein gewohnt grandioser Raphael von Bargen ist Karsten, der angesichts der Büste seines strengen Vaters sein Verhalten reflektiert, aber keine andere Möglichkeit sieht, als mit Härte und Brutalität sein Imperium zu regieren. Patenonkel Dr. Rummel (Dietmar König) und der aalglatte Unternehmer Dr. Schneider (Marcello De Nardo) sind seine Unterstützer.
Michael von Au (Willi), Anika Pages (Winnie) © Rita Newman BECKETT & FEYDEAU Einig über die Absurdität eines Ehebetts Die Theatergröße Dieter Dorn hat in zwei augenscheinlich so unterschiedlichen Dramen das versteckte Gemeinsame erkannt. Samuel Beckett, der Meister der irritierenden Sinnenthebung, hat in „Glückliche Tage“ eine Ehefrau im Ehebett gefangen genommen. Mit dem schrillem Ton einer Türglocke beginnt und endet jeweils das „Tagwerk“ von Winnie, die in wortreichen Selbstgesprächen voller Banalität allmählich bis zum Hals in den Matratzen versinkt. Ob der fallweise hörbare Gesprächspartner namens Willi tatsächlich oder nur in ihrer Fantasie existiert, bleibt offen. Aber sie scheint glücklich zu sein, schwärmt von „großen Gnaden, großen Gnaden“ und dem wunderbaren „alten Stil“. Das Klingeln weckt schließlich auch Yvonne, die Gattin von Lucien. Es wirkt wie die Erlösung aus einer absurden Traumsequenz, wenngleich in der Folge sehr reale zwischenmenschliche Probleme zur Sprache kommen. Georges Feydeau lässt in „Herzliches Beileid“ eine vernachlässigte Frau und deren vergnügungssüchtigen Gemahl aufeinander prallen. Die durch sein Verhalten angewachsenen Schulden wären mit einem Schlag getilgt, wenn seine betuchte Schwiegermutter tatsächlich das Zeitliche gesegnet hätte. Wieder ist der Schauplatz der Auseinandersetzung das Ehebett mit allen seinen Gefahren, die zwischen den Pfühlen lauern. Dieter Dorn schickt die Frau, grandios und souverän von Anika Pages dargestellt, ins Bett, um sie dort als Winnie in seltsamer Seligkeit parlieren und von Lucien wecken zu lassen. Dabei handelt es sich um den bei Beckett hinter einem Bild versteckten Willi (Michael von Au), der nun im Kostüm des Sonnenkönigs von einem Künstlerball heimkehrt. Er hat sich überfressen und kann gerade noch verhindern, dass sich sein Magen auf offener Bühne entleert. Dank des vom Dienstmädchen Annette (Johanna Mahaffy) zubereiteten Kamillentees renkt sich sein Verdauungsapparat ein, wird aber bald darauf wieder auf eine harte Probe gestellt. Denn in selbiger Nacht läutet Tobias Reinthaller als Diener Joseph an der Tür Sturm. Seine Nachricht, dass die Mutter von Yvonne verstorben ist, hat die Ohnmacht der Tochter zur Folge. Beim Schwiegersohn weckt sie aber gesteigerte Aktivität, die sich schlussendlich als verhängnisvoller Unsinn herausstellt und das Publikum nach teils ratlosem Zuhören bei den absurden Monologen Becketts ob dieser menschlich allzu verständlichen Querelen mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht entlässt. Ensemble © Philine Hofmann SOMMERGÄSTE vergeuden lustvoll Zeit und Leben
Maxim Gorki entfachte 1904 mit seinem neuesten Stück einen Skandal. Das Publikum in St. Petersburg war erbost, weil es auf gnadenlose Weise darin vorgeführt wurde. Wer saß da in den Reihen des Theaters? Bestimmt keine Armen. Wer sich das Billett leisten konnte, hatte es schon zu was gebracht. Entweder war man von altem Adel oder hatte sich, die Gunst der Stunde nützend, auf der Gesellschaftsleiter hinaufgearbeitet. Vor allem die zweite dieser beiden Gruppen musste sich von der Bühne herab sagen lassen, wie sinnlos sie ihre Zeit verschluderte. Im Grund waren sie alle „Sommergäste“, die auf einer Datscha nichts anderes zuwege brachten, als aus Langeweile zu saufen, Sex zu suchen und miteinander zu streiten. Wie es 120 Jahre danach in Russland aussieht, ist schwer zu sagen. Oligarchen lassen sich nicht in ihr Privatleben blicken. In Österreich mag es eine Art Sommerfrische gegeben haben, die so ähnlich abgelaufen sein könnte. Sie ist aber längst verklärte Nostalgie unter dem Bild des alten Kaisers. Was in Gorkis Drama also anschaulich geschildert wird, ist Vergangenheit und beschränkt sich im besten Fall auf historisches Interesse.
Das Theater in der Josefstadt hat dennoch das Wagnis unternommen, „Sommergäste“ von Regisseur Elmar Goerden inszenieren und mit ziemlich viel Krampf aktualisieren zu lassen. So dürfen die Ärztin Marja Lwowona (Martina Stilp) ihrer Tochter Alex (Katharina Klar) ausführlich über diverse Geschlechterrollen und Feminismus diskutieren, die Allgemeinheit über heutige Allerweltsprobleme sinnieren oder die ganze Gesellschaft die Handlung immer wieder mit Gesangeinlagen à la Vaudeville mit U-Music-Begleitung auflockern. Dank des durchwegs grandiosen Ensembles wird dieser Rückblick auf einstiges Freizeitvergnügen dennoch zum feinen Erlebnis. Es beginnt damit, dass Michael Dangl als Rechtsanwalt Bassow der witzige Gastgeber ist, der auch verfahrene Beziehungskisten der Anwesenden mit lockerem Mundwerk zu entspannen versteht.
Raphael von Bargen (Kommissar Escherich), Claudius von Stolzmann (Enno Kluge) © Roland Ferrigato JEDER STIRBT, wenn´s drauf ankommt, FÜR SICH ALLEIN
Die Jazzcombo bleibt unsichtbar im Hintergrund. Aber ohne den Swing der fünf Musiker wäre dieser Stoff in seiner Düsternis noch schwerer zu ertragen als er ohnehin von Hans Fallada seinerzeit, 1947, als explodierende Reaktion auf den Nazi-Wahnsinn in Romanform aufgeschrieben wurde. Gleich geblieben ist der Titel „Jeder stirbt für sich allein“, wobei er nicht ganz korrekt ist, denn mit der tapferen Trudel (Paula Nocker) ist auch deren Kind im Mutterleib dem Tod geweiht. Ihr Verlobter Franz Quangel (Tobias Reinthaller) ist in Frankreich für Reich und Führer den Heldentod gestorben, kurz, er ist gefallen. Dessen Vater, ein biederer, wenngleich wortkarger Arbeiter in einer Tischlerei, erklärt auf seine stille Weise dem System den Krieg. Mit von ihm und seiner Frau Anna (Susa Meyer) vielerorts hinterlegten Postkarten, auf denen in kurzen Worten die Wahrheit steht, erregt er Unruhe bis in höchste Kreise. Otto Quangel (Michael Dangl) wird zum Klabautermann erklärt, dem die SS unter der Leitung von Obergruppenführer Prall (Robert Joseph Bartl) mithilfe des Kommissars Eschereich (Raphael von Bargen) auf den Fersen ist. Es entwickelt sich ein Spinnennetz aus Verdächtigungen, in dem sich der kleine Ganove Enno Kluge (Claudius von Stolzmann) verfängt und einem grausamen Verhör nur durch Selbstmord entgehen kann. Das freundliche jüdische Ehepaar Rosenthal (Siegfried Walther, Elfriede Schüsseleder) ist hier lediglich eine tragische Begleiterscheinung in diesem für uns Heutige nicht mehr nachvollziehbaren Reigen des Todes.
Die Besetzungsliste für diese Bühnenbearbeitung, im Programmheft als Libretto (von Susanne Lütje und Anne X. Weber) bezeichnet, ist lang und bis in die Nebenrollen prominent besetzt. Damit entsteht unter der Regie von Josef E. Köpplinger ein packender Abend, der mit seiner Spannung bis zum letzten Moment den Atem anhalten lässt. Das Publikum wird mit exakten Ansagen des jeweiligen Datums in der Zeit gehalten und darf sich an pointierten Texten wacker gesungener Lieder dieses „musikalischen Schauspiels“ entspannen. Die Ausstattung entspricht mit dem dunklen Grau von Betonblöcken dem Inhalt und wird mit ein paar Änderung der Requisiten zum Innenhof, zur Küche, der Bar Paprika oder zum Büro. An diesen an sich banalen Schauplätzen tragen sich die entscheidenden Ereignisse zu. Dort werden die Postkarten geschrieben, es wird unerlaubt Baccara gespielt, dort finden Treffen der Widerstandszelle statt, der Freund wird vernadert, der Schwangeren die Leben aus dem Bauch getreten und der Kommissar von seinem Vorgesetzten unter Druck gesetzt, ein falsches Geständnis vorzulegen. Den einzigen Ausweg aus diesem komplexen Dilemma schien damals tatsächlich nur der Tod gewiesen haben, nicht nur für alle diejenigen, die nicht mit der Meute geheult haben. Er war als eine Art Gerechtigkeit schlussendlich auch für viele der Schuldigen die letzte Ausflucht, als 1945 mit einem Schlag für sie das böse Erwachen eingesetzt hat. Der Wald, Ensemble © Moritz Schell DER WALD Adelig und reich contra arm und schlau
Kann man irgend wem trauen? Nicht einmal im Wald darf man sich auf die Bäume verlassen. Zu leicht kann ein Ast herunter- und einen direkt auf den Kopf fallen. Auch als Vermögensanlage ist er unsicher, obwohl die in die Jahre gekommene Witwe Raissa Pawlowna Gurmyschskaja (Andrea Jonasson) sehr viel davon besitzt. Um zu Bargeld zu kommen, muss sie jedoch laufend verkaufen und wird damit das Opfer des gierigen und durchtriebenen Holzhändlers Iwan Petrow Wosmibratow (Marcello De Nardo). Seinen Tricks, mit denen er die zwar adeligen, aber dümmlichen Gutsbesitzer hereinlegt, ist sie nicht gewachsen. Die Umstände bringen es aber mit sich, dass ihre Nichte Axinja Danilowna, kurz Axjuschka (Johanna Mahaffy), in Pjotr (Tobias Reinthaller), den Sohn dieses Beutelschneiders verliebt ist. Den ihr gedachten standesgemäßen Bräutigam Alexej Sergejewitsch Bulanow (Claudius von Stolzmann), einen Schulabbrecher und auch sonst recht naiven Jüngling, krallt sich die Tante in einer überraschenden Aufwallung sinnlicher Leidenschaft. Um ihn als Gatten präsentieren zu können, braucht es noble Besucher wie Jewgenij Apollonytsch Milonow (Michael König) und den Kavallerieoffizier a.D. Uar Kirilytsch Bodajew (Robert Joseph Bartl), dazu einen bärtigen Diener namens Karp (Einspringer Till Firit) und die servile Hausdame Ulita (Einspringerin Alexandra Krismer).
Die Komödie „Der Wald“ von Alexander Ostrowskij wäre aber nichts als eine aus der Zeit gefallene Abrechnung mit dem russischen Gesellschaftssystem des 19. Jahrhunderts und eine Reihe unaussprechlicher Namen, gäbe es nicht die beiden Provinzschauspieler.
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