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Die Meistersinger von Nürnberg, Ensemble © Reinhard Winkler

Die Meistersinger von Nürnberg, Ensemble © Reinhard Winkler

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG Hans Sachs, so ein alter Pinball-Gambler

Matjaž Stopinšek © Reinhard Winkler

Matjaž Stopinšek & Ensemble © Reinhard Winkler

Wie sich große Oper gegen Regietheater durchsetzt, ist derzeit in Linz zu erleben.

Der musikalische Anteil von „Die Meistersinger von Nürnberg“ erhielt bei der Premiere am 8. April 2023 Standing Ovations. Doch zu den Gründen dieser Begeisterung später. Bei Erscheinen des Leading Teams setzte kurz zaghafter Applaus ein, der jedoch von einem mächtigen Chor von Buhrufern übertönt wurde. Regisseur Paul-Georg Dittrich, Bühnenbildner Sebastian Hannak und Anna Rudolph, zuständig für die Kostümierung, schienen die kollektive Ablehnung ihrer Arbeit durch das Publikum locker zu nehmen. Sie hatten wohl damit gerechnet. Richard Wagners Idee eines Satyrspiels war von ihnen weiter gedacht worden, so weit, dass ihren Intentionen auch bei gutem Willen nicht mehr gefolgt werden konnte. Die der Oper mutwillig aufgesetzte Szenerie nimmt ihren Ausgang bei einem Monster-Teddybären im Kinderzimmer von Evchen, zwängt sich im zweiten Akt in das Innere eines Flippers mit Out-Lane und Bumper, um zuletzt in einer mit Pinball-Automaten bestandenen Spielhalle zu enden. Dazwischen betreiben als Clowns geschminkte Meister ein nicht näher erklärtes Schachspiel, die übrigen Nürnberger, so auch der von Elena Pierini auf faszinierend druckvollen Sound eingestellte Chor, schwanken in ihrem Outfit zwischen Horrormaske, Feuerwehruniform und Frack bzw. Tüllkleidchen. Was sich sonst noch alles an diesem Johannistag am Festplatz herumtreibt, erhöht zwar erheblich den Rätselfaktor, scheint aber bei so viel großer Musik entbehrlich.

Claudia Otelli, Heiko Börner © Reinhard Winkler

Claudio Otelli, Heiko Börner, Ensemble © Reinhard Winkler

Es ist eine biedere Quart nach unten und ein gemächlich schrittweiser Aufstieg, mit der Wagner die deutschen Meister in ihrer von Traditionen beherrschten Welt beschreibt. Markus Poschner am Pult des Bruckner Orchesters Linz legt die ersten Takte der Ouvertüre frisch und leicht an, vor allem fein ausgewogen zwischen Streichern und der stets präsenten Tuba, auf deren solidem Fundament der Meistersang zu ruhen scheint. Dieser geniale Abtausch von Klängen, der wie ein Augenzwinkern des Komponisten wirkt, ermöglicht es den Solisten, die doch eigenartige und einem fragwürdigen Deutschtum unterworfene Geschichte zu erzählen. Der brave Goldschmied Veit Bogner (Dominik Nekel) lobt seine eigene Tochter als Preis für diesen spätmittelalterlichen Song Contest aus. Dank einer humorigen Handlung erringt am Ende der richtige Kandidat die Hand des „Pokals“.

Die Meistersinger von Nürnberg, Solisten & Ensemble © Reinhard Winkler

Die Meistersinger von Nürnberg, Ensemble © Reinhard Winkler

Martin Achrainer © Reinhard Winkler

Martin Achrainer © Reinhard Winkler

Kleinherzige Kritiker kommen darin schlecht weg. Der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser darf sich von vorn bis hinten blamieren. Bariton Martin Achrainer hat an seinen Intrigen sichtlich Spaß und verfügt dazu über eine Stimme, der man gerne derlei Umtriebe verzeiht; ja, man fragt sich sogar, warum er sich gar so „versingen“ muss, denn sein Beitrag ließe sich gut und gern als E-Music mit experimentellen Elementen verkaufen und erfolgreich in Ö1 Zeit-Ton spielen.

Sein Kontrahent ist Heiko Börner als Walther von Stolzing. Mit breiter Brust reißt er sogar die in einem kleinlichen Regelwerk verhafteten Meister zu Jubelrufen hin. Sein Preislied schmettert er von einem Flipperautomaten aus in die Runde, um anschließend von seiner Geliebten Eva als Ritter eingekleidet zu werden. Erica Eloff ist die selbstbewusste Tochter, die – man hat dafür vollstes Verständnis – am guten Ende dieser verbohrten Gesellschaft brüsk den Rücken kehrt. Der zum Gesellen ernannte und dafür abgewatschte Lehrling David (wie immer glänzend: Matjaž Stopinšek) und seine quirlige Braut Magdalena (Manuela Leonhartsberger mit ansprechend hellem Sopran) bleiben in der Stadt. Dort liegen ihre Perspektiven, nicht zuletzt dank Hans Sachs, dem Dichter und offen denkenden Meister. Claudio Otelli ist ein Erlebnis. Weniger als Gambler am Pinball, denn mit der Macht seines Baritons, der niemand zu widersprechen wagt. Er entlässt die Zuhörer mit der Gewissheit, einen der ganz Großen in dieser legendären Rolle erlebt zu haben.

Erica Eloff, Claudio Otelli © Reinhard Winkler

Erica Eloff, Claudio Otelli © Reinhard Winkler

Ensemble © Reinhard Winkler

Ensemble © Reinhard Winkler

LA FORZA DEL DESTINO Als legitim konzentrierte Linzer Fassung

Erica Eloff © Reinhard Winkler

Erica Eloff (Leonora) © Reinhard Winkler

Verdis klangvolles Statement zur verheerenden Macht des Schicksals

Kann so etwas wirklich passieren? Zuerst löst sich ein unbeabsichtigter Schuss aus der vom adeligen Mestizen als Friedensangebot hingeworfenen Pistole und tötet den Vater der Geliebten, die zwei Flüchtigen werden getrennt, ihr Bruder glüht vor Rache, wird aber ausgerechnet vom – nicht erkannten – Mörder seines Vaters gerettet. Als sich dessen Identität herausstellt, kommt es zum Zweikampf, der just vor der Klause der zur Einsiedlerin in einem Männerkloster mutierten Frau endet. Der Bruder verliert das Duell, ersticht aber mit letzter Kraft noch seine Schwester und lässt einen am Boden zerstörten Liebenden zurück. Ausgedacht hat sich diese unwahrscheinlich anmutend tödlichen Verwicklungen der Spanische Grande Ángel de Saavedra. Giuseppe Verdi, der kurz davor durch einen Kompositionsauftrag aus St. Petersburg aus einer veritablen Schaffenskrise gerettet worden war, nahm sich des Stoffes an und schuf mit „La forza del destino“ eine seiner längsten Opern. Von ihrem Aufbau – ein Tenor und eine Sopranistin lieben einander, der Bariton hat etwas dagegen – ist es ein typisch italienisches Werk, das am Sitz des russischen Zaren zwischen den dort herrschenden Richtungen der Nationaloper, Stichwort Modest Mussorgski, und einem immer beliebter werdenden Musikdrama von Richard Wagner dieses Genre etablieren sollte. Verdi war Erfolg beschieden, ließ ihn später aber dennoch einschneidende Änderungen durchführen, die jedoch nicht verhindern konnten, dass dieses Werk gegenüber anderen Opern aus seiner Hand eher selten aufgeführt wird.

Sung-Kyu Park, Herbert Hackl © Reinhard Winkler

Sung-Kyu Park (Vargas), Herbert Hackl © Reinhard Winkler

Manuela Leonhartsberger (Preziosilla), Chor © Reinhard Winkler

Manuela Leonhartsberger (Preziosilla), Chor © Reinhard Winkler

Regisseur Peter Konwitschny nutzte umgehend die Chance, sich einen Lebenstraum zu erfüllen, als der Linzer Intendant Hermann Schneider an ihn mit dem Angebot herantrat, diese Oper zu inszenieren. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Christoph Blitt wurde eine neue Fassung erarbeitet. Das Erstaunliche: Sie dauert nur an die eineinhalb Stunden. Trotzdem scheint nichts zu fehlen. Es waren vor allem die launigen Volksszenen, die dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Vier Mal unterbricht der Chor die solistisch gestaltete Abhandlung von Liebe, Hass, Rassismus, Freundschaft und Rache. Es sind Appelle gegen den Krieg an sich, die sich im berühmten Rataplan zum gespenstisch rhythmischen Nachahmen der Trommel reduziert. Entsprechend schlicht gehalten ist das Bühnenbild, genügt aber vollends, um einem im Nachtgewand auftretenden Marchese von Calatrava (Michael Wagner) durch die in Superzeitlupe aufsteigende Kugel sterben zu lassen.

Preziosilla (Manuela Leonhartsberger) darf temperamentvoll Soldaten anwerben und Pater Guardiano (Dominik Nekel) Verständnis für eine Frau in der Nähe seiner Mönche aufbringen. Chapeau dem Klarinettisten Herbert Hackl, der als musizierender Obdachloser für erhebliche Emotionen sorgt.

 

Bariton Sung-Kyu Park bewältigt sowohl stimmlich als auch schauspielerisch grandios die Zerrissenheit zwischen Rachedurst und geschworener Freundschaft seines Don Carlo. Als der von ihm verfolgte Vargas erweist sich Adam Kim als perfekter Liebhaber, dessen Tenor über die Schwierigkeiten dieser Partie erhaben ist. Ähnliches gilt für Erica Eloff als Donna Leonora, deren Sopran große Gefühle wie Liebe und Verzweiflung mit klaren Höhen und bemerkenswerter Kraft auszudrücken vermag. Eine – man möchte fast sagen – gewohnt solide Leistung und vor allem die Entstehungszeit der Oper spürbar machende Italianità erbrachte Bruckner Orchesters Linz unter der souveränen Leitung von Enrico Calesso.

Adam Kim, Sung-Kyu Park © Reinhard Winkler

Adam Kim, Sung-Kyu Park © Reinhard Winkler

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